Der Einzelhandel hat derzeit schwer zu kämpfen. Der Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie bedroht Existenzen. Mit der Aktion "Wir machen auf_merksam" will eine Initiative die Notsituation der Händler vor Augen führen und deutlich machen, dass vielen Geschäften das Aus droht. Leuchtend gelbe oder schwarze Plakate in vielen Schaufenstern sind da ein erster Schritt.
Am vergangenen Montag fiel der Startschuss zu der bundesweiten Aktion für den Einzelhandel. Es geht um Information und einen Ausblick auf die Zukunft, der düster aussieht. "Unsere Freunde, Kollegen und wir sind am Ende unserer Möglichkeiten. Die Läden werden sterben, die Innenstädte veröden", steht auf den Plakaten, verbunden mit dem Aufruf an die Regierung, die Läden wieder öffnen zu lassen oder für angemessene Entschädigungen zu sorgen. "Wir fordern eine Gleichbehandlung mit der Gastronomie", heißt es dazu auch auf der Internetseite www.freundschaftsdienst.eu. Die Initiatoren Uwe Bernecker, Geschäftsführer des Modelabels Funky Staff, sowie Günter Nowodworski, Inhaber der Agentur Now Communication, wollen dem lokalen Einzelhandel hier eine Stimme geben. Sie äußern klare Forderungen an die Politik und rufen die Bevölkerung zur Unterstützung auf.
Das Modehaus bleibt auf der Ware sitzen
Die Einzelhändler waren aufgerufen, am 11. Januar um 11 Uhr Bilder von ihren Läden und dem von freundschafsdienst.eu bereitgestellten Plakat zu posten und über die sozialen Medien zu verbreiten. Wolfgang und Heike Wasnick vom gleichnamigen Modehaus in Ostheim machten bei der Aktion mit. "Wir als örtlicher Einzelhandel können die geltenden Hygienevorschriften ebenso umsetzen wie der Lebensmittelhandel", versichert der Unternehmer. Der Lockdown führt dazu, dass er seine Ware nicht an den Mann beziehungsweise die Frau bringen kann. "Wir haben im Frühjahr und Sommer das Sortiment für November und Dezember eingekauft und bleiben nun auf der Ware sitzen", klagt er. Und in Kürze kommt das neue Frühjahrssortiment, das im Herbst bestellt wurde. Die aktuelle Mode hängt noch am Ständer, während die neuen Kleidungsstücke eintreffen. Und dazu drängt die Frage: Wer soll das bezahlen? Und wovon?
Das Modehaus Wasnick kann auf eine mittlerweile 128 Jahre währende Tradition zurückblicken. Um am Markt bestehen zu können, versuchen die Wasnicks, mit einer individuellen Auswahl an Kleidungsstücken zu punkten. „Wir stellen unsere Kollektionen selbst zusammen, um uns von der Massenware abzuheben“, sagte das Unternehmenpaar beim 125. Jubiläum im November 2017. Das schätzen auch ihre Stammkunden. Doch seit dem 15. Dezember 2020 sind die Ladentüren zu, zuvor, beim sogenannten Lockdown light, war der Verkauf schon eingeschränkt. "Unsere Kosten laufen weiter, doch es kommt kein Geld in die Kasse. Staatliche Unterstützung bekommen wir nicht", klagt Wasnick. "Der Einzelhandel verhungert am langen Arm."
Betrieben droht das Aus
So geht es vielen Geschäftsleuten in diesen Wochen. Die Initiative "Wir machen auf_merksam" führt an, dass 65 Prozent des stationären Einzelhandels durch die Pandemie-Maßnahmen unmittelbar betroffen sind. "Es droht nicht nur das Aus dieser Betriebe, sondern es gleicht einem staatlich angeordneten Berufsverbot", heißt es auf der Homepage.
