Gefühlt war es in den allermeisten Ortschaften schon immer so: An Ostern kommt in Rhön und Grabfeld als Geschenkebringer der Osterhase. Vor allem bei den Kindern ist der Hase gern gesehen, ist er es doch, der der Überlieferung nach bunte Ostereier und Süßigkeiten im Garten oder der Wohnung versteckt, wo sie dann am Ostersonntag gesucht werden.
Es gibt aber auch Ausnahmen – nicht etwa, was die Tradition des Ostereiersuchens betrifft, sondern beim "Geschenkeüberbringer": Denn in einigen Ortschaften insbesondere im östlichen Teil des Landkreises Rhön-Grabfeld und im benachbarten Thüringen, kommt an Ostern der Osterstorch. Er liegt dann oft schon am Gründonnerstag in gebackener Form zusammen mit den Ostereiern im Nest.
Der Storch als Eierbringer in Rhön-Grabfeld und Thüringen
Diese Tradition war früher im Landkreis noch recht weit verbreitet und ist es in einigen, vor allem evangelischen, Ortschaften bis heute, wie Kreisheimatpfleger Reinhold Albert weiß. In seinem 2018 erschienenen Buch über das Brauchtum in Rhön- und Grabfeld hat er seine Recherchen zu diesem Thema detailliert zusammengefasst.
So brachte früher nicht nur in Herbstadt, Großbardorf oder Rothausen der Osterstorch die Geschenke, sondern zum Beispiel auch in Rappershausen, Sulzfeld oder Gollmuthhausen. "In einem relativ kleinen und geschlossenen Raum im fränkisch-thüringischen Teil der Rhön hat der Osterhase den Storch als Eierbringer aber nicht verdrängen können", so Albert, der als Beispiele Urspringen, Stetten, Willmars oder auch Oberwaldbehrungen nennt.
In diesen Orten werden kleine Störche gebacken
Auch in Ostheim vor der Rhön hat sich der Brauch, dass der Osterstorch die Eier bringt, bis heute erhalten. Dort werden am Gründonnerstag in der ehemaligen Bäckerei Schenk zahlreiche kleine Osterstörche gebacken, "um Kinderaugen leuchten zu lassen und Zeugnis zu geben von fortlebendem, eigenständischen Brauchtum in der Rhön", wie Reinhold Albert schreibt.
Der Kreisheimatpfleger weiß zudem einiges über die Backtechnik zu berichten: Aus einem Hefeteig werden Störche geformt, denen dann ein rohes Ei eingesetzt und mitgebacken wird. Nach dem Backen wird bunter Streuzucker über die Störche gesiebt.
Auch Jan Schöppach hat recherchiert
Auch im benachbarten Thüringen war und ist bis heute der Storch der "österliche Geschenkebringer", wie Jan Schöppach aus Queienfeld zu berichten weiß. Der Mitautor des "Grabfeld-Kochbuchs" hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit diesem Thema befasst und ist dabei auf einen von Heimatforscher Carl Kade im Jahr 1910 verfassten Aufsatz gestoßen.
Darin beschäftigte der sich mit der Frage: Kam schon immer der Osterhase hier im Grabfeld und den angrenzenden Regionen oder war hier früher auch der Storch zu Hause? Nach Kades Recherchen war der Storch damals verbreiteter als der Osterhase. Was eigentlich auch einleuchtet, ein Hase kann keine Eier legen, ein Storch schon. In einer Karte hat Kade die Ortschaften aufgelistet, in welchen damals der Osterhase und in welchen der Storch kam.
"Roter Hase", Kuckuck oder Kranich wurden ebenfalls erwähnt
In einer Karte hat Kade die Ortschaften aufgelistet, in welchen damals der Osterhase und in welchen der Osterstorch kam. Die über 100 Jahre alte Karte ist allerdings nur eine Momentaufnahme der damaligen Zeit. So soll der Storch zu Ostern auch in Orte gekommen sein, die nicht aufgelistet sind. Was Schöppach besonders interessant findet: Laut Kades Aufzeichnungen kamen früher noch andere Tiere als österliche Geschenkbringer in Frage.
So sollen zur damaligen Zeit im Gebiet zwischen den Gleichbergen und Coburg der "Grüne Hase" und unterhalb von Coburg der "Rote Hase" gekommen sein. Der Fuchs, der Hahn, die Henne, der Enterich, der Kranich, ja sogar Auerhahn, Kuckuck und Lerche waren österliche Boten, die in anderen Gegenden in Erscheinung traten, um nur einige der Tiere zu nennen.