Der Herzinfarkt war mein Weckruf“, sagt Volker Häuslein (Name geändert) zweieinhalb Jahre später. Der stämmige Endvierziger hat den Infarkt von damals gut überstanden.
Aber danach ging ihm eines nicht mehr aus dem Kopf: Er hatte zwar schon seit Jahren ein Testament, das im Todesfall die Nachfolge in seinem kleinen Betrieb regelt. Aber was wäre, wenn er nach einem Unfall – vielleicht jahrelang – zum Pflegefall würde, ins Koma fiele oder schleichend dement würde? „Ich hatte diese Hilflosigkeit erfahren, dieses Gefühl von ausgeliefert sein. Es war schlimm, nicht mehr selbst bestimmen zu können, was mit mir geschieht.“
Das Thema ließ ihn nicht mehr los, noch im Krankenhaus sprach er mit seiner Ärztin darüber: „Ich will doch nicht, dass ein x-Beliebiger entscheidet, was aus mir wird – obwohl der mich doch vielleicht gar nicht kennt und weiß, was ich will?“
Die Medizinerin – durch entsprechende Fortbildung geschult – und ein Anwalt rieten ihm zu einer Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung. „Die Wahl des richtigen Betreuers ist schließlich Vertrauenssache“, weiß er seitdem. Er wählte nach langem Überlegen und mehreren Gesprächen mit seiner Frau die Vorsorgevollmacht.
Die soll – ob in einem formlosen Schreiben oder als Formular vom Anwalt – klare Formulierungen enthalten, wer der Betreuer werden soll und wer es unter gar keinen Umständen sein soll. „Erst im Gespräch tauchte eine Reihe weiterer Fragen auf, die mir vorher gar nicht bewusst waren“, staunt er noch heute. Wo möchte man im Pflegefall untergebracht werden? Und soll sich der Betreuer auch um Haus, Hof und Finanzen kümmern? Welche Art von lebensverlängernden Maßnahmen will man zulassen? Ist eine Organspende vorstellbar?
Gerade das Personal in Krankenhäusern wird von Patienten häufig mit solchen Fragen konfrontiert. Deshalb findet beispielsweise im Juliusspital in Würzburg jährlich gezielt eine Beraterschulung dazu statt. „Das ist eine bundesweite Fortbildung, an der Mitarbeiter von Hospizvereinen oder anderen sozialen Beratungsstellen ebenso teilnehmen wie Pflegekräfte in Kliniken oder Ärzte – eben alle Berufsgruppen, die mit dem Thema konfrontiert sind“, sagt Oberarzt Dr. Heribert Joha. „Das Seminar ist ziemlich gefragt und immer ausgebucht.“ Er bestreitet den medizinischen Teil, der Würzburger Rechtsanwalt Ulrich Rothenbucher kümmert sich um die juristischen Fragen.
Das Thema „Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht“ ist nach nun vier Jahren gesetzlicher Regelung unvermindert aktuell, weiß man bei der Akademie der Stiftung, die das Seminar anbietet: Deutlich über 20 Prozent aller Krankenhauspatienten haben eine solche Regelung „und jeder dritte Bundesbürger erwägt, eine solche abzuschließen“.
Wo so viel Bedarf besteht, gibt es in Unterfranken ein großes Beratungsangebot: Informationen zum Thema bot gerade vorige Woche wieder das Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt zusammen mit dem dortigen Hospizverein. Bei der Reha-Beratung für Patienten der Neurologischen Klinik in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) gehört das ebenso zum Programm wie beim VdK Main-Spessart oder beim Vorsorgewerk des Bayerischen Bauernverbandes in Kitzingen.
„Da kommen eine Menge Fragen auf einen zu, die man sich gut überlegen muss, und am besten hilft ein Experte dabei“, weiß Häuslein. „Allein hätte ich das nie geschafft und mir mit Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht vermutlich sogar widersprochen.“ Speziell geschulte Mitarbeiter von Sozialverbänden gehen einem da zur Hand, Betreuungsvereine und auch Anwälte.
Häuslein wollte sich von einem befreundeten Juristen helfen lassen, „aber der war eher Fachmann für Mietsachen und hat gleich abgewinkt. Er schickte mich zu einem Kollegen, der sich wirklich auskannte.“
Der Jurist wusste um die Fallstricke und die Konsequenzen für denjenigen, der die Vollmacht ausstellt und den Bevollmächtigten. Und er riet seinem Mandanten, auf Nummer sicher zu gehen: Häuslein ließ sich das Dokument beim Notar beglaubigen – damit es im Notfall auch von Betreuungsgericht, Bank und Versicherung anerkannt wird.
Häuslein stellte mit einer Vorsorgevollmacht rechtzeitig die Weichen. Er wollte keinesfalls, dass im Notfall plötzlich ein völlig Fremder für ihn Entscheidungen treffen muss, weil er selbst dann nicht mehr in der Lage ist. „Das passiert schneller als man meint“, sagte ihm seine Anwalt – etwa, wenn man durch einen Unfall oder eine Erkrankung plötzlich nicht mehr geschäftsfähig ist. Hat man dann niemanden bevollmächtigt, tut es das Betreuungsgericht. In vielen der 211 000 Fälle von Betreuung, mit denen Gerichte in Deutschland laut offizieller Statistik 2013 zu tun hatten, wird zwar ein Familienangehöriger als Betreuer eingesetzt – aber unter Aufsicht des Gerichts. Die Zahl der erstmals angeordneten Betreuungen hat sich binnen 20 Jahren fast verdreifacht: Im Moment genießen in Deutschland rund 1,3 Millionen Menschen diese Fürsorge.
„Mir ist lieber, selbst zu bestimmen, wer über mich bestimmt“, sagt Häuslein. Seine Frau hat er eingesetzt und für alle Fälle ersatzweise seinen besten Freund, dem er voll vertraut. „Meine Kinder sind noch zu jung, um das zu überblicken.“ Was aber nicht heißt, dass er dies nicht eines Tages ändern könnte, wenn ihm die Zeit bleibt. „Wir haben innerhalb der Familie darüber gesprochen, erst gehemmt, aber dann immer offener“, erinnert er sich. „Wir haben selbst im Internet recherchiert und Ideen beigetragen, die der Anwalt dann noch einbauen musste.“
Seine Wünsche sind in einer Urkunde niedergelegt, die im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer lagert. Die Häusleins und ihr Freund haben jeweils eine Kopie – eine gerne gewählte Lösung. Über 2,6 Millionen Urkunden sind dort registriert, viele verbunden mit einer Patientenverfügung. „Man kann nicht alles vorhersehen“, weiß Volker Häuslein, „aber für das, was man regeln kann, fühle ich mich gut versorgt.“
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