Der Montagabend des 22. Februar in Nordheim gegen 22 Uhr. Hakob Abgaryan und seine Frau Seda Mangushyan sitzen in ihrem Wohnzimmer in der Ostheimer Straße. Plötzlich verschaffen sich zwei Polizisten in Uniform durch Klopfen und Gestikulieren Zugang zu der Wohnung und drängen sofort die beiden Eltern ab, um sie in Abschiebe-Gewahrsam zu nehmen. Gleichzeitig klingelt es an der Haustür, Sohn Narek öffnet, weitere Polizisten sowie ein Vertreter des Landratsamtes stürmen an ihm vorbei in die obere Etage. Die Frau wird von zwei Beamten gewaltsam aus der Wohnung geführt.
Die Mutter Seda reagiert auf den Zugriff der Beamten hysterisch, panisch. Seda ist psychisch schwer krank und hochgradig depressiv. Sie wird in ein Polizeifahrzeug gebracht, der bereitstehende Krankenwagen wird für sie nicht genutzt. Unterdessen ist Ehemann Hakob im Schlafzimmer umringt von mehreren Beamten. Auch ein Vertreter des Landratsamtes ist vor Ort. Hakob Abgaryan wird später in einem gesonderten Fahrzeug weggefahren. Sohn Narek bekommt keine Gelegenheit mehr, mit seiner Mutter zu sprechen.
Gescheiterter Eilantrag
Am Dienstagmorgen nach der nächtlichen Festnahme wird ein noch nachts formulierter Eilantrag an das Würzburger Verwaltungsgericht abgelehnt. Praktisch zur gleichen Stunde hebt der Flieger von München ab und bringt das Ehepaar in die armenische Hauptstadt Jerewan.
So endeten vor fast vier Wochen siebeneinhalb Jahre in Deutschland. Zurück bleibt Sohn Narek, der sich gut integriert hat in das Leben im Streutal. Am Rewe-Markt von Nordheim betreibt er einen kleinen Imbiss mit Bratwurst, Hähnchen und einmal in der Woche Haxen. Seine Eltern haben ihm Bilder geschickt mit den Hämatomen vom nächtlichen Einsatz in Nordheim.
Fassungslosigkeit
Die Umstände der Abschiebung, die hier kurz wiedergegeben sind, finden sich im mehrseitigen Gedächtnisprotokoll von Manfred Rohe. Es ist die Schilderung einer Seite. Seit die ersten Flüchtlinge nach Nordheim kamen, engagiert sich Rohe zusammen mit einer Gruppe freiwilliger Helferinnen und Helfer für die Asylbewerber. Was in jener Nacht in der Ostheimer Straße teilweise in seinem Beisein geschehen ist, macht ihn bis heute fassungslos.
Er spricht von einem "skandalösen Abschiebeprocedere" für das armenische Ehepaar. Es existieren Bilder von Hämatomen und ein Video der nächtlichen Ereignisse. Vor allem auf die psychische Ausnahmesituation der Ehefrau sei nicht eingegangen worden. Medizinische Gutachten des Gesundheitsamtes vom August 2019, die sich wegen der seelischen Erkrankung der Frau für eine Aussetzung der Abschiebung aussprechen, seien ignoriert worden. Für Rohe haben sich "die Richter anmaßend über fachärztliche Kompetenzen hinweg gesetzt", schimpft der Nordheimer. Von der Regierung Unterfranken heißt es aber juristisch knapp: "Die Betroffenen waren vollziehbar ausreisepflichtig und hatten auch mit mehreren gerichtlichen Verfahren keinen Erfolg."
Schwierige Lage in Armenien
Der Gesundheitszustand von Seda Mangushyan ist bis heute die große Sorge von Manfred Rohe wie auch der vielen anderen Nordheimer Bürger für die Asylsuchenden. Die Frau ist dauerhaft auf schwere Medikamente angewiesen, die in Armenien nur schwer beschaffbar oder unbezahlbar sind. In einer spektakulären Nachfassaktion wurden mit privater Initiative die wichtigsten und sehr teuren Medikamente beschafft und mit einem anonymen Kurier per Flug nach Armenien gebracht. Die offizielle Einfuhr ist verboten.
