Die Sommerferien sind vorüber, für die Kinder begann wieder der "Ernst des Lebens". Wenn ich morgens aus dem Fenster schaue, eröffnet sich mir ein Bild, das mich in Gedanken in meine eigene Schulzeit führt.
Jungen und Mädchen ganz verschiedenen Alters, bepackt mit Schultasche und Turnbeutel, manche fröhlich lachend, andere nachdenklich und noch verschlafen, sie alle gehen ihren ganz persönlichen Weg. Im Gepäck tragen sie große Erwartungen und Ziele, erfolgreich zu sein.
Diesen Weg hinauf auf den Berg bin auch ich gegangen – oft gut gelaunt und frohen Mutes, aber es gab auch Tage, da war der Schulranzen besonders schwer und die Gedanken an den kommenden Schultag alles andere als heiter, eher beängstigend.
Es ist schlimm, perfekt sein zu müssen
Wer kennt das nicht, eine Hausaufgabe überhaupt nicht verstanden zu haben? Oder die bevorstehende Schularbeit wie drohendes Unwetter herannahend zu empfinden, weil das entsprechende Fach so gar nicht "mein Ding" war?
Vermutlich wäre ein mittelgroßer Kieselstein vom Herzen gekullert, wäre man den Anforderungen gerecht geworden. Aber nein, der Druck war da und noch viel schlimmer das Gefühl und der Anspruch, der uns bis ins Erwachsenenalter begleitete, perfekt sein zu müssen.
Wenn ich mich recht erinnere, begegnete ich schon im Kindergarten den Fragen: Wer hat des schönst Bild gemalt? In welcher Familie gibt es ein Auto? Wer darf in die Puppenecke und wer nicht und warum? Es waren Fragen, die unsere Kinderseele im Kern berührten und manchmal tief schmerzten.
Das Rennen um das "beste Leben"
In der Schule ging es dann um ganz andere Fragen. Es begann das Rennen um das "beste Leben". So nach dem Motto: Woher kommst du? Wer war wo in Urlaub? Wie viel Geschwister hast du? Wer kann studieren, oder macht "nur eine Ausbildung"? Nicht zuletzt, wer kann es sich leisten, jeden Modetrend zu folgen? Aus welchem Elternhaus kommst du?
Der erste Schultag begann damit, dass ich meine Mutter quälte mit der Frage, was ich anziehen sollte? Das, was meine Mama wollte, entsprach überhaupt nicht meinen Vorstellungen. Sie hatte sich für den rot karierten Faltenrock und ein weißes Blüschen entschieden.
Für mich war das ausgeschlossen! Ich wollte das blaue Kleidchen und natürlich weiße Kniestrümpfe und die schwarzen Lackschuhe. Nach längerem Hin und Her gewann ich das Match und zog das blaue Kleidchen an.
Die Zöpfe wurden ordentlich geflochten und dann wurde gefrühstückt. Das war schon die nächste Hürde, die ich überstehen musste. Mutti bestand auf ein richtiges Frühstück. Milch und Haferflocken, das war Standard. Doch ich brachte vor Aufregung kaum einen Bissen davon hinunter. Wir einigten uns auf die halbe Portion.
So, und dann war es so weit. Die neue Büchertasche, gefüllt mit einer Schiefertafel, eine Griffeldose, mit Griffeln bestückt, einen kleinen Schwamm in einem rosa Döschen und einem viereckigen Tafellappen, der an der Tafel baumelte, würden von nun an mein Begleiter sein.
Wenn Mütter loslassen müssen
Genauso, wie die kleinen ABC-Schützen heute ging ich an der Hand meiner Mutter den Schulweg, gespannt und neugierig, was da auf mich zukommen wird? Heute kann ich die Gefühle meiner Mutter nachempfinden, die sie in sich getragen hat.
Viele Fragen und die Gewissheit loslassen zu müssen und doch das kleine Mädchen nicht aus den Augen verlieren zu dürfen. Ab jetzt begann ein Wettlauf, ein Vergleich, bei dem niemand gewinnen kann, denn: Wer ist schon perfekt?
Damals war unsere Schule noch im Zentrum der Stadt. Ein rotes Backsteinhaus gegenüber der Pfarrkirche, direkt neben dem Kindergarten, den ich nun endlich für immer verlassen hatte.