Gleichzeitig möchten sich die Initiatoren entschieden von einer „falschen“ Einordnung ihres Protestes distanzieren. "Wir sind keine Corona-Leugner, keine Rechten, keine Schwurbler und keine Maskenverweigerer", machen sie deutlich. Auch möchte man mit der Aktion niemanden gesundheitlich gefährden. "Deshalb rufen wir auch nicht zur Teilnahme an Demos auf und wir rufen auch nicht dazu auf, alle Läden einfach zu öffnen." Man halte sich an Regeln und Vorschriften, und auch wer nicht die Meinung der Regierung teile, sei dennoch bereit, die angeordneten Maßnahmen zu befolgen. "Doch nicht zu jedem Preis. Es ist einfach untragbar, dass wir keine angemessene Entschädigung erhalten", so das Aktionsbündnis.
Mitarbeiterinnen werden weiterbeschäftigt
In der Modebranche ist die Lage besonders prekär. "Es gibt keine Feiern und keine Feste, die Menschen bleiben zu Hause und arbeiten auch oftmals im Homeoffice. Da fragen sich viele, wozu sie neue Kleidung brauchen", sagt Wolfgang Wasnick. Die Ware der Saison ist im kommenden Winter nicht mehr aktuell und kann, wenn überhaupt, nur noch reduziert und mit Verlusten für die Händler verkauft werden. Während also kein Geld eingenommen wird, bleiben die Fixkosten für das Modehaus bestehen, ebenso wie die Personalkosten. Die beiden Mitarbeiterinnen beschäftigt das Unternehmerpaar Wasnick unverändert weiter. So lange es eben geht. Doch die Sorgen werden drängender. Die Politik erwägt die Verlängerung des Lockdowns, und was dann? Wie soll es weitergehen?
Für die Einzelhändler geht es laut Aktionsbündnis eben nicht nur darum, einen Teil der Fixkosten zu erstatten. "Der viel größere Verlust ist der Warenbestand, der Tag für Tag ein größeres Loch in unsere Reserven reißt. Bei vielen unserer Kollegen sind die Reserven nach dem mehrfach wiederholten Lockdown restlos aufgebraucht", heißt es auf www.freundschaftsdienst.eu. Mit dem Zusatz: "Die beste Lösung für uns alle wäre eine baldige Wiedereröffnung der Geschäfte."
Kunden können Kleidung im Geschäft abholen
Dafür plädiert auch Wolfgang Wasnick. Bis es soweit ist, hofft er auf die Unterstützung der Kunden in der Region. Auf telefonische Bestellung kann die Ware seit vergangenen Montag bei ihm im Geschäft abgeholt werden. "Wir liefern aber auch zu den Kunden aus", sagt der Unternehmer. Er steht hinter der Aktion für den Einzelhandel und ist froh, dass der Blick für die Geschäfte geschärft wird: "Wir sind keine Rebellen, wir wollen nur auf unsere Situation aufmerksam machen."
Für Wasnick wichtig wäre eine sofortige staatliche Unterstützung oder – beziehungsweise und – das umgehende Öffnen seines Geschäfts. Der Ostheimer Unternehmer hat ein Hygienekonzept in der Tasche, um sofort die Türen aufschließen zu können. Das wäre gerade mit Blick auf die neue Frühjahrsware wichtig.
Er kann hoffen. Denn erste Erfolgsmeldungen haben sich schnell eingestellt. Am Aktionstag wurde in in den Sozialen Netzwerken große Aufmerksamkeit erzielt. Bereits nach wenigen Stunden wurden mehr als 1800 Instagram-Beiträge unter dem Hashtag der Aktion #wirmachenAUFmerksam gepostet. Auch auf Facebook war die Resonanz beeindruckend, freut sich das Aktionsbündnis in einer Pressemitteilung. Im Laufe des Tages berichteten zudem viele Tageszeitungen und regionale Rundfunk- und Fernsehsender über die Aktion. Entsprechend gab es bereits erste Reaktionen seitens der Politik. Verschiedene Partei-Ortsverbände solidarisieren sich mit den Händlern, heißt es in der Pressemitteilung. Erste Politiker sprechen sich schon dafür aus, den Lockdown speziell für den kleinen und mittleren Einzelhandel schnellstmöglich zu beenden und einen Regelbetrieb unter strengen Auflagen zu ermöglichen. Für die Geschäftsleute wäre das ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk.