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MELLRICHSTADT
Literarische Reise über den großen Teich
Michael Graf hat sich zur ersten Lesung das Outfit eines Amerikaners zugelegt: mit Stetson-Hut und Halsschnur am Military-Hemdkragen. Neben ihm David Henkes, Organisator, Moderator und Vorleser von „Mellrichstadt liest“.
Foto: Fred Rautenberg | Michael Graf hat sich zur ersten Lesung das Outfit eines Amerikaners zugelegt: mit Stetson-Hut und Halsschnur am Military-Hemdkragen.
Fred Rautenberg
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:04 Uhr

Es ist soweit: „Mellrichstadt liest“ lädt wieder zum Zuhören bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein in Mellrichstadts Museumscafé bei der Kreisgalerie ein. Diesmal begeben sich die Vorleser und ihr Publikum auf eine literarische Weltreise. Den ersten Beitrag am vergangenen Sonntag zum Thema „Nordamerika“ lieferte David Henkes mit einem Auszug aus dem ersten Kapitel von Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ oder „Der Verschollene“. Es erzählt von der Ankunft des jungen Karl Roßmann im Hafen von New York, wo er noch einmal zurück aufs Schiff geht, weil er einen Regenschirm vergessen hat. Im Schiff verirrt er sich in den labyrinthischen Gängen, trifft einen Heizer und verliert darüber sein eigentliches Anliegen, nämlich in Amerika einzuwandern, ganz aus den Augen. Eine typisch kafkaeske Szene, beklemmend, mit Fokussierung auf Nebensächlichkeiten, die von monströser Bedeutung zu sein scheinen und vom Wesentlichen ablenken.

Als Gastleser hatte Henkes seinen Freund vom METTheater Michael Graf gewonnen. Graf las eine makaber-groteske Geschichte von einem hoch verschuldeten Spieler vor, der zum Retten seiner Haut einen Auftragsmord begehen soll. Das Giftkomplott schlägt fehl. Der Autor Robert Louis Stevens nannte seine Erzählung „Der Hühnersuppenjockey“.

Geschäftstüchtige Amerikaner

Der Spötter Ephraim Kishon wusste auch die Amerikaner karikaturenhaft verzerrt zu beschreiben, in „Parkplatz der Ameisen-Farmer“ nämlich. Er erzählt von einem Besuch bei seinem Onkel in New York, einem Juden, der aber gänzlich zum Amerikaner mutiert ist. Bei einer anderen Begegnung mit einem Tankstellenwärter lernt der Erzähler, wie geschäftstüchtig die Amerikaner sind. Der Mann will ihm nicht nur schachtelweise Ameisen verkaufen, sondern zuletzt auch noch einen Konzertflügel samt Klavierlehrer, eine Sachschadenversicherung und einen Kinderpsychologen – kurz: er ist ein „Schwergewichtsmeister in Verkaufstechnik“.

Bei dem Besuch in den USA kommen der Erzähler und seine Frau auch auf die Mormonen zu sprechen, deren Religion die Polygamie erlaubt. Kishons „beste aller Ehefrauen“ entwickelt ein geradezu unglaubliches Verständnis dafür, doch als ihr Göttergatte vorschlägt, damit Ernst zu machen, will sie ihm dafür die Augen auskratzen.

Ein Akt der Barmherzigkeit

Henkes hat neben Kishon auch eine Vorliebe für Henry Slesar, von dem die Kurzgeschichte „Ein Akt der Barmherzigkeit“ stammt. Das scheint eine Doppelgänger-Geschichte zu sein. Whit Skinner aus New York wird lange von einem Taxi verfolgt, bis er endlich dessen Fahrer stellen kann und ihn fragt, was er von ihm will. Skinner sehe dem verstorbenen Ehemann seiner Schwester Carla zum Verwechseln ähnlich. Wenn er wie ein barmherziger Samariter helfen wolle, dann solle er doch diese Carla aufsuchen und sie von ihrer Schwermut befreien. Diese Carla ist in der Tat eine verführerische Schönheit, und Skinner erliegt ihr schnell. Die Enthüllung am Schluss: Den toten Ehemann hat es nie gegeben, der Taxifahrer wollte nur seiner Schwester einen Mann aus der gehobenen Schicht zuschanzen.

Stephanie Plum ist eine „Königin des Chaos“. So heißt auch der amüsante Roman von Janet Evanovich, in dem sie eine Frau beschreibt, die einfach keine Ordnung in ihr Leben bringt.

Vom Leben in der Bucht

Den ersten Vorlesenachmittag der neuen Saison beendete Michael Graf mit dem letzten Kapitel aus James A. Micheners historischem Roman „Die Bucht“. Mit vielen Episoden verfolgt er das Leben der Menschen in der Chesapeake Bay durch die Jahrhunderte. Das Buch endet im Jahr 1978 düster mit den Ängsten der Menschen, die einen Hurrikan über sich ergehen lassen müssen. Mit diesem Romanauszug endeten neunzig unterhaltsame, spannende Minuten.

„Mellrichstadt liest“: Termine und Ziele

In der neuen Saison geht die Vorlesereihe auf eine literarische Weltreise. Alle Erdteile werden besucht, sogar solche, die von Menschen kaum oder gar nicht bewohnt werden. Termin ist jeweils am ersten Sonntag im Monat. Beginn ist immer um 16.30 Uhr.

Erste Station war am 7. Oktober bereits Nordamerika. Am 4. November geht es mit literarischen Beiträgen nach Süd- und Mittelamerika. Richtungswechsel am 2. Dezember: Da laden die Veranstalter in die Polargebiete ein, also tief in den Süden und hoch in den Norden. Am 6. Januar ist dann Australien das Reiseziel. In Asien, am 10. Februar, kann man alles erwarten: Erzählungen aus ganz unterschiedlichen Regionen und von ganz unterschiedlichen Autoren. Am 10. März befinden sich die literarischen Globetrotter im Riesenkontinent Afrika, und mit dem 7. April kehren sie nach Europa zurück.

In allen literarischen Beiträgen, die David Henkes und seine Gastvorleser vortragen, geht es um Menschenschicksale, um Spannendes, Staunenswertes, Gruseliges, Rührendes, Komisches, Tiefsinniges und charmant Leichtherziges, alles kunstvoll erzählt und angesiedelt in den verschiedenen Kontinenten.

 
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