Manfred Rohe hat regelmäßigen Kontakt zum abgeschobenen Ehepaar wie auch zum Sohn, der in der Rhön bleiben will und an seiner Zukunft in Deutschland arbeitet. "Was hier geschehen ist, ist ein Beispiel für die unwürdige Flüchtlingspolitik", sagt der Wahl-Nordheimer.
Schnelle Unterstützung
Als die ersten Flüchtlinge nach Nordheim kamen, hatte sich schnell ein Helferkreis gebildet, den damals der damalige Pfarrer Georg Neumann aufbaute. Schon 2016 hatte der Geistliche ein "Pfarramtliches Zeugnis" für die armenische Familie ausgestellt, in dem das rege religiöse Leben in der Pfarrgemeinde gewürdigt wird.
Der Helferkreis organisiert und unterstützt mit der Diakonie Bad Neustadt den Deutschunterricht für asylsuchende Familien in Nordheim und den umliegenden Dörfern. Mit eigenem Logo wurden Dokumente erstellt, Organisations-Strukturen dargestellt, Busfahrten, Einkäufe, Schriftkram, Behördengänge und sonstige, alltäglich notwendige Begleitungen abgesichert. Gemeinsame Veranstaltungen sollten Bürgernähe aufbauen und Sicherheit und Selbstvertrauen vermitteln.
Duldung
"Wir haben uns in all den Jahren angenähert, die Familien haben sich wunderbar in die Gemeinschaft hier eingebracht", sagt Manfred Rohe. 2017/2018 erhielt Hakob Abgaryan sogar eine Arbeitserlaubnis. Mit Minijobs und als Selbstversorger leistete er seinen Beitrag zur Sozialgemeinschaft. Doch plötzlich war für die Familie nur noch von einer Duldung die Rede, schließlich wurde die Aufenthaltserlaubnis aberkannt.
2018 wurde, weil die Abschiebung drohte für das Ehepaar, ein Härtefallersuchen an die Härtefallkommission gerichtet. Diese unter anderem mit Vertretern von Kirchen und Verbänden besetzte Kommission kann in Einzelfällen Entscheidungen der Ausländerbehörden umkehren. Auf mehreren Seiten wurde die Integration der Familie in die Rhöner Gemeinde sowie in das religiöse Leben der Pfarrei geschildert. Mit der Abschiebung im Februar kamen die Behörden einer Entscheidung der Härtefallkommission zuvor. Diese entscheidet erst, wenn alle anderen rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, wie Manfred Rohe erklärt.
Vier Ordner mit Dokumenten
Die Dokumente, die Manfred Rohe zusammengetragen hat, füllen vier Ordner. Die sind übrig geblieben von den Jahren der gegenseitigen Hilfsbereitschaft, von der Arbeit auch des Helferkreises, um den es in letzter Zeit etwas ruhiger geworden ist. "Viele Familien, vorwiegend aus Syrien, sind weggezogen zum Beispiel zur Verwandtschaft in stadtnahen Gebieten", sagt Rohe. Der muss mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern nun das Erlebte um die armenische Familie und die rigorose Flüchtlingspolitik verarbeiten.
Es lässt ihn nicht los, dass eine hochgradig depressive Frau wie Seda Mangushyan bei der Abschiebung so behandelt wurde, dass es überhaupt zu einer Abschiebung kam. Aber in Bayern werde "mit äußerster Härte" das Aufenthaltsrecht recht umgesetzt. Selbst wenn eine Aufenthaltserlaubnis für das Ehepaar an der Gesetzgebung gescheitert sei: "Auf diese brutale Weise hätten die Behörden niemals reagieren dürfen, solange der gesundheitliche Aspekt nachweislich dagegenspricht und keine weitere Begutachtung durchgeführt wurde", klagt Rohe.
Gutachten des Gesundheitsamtes
Dr. Anne-Rose Denzel vom Gesundheitsamt war aufgrund ihrer Tätigkeit als psychiatrische Gutachterin am Gesundheitsamt Bad Neustadt über mehrere Jahre immer wieder mit dem Fall von Frau Mangushyan in der Frage der Reisefähigkeit befasst. Aufgrund von Corona waren von der Regierung im vergangenen Jahr keine derartigen Gutachten mehr angefragt worden. Es sei in den Untersuchungen wiederholt deutlich geworden, dass die Ungewissheit bezüglich des Aufenthaltsstatus der psychisch kranken Frau Mangushyan und die drohende Abschiebung über all die Jahre hinweg wie ein Damoklesschwert über ihr gehangen habe.
