Wichtige Zeugen der regionalen Geschichte und des jüdischen Lebens in Bayern, das sind für Ludwig Spaenle die jüdischen Friedhöfe im Freistaat. Als Beauftragter der bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus besuchte Spaenle nun den jüdischen Friedhof von Kleinbardorf.
Jüdische Friedhöfe müssten mehr als bisher öffentlich bekannt gemacht werden. Das unterstrich er bei seinem Besuch am jüdischen Friedhof von Kleinbardorf. An der Visite nahmen neben Landrat Thomas Habermann auch der Landtagsabgeordnete Gerald Pittner (Freie Wähler) sowie Bürgermeister Jürgen Heusinger und weitere Rhön-Grabfelderinnen und Rhön-Grabfelder teil, die sich mit der jüdischen Kultur befassen. Für Spaenle haben die Friedhöfe eine wichtige Bedeutung, da sie viele Hinweise geben würden auf die jüdische Geschichte. Aufgrund des Festjahres "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" wird die Geschichte dieser Friedhöfe gerade intensiv aufgearbeitet.
Ein Thema für Schulen und Erwachsenenbildung
In Kleinbardorf sei ihm besonders bewusst geworden, dass die Grabsteine Informationen beinhalteten, die für die Geschichte noch nicht gehoben sind. Sein Wunsch ist es, dass solche Informationen für alle zugängig werden, was natürlich viel Aufwand bedeute. "Da müssen wir dicke Bretter bohren", so der ehemalige Kultusminister.
Überlegen sollte man in diesem Zusammenhang, die Schulen und die Erwachsenbildung mit einzubinden. Der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung sieht darin auch einen Mehrwert für die Menschen, die sich in der Region damit beschäftigen. Von außerschulischen Lernorten sprach Ludwig Spaenle und brachte die Überlegung ins Gespräch, die Schulen abzufragen, inwieweit sie zu den Themenbereichen schon Informationen besitzen. Landrat Thomas Habermann: "Es zeigt sich hier auf dem Friedhof, dass es nicht nur um das jüdische Leben, sondern um die Geschichte der Menschen geht, die hier zu Hause sind."
Digitale Plattformen
In einer digitalen Welt könne man Plattformen schaffen, die umfangreich Auskunft geben könnten. Der Landrat stellte bereits vor Ort Überlegungen an, im Kreishaushalt einen entsprechenden Titel einzubringen. Landrat Thomas Habermann, der im Landesdenkmalrat vertreten ist, bat den Landtagsabgeordneten diese Ideen dort einmal vorzustellen.
Kreisheimat- und Archivpfleger Reinhold Albert, ein Kenner der jüdischen Geschichte im Grabfeld, verwies auf den Verfall der Inschriften auf den Grabsteinen. Er zeigte dazu einen Grabstein, an dem die Schrift bereits abblättert. "Das ist ein typisches Beispiel, dass hier dringend etwas getan werden muss." Der Kreisheimatpfleger informierte, dass der jüdische Friedhof in Kleinbardorf heute der zweitgrößte jüdische Friedhof in Bayern mit aktuell 4.400 Grabsteinen ist. Ursprünglich seien es 27 Gemeinden in Rhön und Grabfeld gewesen, die ihre Toten auf dem Judenhügel begruben. Erst im 19. Jahrhundert legten Neustadt/Saale, Königshofen, Mellrichstadt, Berkach oder Steinach eigene Friedhöfe an. Zuletzt nutzten nur noch Kleinbardorf und Höchheim den Friedhof.
Einzigartiges Totenwaschhaus
Einmalig in Bayern sei am Kleinbardorfer Judenfriedhof die sogenannte Tahara-Halle, ein Totenwaschhaus. 1984 wurde es von dem Kleinbardorfer Erwin Hermann, der sich besonders für den Erhalt des Judenfriedhofs engagierte, restauriert. Im Schutt fand er eine Steintafel mit einer hebräischen Inschrift: "Dieses Totenwaschhaus hat der hoch... Vorsteher, unser Herr Josef (Jospe) aus Neustadt machen lassen von seinem Taschengeld. Dienstag, den 9. Cheswan 1696."
Diese Tafel ist heute wieder über dem Eingang angebracht. Zu den Grabsteinen sagte Reinhold Albert, dass alle in Richtung Osten nach Jerusalem ausgerichtet sind. Die älteste lesbare Grabinschrift ist von 1702. Von Bürgermeister Jürgen Heusinger erfuhr Spaenle von intensiven Gesprächen mit den Verantwortlichen für die jüdischen Friedhöfe im Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Durch den Friedhof führt ein Wanderweg. Deshalb sind auch entsprechende Hinweistafeln aufgestellt.
Grabstein von Joseph Sachs
Elisabeth Böhrer, Expertin für jüdische Geschichte, gab Informationen zum Grabstein für Joseph Sachs. Auf der Rückseite des Grabsteins ist zu lesen: "Joseph Sachs aus New York". Er wurde 1868 bestattet. Joseph Sachs ist der Vater von Samuel Sachs. Dieser wurde von seinem Schwiegervater 1882/83 in die Firma aufgenommen. Das Bankhaus nannte sich nun Goldman Sachs.
Ein Dank galt dabei dem verstorbenen Erwin Hermann, der den Grabstein und die Inschrift entdeckte. In entsprechenden Unterlagen konnte Böhrer das Geburtsdatum 1816 ebenso ermitteln wie den Geburtsort Rödelmaier. Dadurch, dass auf dem Stein Kissingen genannt wurde, nahm sie Einblick in die Kurlisten im Stadtarchiv. In den Unterlagen fand sie dann auch den Namen Karoline Oberbrunner aus Trappstadt. Die Mutter von Markus Goldman, dem Gründer der US-Bank Goldman Sachs, war eine verwitwete Oberbrunner, allerdings nicht die Karoline, laut Elisabeth Böhrer.
Joseph Sachs war vor seiner Auswanderung als jüdischer Lehrer in Würzburg und Miltenberg tätig. Äußerst interessante Ausführungen, die vor allem auch für die Region wichtig sind, lobte Ludwig Spaenle. Genau das sei Grund genug, dies alles und die Geschichte der jüdischen Friedhöfe wieder mehr in die Öffentlichkeit zu bringen und vor allem aufzuarbeiten.
Kurz warf Ludwig Spaenle nach dem Rundgang noch einen Blick in Kleinbardorf auf die Synagoge von 1896, einen unscheinbaren Backsteinbau, der später landwirtschaftlich genutzt wurde. Eine Gedenktafel verweist heute auf diese Synagoge.