Gut dreieinhalb Jahre hat es gedauert, und es war eine Riesenarbeit, aber diesen Mittwochabend ist es soweit: In der Stadthalle von Gersfeld wird das neue Rahmenkonzept für das Biosphärenreservat Rhön vorgestellt. In Anbetracht der enormen Vorarbeit und Bedeutung des Werkes von dem etwa 220 000 Menschen im Biosphärenreservat betroffen sind, wurde für die offizielle Übergabe ein Festakt organisiert, an dem aller Voraussicht nach die Umweltminister der drei am Biosphärenreservat beteiligten Länder Hessen, Thüringen und Bayern teilnehmen werden.
Mehr als 800 Seiten
Mehr als 800 Seiten dick ist das dreibändige Mammutwerk, in dem zum Einen die aktuelle Situation 27 Jahre nach Anerkennung der Rhön als Biosphärenreservat beschrieben ist. Zum Andern, und das dürfte der interessantere Teil sein, sind Perspektiven, Ziele und Projekte aufgeführt, wie das Biosphärenreservat in den kommenden zehn bis 15 Jahren entwickelt und gestaltet werden könnte. Das ist der Zeitraum, für den ein solches Rahmenkonzept im Normalfall ausgelegt ist, das übrigens ein Muss für jedes Biosphärenreservat ist.
Das erste Rahmenkonzept für die Rhön wurde 1995 präsentiert. Also war es höchste Zeit, dass die drei Verwaltungsstellen des Biosphärenreservats Rhön erneut ein solches Gemeinschaftswerk vorlegten, zumal es die Unesco bereits mehrfach angemahnt hatte. Grund für die Verzögerung war die nicht unerhebliche Erweiterung des Biosphärenreservats im bayerischen Teil. Die Genehmigung des Erweiterungsantrags wurde von der Unesco mit der Auflage verbunden, innerhalb von drei Jahren ein neues Rahmenkonzept vorzulegen. Als die Erweiterung mit einem Festakt in Bad Kissingen 2014 abgeschlossen wurde, liefen diese Frist und die Vorarbeiten an.
Arbeitsgruppen und Umfragen
Länderübergreifend wurden verschiedene Fach-Arbeitsgruppen zu Themen wie Landwirtschaft, Schutz von Ökosystemen, Entwicklung des ländlichen Raumes, Tourismus, Bildung und Kommunikation, Forschung, Energie, Mobilität oder auch Wirtschaft und Kultur gebildet, an denen sich alle Interessierten beteiligen konnten. Es wurden große Workshops mit 180 Teilnehmern abgehalten. Insgesamt waren 300 Rhöner daran beteiligt, Zukunftsperspektiven für die Rhön zu entwickeln. „Es ist daher ein Konzept von Rhönern für die Rhön“, wie es in einer Vorlage für das Rahmenkonzept heißt. In einer Online-Umfrage mit rund 1800 Teilnehmern wurde versucht, die Öffentlichkeit daneben ebenso einzubeziehen wie mit 100 Face-to-Face-Interviews.
Die drei Verwaltungsstellen legten Anfang April 2017 den Entwurf ihren zuständigen Ministerien in Bayern, Hessen und Thüringen vor. Die Arge Rhön befasste sich mit dem Werk, ebenso die drei Trägervereine und der Beirat des Biosphärenreservats. Weiter folgten öffentliche Anhörungen von Städten, Gemeinden und Fachbehörden, auch die interessierte Öffentlichkeit konnte zum Entwurf Stellung nehmen.
Dann folgten die Genehmigungen durch die Länder. Wobei das Bayern das erst in letzter Sekunde erledigte, nämlich mit der Unterrichtung des Kabinetts bei seiner Sitzung an diesem Dienstagvormittag.
Was steht drin?
Was steht nun drin in diesem Rahmenkonzept? In Band eins wird erläutert, wie sich das Biosphärenreservat in seiner inzwischen rund 27-jährigen Geschichte entwickelt hat. Dabei werden auch Defizite und Probleme beschrieben. Band zwei formuliert Leitbilder und Perspektiven: Wie soll das Biosphärenreservat in einem Jahrzehnt aussehen und mit welchen Zielen und Maßnahmen soll das erreicht werden?