Die Therapiemaßnahmen seien daher zumeist auch nur von vorübergehendem Erfolg gewesen. Frau Mangushyan sei aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung im Gegensatz zu ihren Angehörigen in ihrem Rhöner Umfeld auch nur begrenzt fähig gewesen, sich aktiv um Integration zu bemühen. Als äußerst belastend und mit panischen Ängsten habe die Frau im Falle einer Abschiebung die bedrückende Aussicht auf einen womöglich endgültigen Abschied von ihrem Sohn erlebt. Dieser habe sich mittlerweile hier in der Gegend eine Existenz aufgebaut und wäre im Fall einer Rückkehr nach Armenien von schwerer politischer Verfolgung bedroht.
Bleibe zu hoffen, dass es Frau M. nach ihrer zwangsweisen Rückführung in ihre frühere Heimat trotz der chronischen Erkrankung gelingen wird, sich nach und nach auf die veränderte Situation einzulassen und sie in ihrer muttersprachlichen Umgebung wenigstens kleine Schritte der sozialen Integration zu bewältigen vermag.
Jüngste Nachrichten machen diesbezüglich aber weniger Hoffnung. "Der gesundheitliche Zustand hat sich zwischenzeitlich verschlechtert. Die mühsame Suche nach medizinischer, fachärztlicher Versorgung und die daraus resultierende Ungewissheit nehmen ihren Lauf", so Rohe.
Einreiseverbot für 24 Monate
Narek, danach sieht derzeit alles aus, wird in den nächsten zwei Jahren seine Eltern nicht wiedersehen können. Narek selbst darf sein Heimatland nicht bereisen, um seine Eltern zu besuchen. Es bleiben der Kontakt per Handy und ein langwieriger Postweg.
Rohes Resümee der bisherigen Ereignisse ist ernüchternd in einem Dorf, das sich als Solidargemeinschaft so gut um die Menschen gekümmert habe. "Was hier passiert ist, in dieser friedvollen Streutal-Gemeinde, entspricht nicht unseren christlichen, humanitären Grundsätzen, der Kultur und Lebensform einer aufgeschlossenen Gesellschaft", sagt der Nordheimer.
In unserem Land werden Menschen von ihren Arbeitsstellen abgeholt und in "herkunftssichere" Länder wie Afghanistan, Armenien usw. abgeschoben, selbst wenn sie integrationswillig sind.
Was mich persönlich in diesem Fall schockiert, Vater und Sohn arbeitswillig und mit sehr guten deutschen Sprachkenntnissen (aus eigener Erfahrung) und Christen, wie auch in weiteren Fällen, in denen mir die Menschen persönlich nicht bekannt sind und waren, ist das Fehlen jeder christlichen Moral.
Haben wir vergessen was das C in einem Parteinamen bedeutet?
Erinnern wir uns nicht mehr an die Erzählungen unserer Eltern und Großeltern, die verzweifelt um ihr Überleben kämpften?
Wir haben das Vorgehen gegen die Armenier als Genozid bezeichnet, was dort zu Vertrauen führte.
Vor wenigen Wochen mussten die Armenier Teile ihres Gebietes an Aserbaidschan abgeben, da Putin dies durchgesetzt hat.
Armenier haben keine Lobby hier, aber Aserbaidschan umschmeichelt unsere Politiker.
Integrationswillige werden mit Gewalt abgeschoben.
Und gewalttätige Straftäter werden mit Abschiebeverbot belegt und freuen sich.
Da kannst Du Dich gerne mal im Umfeld des Ankerzentrum Schweinfurt umhören.
Wundere Dich nicht, wenn Dich im Supermarkt ein grimmig dreinschauender Sicherheitsdienstmitarbeiter mustert. Ohne Security gehts im Markt rund....
Jede Zeit hat ihre Irrtümer.
Aber nicht zu jeder Zeit werden sie so selbstzerstörerisch exekutiert, wie bei den derzeitigen "Rückführungen".