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Meiningen
"Platz da" im Jungen Theater Meiningen: Was tun, wenn die Spielfreude der Kinder die Schauspieler aus dem Tritt bringt?
Wie öffnet man Kleinkindern bei ihrer ersten Begegnung mit dem Theater die Türen zur Welt der Fantasie? Betrachtungen eines Großvaters im Meininger Theater.
Mit der Laterne auf einer Insel im Irgendwo gestrandet? Der Weg der Kleinsten in die Welt des Theaters ist manchmal mühsam.
Foto: Siggi Seuß | Mit der Laterne auf einer Insel im Irgendwo gestrandet? Der Weg der Kleinsten in die Welt des Theaters ist manchmal mühsam.
Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:51 Uhr

Manchmal ist das Theater auch gut für Erleuchtungen, die nichts mit dem zu tun haben, was eine Geschichte erzählt. Zum Beispiel könnte Theater ein Ort sein, an dem man erkennt, welch Hindernisse einem kleinen Kind im Weg stehen, das sich in die Welt der Bühnenfantasie vortastet.

In aller Regel werden die Rituale, die ein Theaterereignis ermöglichen, von den Künstlern und vom Publikum eingehalten. Die da auf der Bühne spielen sich die Seele aus dem Leib, die im dunklen Saal sind ergriffen, lachen an den richtigen Stellen, weinen leise Tränen, applaudieren, bleiben ansonsten brav auf den Plätzen sitzen und stören sich höchstens am Ellenbogen des Nachbarn.

Ohne dieses gegenseitige Einvernehmen würde das Theater, das man kennt, nicht funktionieren. Ganz selten nur schimmert die Brüchigkeit dieser Ordnung durch die Szene, dann etwa, wenn ein Saal voller kreischender Kinder den Common Sense aus dem Gleichgewicht bringt und die Schauspieler aus der Fassung. Über die stille Übereinkunft, eine Vorstellung nicht zu stören, sind sich die, die das Theater aus welchen Gründen auch immer lieben, einig.

Wie öffnet man Theatertüren

Doch wie führt man diejenigen, die von diesem Gesellschaftsvertrag noch nichts wissen können und die noch nie ein Theater von innen gesehen haben, wie führt man die an die zauberhafte Welt heran? Wie öffnet man ihnen die Theatertüren zur Welt der Fantasie? Bringt man ihnen so bald wie möglich die nötigen Manieren bei: Still sitzen, nicht herumhampeln, nicht schreien? Lehrt man ihnen als erstes mit guten Worten – und nötigenfalls mit sanftem Zwang – Ehrfurcht vor den Künsten?

Wenn man – wie es das Junge Theater in Meiningen augenblicklich tut – eine Inszenierung "für Kinder ab zwei" anbietet, sollte man von vornherein den Spieltrieb und die kreative Anarchie der Kleinsten ins Spielkonzept integrieren. Bei zivilisatorisch angehauchten Vierjährigen mag das schon etwas anders aussehen als bei Zweijährigen.

In "Platz da" versuchen zwei als Clowns verkleidete Spielerinnen in universeller Lautsprache Objekte im Bühnenrund einer "Insel im Nichts" in eine Ordnung zu bringen, Sonnenschirme, Töpfe, Teller, Allerlei. Die Kinder dürfen auf Sitzkissen am Rand Platz nehmen und am Ende ins Geschehen eingreifen.

Ein erstes Samenkorn

Und jetzt sitzt der Rezensent mit seinem knapp dreijährigen Enkeltöchterchen im Publikum. Am Anfang staunt die Kleine, dann bewegt sie sich mit ihrer ewig leuchtenden St.-Martins-Laterne, die sie wie einen Schatz Tag und Nacht behütet, in Kreisen um die Szene und treibt ihr eigenes, leises Spiel, ohne von den beiden Insulanerinnen ins Geschehen gezogen zu werden.

Eine verpasste Chance, denn der Großvater glaubt an die schönen Künste von Improvisation und Interaktion, so wie er es, zum Beispiel, vom wunderbaren Teatro dell'Argine in Bologna kennt – ein für alle offenes Theater, in der das Publikum zum Hauptakteur wird. Schließlich kann man von zwei- oder dreijährigen Kindern nicht erwarten, dass sie die Rituale des Common Sense im Theater befolgen, geschweige denn begreifen. Es sei denn, man drängt auf Wohlverhalten oder man hält sie fest.

Sie in ein Geschehen einzubeziehen und es spontan mit den Fantasien der kleinen Weltentdecker anzureichern, mit offenem Ausgang – das wäre die Gelegenheit, ein erstes Samenkorn für einen zwanglosen Theater-Leicht-Sinn zu pflanzen, der die späteren Erfahrungen prägen könnte. Als Türöffner zu den unendlichen Weiten des Theateruniversums.

Keiner fühlt sich als Systemsprenger

Der Großvater jedenfalls wird von einem Spielleiter freundlich flüsternd darauf hingewiesen, sein Enkelkind sprenge die Vorstellung. Beide verlassen also den Theaterraum und vergnügen sich allein im benachbarten Spielzimmer. Keiner trägt einen Schaden davon. Keiner fühlt sich als Systemsprenger.

Der Common Sense des Theaterbetriebs wurde nicht verletzt, aber eine kleine Chance vertan. Darum am Ende nur eine Bitte an die Theatermacher: Wenn ihr Stücke für Kinder ab zwei Jahren anbietet, dann geht auch auf die Kleinsten ein, und zwar nicht erst im Abspann, wenn die Moral fest im Inselboden verankert ist wie der Sonnenschirm.

 
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