Alle Kinder versammelten sich auf dem Platz vor der Schule und dann war es endlich so weit. Eine noch junge Lehrerin trat aus dem Schulhaus und rief jeden mit seinem Namen auf. Dann folgten wir ihr ins Klassenzimmer. Ein großer Raum mit vielen Bänken und einer Tafel in der Mitte der Wand. Dann bekam jeder seinen Platz zugewiesen.
Die kleinsten Schüler mussten vore sitzen
Ich gehörte zu den kleinsten Schülern und landete somit auf einer der vorderen Bänke. Da war er schon, der Vergleich. Karin, Brigitte und Christa waren gut einen halben Kopf größer und vergnügten sich in den hinteren Reihen. Noch spielte das aber keine Rolle. Der erste Schultag war ein Schnuppertag. Wir lernten wie man die Lehrerin begrüßt: "Guten Morgen Fräulein Wehner". Dabei wurde aufgestanden! Außerdem musste man zu ihr "Sie" sagen. Du, Fräulein Wehner, ging gar nicht!
Der Unterricht begann immer mit einem Gebet und einem Lied. Wenn man aufgerufen wurde, musste man aufstehen und antworten. Es wurde von Anfang an auf Disziplin geachtet. Dann war ja auch noch das mit den Hausaufgaben. Zum ersten Schultag gab es drei Zeilen Spazierstöcke auf die Tafel zu schreiben.
Wenn ich daran noch denke! Voller Eifer machte ich mich sofort nach der Schule darüber und hatte auch in kurzer Zeit die drei Zeilen geschafft. Doch Mama war damit nicht zufrieden." Das kannst du aber schöner, sagte sie, wofür haben wir einen Schwamm?"
Wofür lohnt es sich, sich mit aller Kraft einzusetzen?
Ruck Zuck war alles verschwunden und ich begann alles von neuem. Das wiederholte sich noch einige Male. Dann riss der Geduldsfaden! Ich mochte diese blöden Spazierstöcke nicht mehr schreiben. Doch Mama gab nicht nach, sie sagte: "Du willst doch gut sein in der Schule. Es kommt nicht darauf an, möglichst schnell fertig zu sein, gut muss es sein!"
Da war sie wieder, die Frage, die sich über die ganze Schulzeit spannte: Wofür lohnt es sich, sich mit aller Kraft einzusetzen? Schon in Spazierstöcke und Kreis malen steckten die Ansprüche, die wuchsen und im Erfüllen vermittelten sie ein wunderbares Selbstwertgefühl. Aller Stress war vergessen, wenn am nächsten Tag ein Sternchen unter der Arbeit zu sehen war, oder Fräulein Wehner ein Fleißbildchen aus ihrem Pult zauberte.
Der Schulalltag kann ganz schön anstrengend sein
Es ist ein zutiefst menschlicher und verständlicher Wunsch zu den "Guten oder gar Besten" zu gehören und somit den Ansprüchen sich selbst und anderen gerecht zu werden. Dieses Bestreben beginnt schon in frühen Jahren. Wenn die Lehrerin oder der Lehrer lobte und vor der ganzen Klasse eine gelungene Arbeit zeigte, dann wurde aus der kleinen Maria ein selbstbewusstes Mädchen.
Der Schulalltag kann ganz schön anstrengend sein und nicht immer läuft alles gut. In den vielen Schuljahren machte auch ich die Erfahrung des Scheiterns. Meine Eltern aber machten daraus kein Drama, weil "versagen" menschlich ist. Die Welt geht davon nicht unter und es ist nicht das Ziel, sich beständig zu verbessern, sondern zu verändern. Sie gaben mir das Rüstzeug mit auf dem Weg, mit frischem Blick das Leben zu wagen.
Heute kann ich liebevoll und gelassen auf die Jahre meiner Schulzeit blicken und habe erkannt, dass das Perfekte nur dem göttlichen Prinzip entspricht. Eines aber habe ich immer befolgt: "Was tu tust, das tue recht, halb getan, ist immer schlecht". Mit dieser Erkenntnis konnte ich ein glückliches, erfülltes Leben führen. Ansprüchen, die immer mal an mich herangetragen werden, oder immer mal aufkeimen, kann ich so viel besser begegnen.
Wir alle sind genauso vorgesehen, wie wir sind: menschlich und unperfekt und daher besonders liebenswert.