Richtig spannend, weil konkret wird es dann in Band drei. Hier sind 66 Projektideen gesammelt, mit denen die genannten Leitbilder und Ziele erreicht werden könnten.
Leuchturmprojekte
Gegliedert sind die „Projektskizzen“ in 19 weitreichende Leuchtturmprojekte, die das gesamte Biosphärenreservat Rhön betreffen und Vorbildcharakter für andere Regionen haben sollen. So soll beispielsweise länderübergreifend eine Art Ökomodellregion auf der Biosphärenreservat-Kulisse eingerichtet werden, auch das Wildtier-Management soll länderübergreifend koordiniert und eine länderübergreifende Kulturagentur aufgebaut werden. Eine länder- und akteursübergreifende Rhön-Card könnte Gäste über längere Zeit im Biosphärenreservat halten und gleichzeitig die Auslastung von ÖPNV und lokalen Museen verbessern. Weil das Biosphärenreservat im Erweiterungsgebiet im Landkreis Bad Kissingen in der Bevölkerung noch nicht ausreichend präsent ist, wäre dort unter anderem der Aufbau eines urbanen Biosphärenzentrums wünschenswert.
Projekte
Es folgen 19 Vorhaben, die etwas weniger innovativ angelegt sind, jedoch ebenso helfen sollen, Probleme zu lösen. So könnte ein länderübergreifendes Wildtiermanagement ebenso entwickelt werden. Um die Akzeptanz von Prozessschutzflächen, also beispielspielsweise Kernzonen, zu erhöhen, muss Wildnis erlebbar werden. Beobachtungsplattformen für Wildtiere könnten dazu ebenso beitragen wie Übernachtungsmöglichkeiten. Konkret ist die Rede von Biwakplätzen, auf denen eine Nacht unter freiem Himmel verbracht werden kann, und die etwa am Premiumwanderweg „Hochrhöner“ angesiedelt werden könnten. Auch ein Baumkronenpfad entlang von Buchenaltbeständen ist denkbar.
Pilotprojekte
Elf „Pilotprojekte“ dagegen sind so konzipiert, dass innovative Ideen mit Modellcharakter in einem kleinen Teil des Biosphärenreservates erprobt werden. Angedacht sind hier eine ökologische Flurneuordnung, Breitbandausbau, aber auch die Schaffung strahlungsarmer „Weißer Zonen“ sowie zum Beispiel der Einsatz von E-Bussen im Linienverkehr.
Forschungsprojekte
In 17 „Forschungsprojekten“ werden zentrale Fragestellungen angegangen, deren Beantwortung einen Beitrag zum Erreichen der erarbeiteten Leitbilder leisten kann. Wie könnte man Lebensmittelhandel, -konsum und Verbrauch alternativ organisieren? Stichwort Solidarische Landwirtschaft. Und welches Potenzial haben regenerativer Energiequellen im Biosphärenreservat?, seien hier als Beispiele genannt.
Nicht rechtsverbindlich
Welches dieser Projekte wie umgesetzt wird, ist unklar, da das Rahmenkonzept nicht rechtsverbindlich wird. Es ist lediglich eine Ideensammlung. Nun kommt es darauf an, ob sich Akteure finden, sich möglicherweise vernetzen und einen konkreten Umsetzungsprozess anstoßen. So werden im Rahmenkonzept nicht Finanzierungsmöglichkeiten und Fördermittel gesprochen. Die Prozesse mit anzustoßen und die Akteure bei der Umsetzung oder der Suche nach Fördermitteln zu unterstützen, ist dann Aufgabe der Verwaltungsstellen des Biosphärenreservats. Ein eigener Haushaltstitel für derartige Projekte steht in Bayern nicht zur Verfügung. Ob sich das im Nachgang der Nationalpark-Diskussion ändert, wie es zum Beispiel Landtagsabgeordneter Sandro Kirchner fordert, ist noch nichts bekannt. Der Festakt am Mittwochabend in Gersfeld böte einen schönen Rahmen, das zu ändern.