zurück
MELLRICHSTADT
Mellrichstadt liest: Von Bauernschörzer und Kittekat
Moderatoren und Autoren: Siegfried Hornung aus Bad Neustadt (von rechts), Sylvie Kohl aus Stockheim, Michael Graf aus Mellrichstadt, Janette Fraas, Herbert Streit aus Oberstreu und Fred Rautenberg.
Foto: Rautenberg | Moderatoren und Autoren: Siegfried Hornung aus Bad Neustadt (von rechts), Sylvie Kohl aus Stockheim, Michael Graf aus Mellrichstadt, Janette Fraas, Herbert Streit aus Oberstreu und Fred Rautenberg.
frr
 |  aktualisiert: 07.11.2015 14:32 Uhr

Etwas Besonderes hatten die Moderatoren Janette Fraas und Fred Rautenberg ihren Besuchern bei „Mellrichstadt liest“ versprochen, und das hielten sie auch. Es war proppenvoll im Café Art, denn offenbar hatten die vier Autoren magnetische Kraft: Herbert Streit aus Oberstreu, Sylvie Kohl aus Stockheim, Siegfried Hornung aus Bad Neustadt und Michael Graf aus Mellrichstadt.

In der Tat war keiner der Vorleser für das Publikum unbekannt. Herbert Streit, in seiner Heimatgemeinde und weit darüber hinaus wohl bekannt als Autor einer umfangreichen, fundierten und reich bebilderten Chronik von Oberstreu, las als Erster. Die Chronik ist ja mehr als ein trockener historischer Aufriss, sie enthält auch Anekdoten und Seitenlichter zum historischen Geschehen.

Ein solches Seitenlicht war das Gedicht vom einstigen Oberstreuer Wein, „der war krachsauer. Dieser Dauergenuss hat bei manch einem Bauer die Erbmasse, die Gene, so gründlich versaut, dass er, auch gut gelaunt, säuerlich schaut.“ Ähnlich launisch die Gedichte vom armen Wurm und besonders vom Oberstreuer Karpfen, der sich nicht fangen ließ, nicht einmal, als ein ganz wilder Angler den Teich und mithin den Karpfen mit Alkohol tränken und sich gefügig machen wollte. Lustig auch die gereimte Erzählung vom Paulinus Ledermann, der für seine Katze ein paar Mäuse fing, um ihr eine Freude zu machen. Die Katze aber dreht sich nur gelangweilt um, denn sie ist mit Kittekat Besseres gewöhnt.

Mundartlich derb geht es in dem Gedicht von „Dr Bauerschörzer“ (die Bauernschürze) zu, und auf unseren Landkreis hat Herbert Streit sogar extra ein Lobgedicht verfasst, in dem er in Erinnerung bringt, welche illustren Persönlichkeiten aus unserem Land stammten und welche uns hier besuchten, zum Beispiel um in den Heilbädern der Rhön Linderung von ihren Leiden zu finden. Und Mellrichstadt, hob Streit hervor, liegt mitten drin in diesem an Kultur und Geschichte so reichen Land.

Sylvie Kohls vier Erzählungen waren von ganz anderer Art, aber nicht weniger humorvoll und überraschend. In der satirischen Gebrauchsanweisung „Der Computer – Kauf und Pflege“ spiegelten sich offenbar auch persönliche Erfahrungen mit diesem oft vertrackten Arbeitsgerät „Personalcomputer“ wider, und Kohls Rat war, wenn nichts mehr mit diesem Ding funktioniert, den Stecker zu ziehen und einen neuen PC zu kaufen.

„Kopfsteinpflaster“ nannte die Verfasserin eine fast grotesk anmutende Erzählung von einer Wette, bei der eine Person „in der Sylvesternacht im Gothic-Kleid und hochhackigen Stiefeln dreimal den Domplatz überqueren“ muss. Das wäre vielleicht nicht so dramatisch, wenn der Platz nicht mit knöchelbrecherischen Kopfsteinen gepflastert wäre. Und außerdem ist es nasskalt und stürmisch. Die Person verflucht sich, dass sie sich auf die Wette eingelassen hatte. Aber dann, als sie es geschafft hatte, tröstet sie sich, denn „das schien mir machbar und das war es ja auch“. Und dann das überraschende Ende der Erzählung: „Ich wette nämlich nur, wenn ich Einfluss nehmen kann, denn ein richtiger Mann verliert keine Wette.“

In „Natururlaub“ muss ein verwöhnter Mensch unserer Zeit vierzehn Tage unfreiwillig auf den Gesundheitstrip gehen, unter fast spartanisch anmutenden Bedingungen. Er kann aber nicht zugeben, dass er sich ohne genauere Prüfung auf das Gesundheitshotel (kein Fernseher, kein Fleisch, kein Alkohol, nur Obstsäfte, Gemüse, Müsli samt Yoga und Meditationen!) eingelassen hatte. „So verbrachte er vierzehn Tage mit Wandern, vegetarischer Kost, ohne einen Tropfen Alkohol und ohne Fernseher. Er nahm drei Kilo ab und fühlte sich fit wie schon lange nicht mehr. Doch das hätte er nie zugegeben.“

„Ich musste ihn töten, mir blieb keine Wahl. Er machte mir täglich das Leben zur Qual“ – mit diesen Worten beginnt das Gedicht „Nachruf“, mit dem Sylvie Kohl ihre Beiträge beendete. Was nach einem Mord roch, stellte sich am Ende als ein Gang zum Tierarzt heraus, wo die Ich-Sprecherin in dem Gedicht ihren altersschwachen Kater zum Einschläfern hingebracht hatte.

Nach der Pause setzte Siegfried Hornung die Vorlesungen fort, und das mit großer Geste und mitreißendem Pathos. Charakteristisch für sein humorvolles Wesen war, dass er mit dem allerletzten Teil seines Erzählbandes „Go West, Xaverl“ anfing, wo er nämlich die Kurzkritiken von fiktiven Lesern dieses Buches zur Sprache kommen lässt. Und das waren sehr launische Kommentare, zusätzlich charakterisiert durch die „sprechenden“ Namen der angeblichen Leser-Kritiker. Die Erzählung selbst besteht wie im traditionellen Briefroman aus einer Serie von launischen Briefen, die das Xaverl von seiner USA-Reise an sein „liebes Spatzerl“ daheim sendet.

Mit viel Lachen wurde die Erzählung vom „Schinkenbrot“ aus „Sprich doch mit dem Herrn“ aufgenommen, in der ein Mann (Hornung identifizierte sich mit ihm) sein zwölftägiges Fasten unterbricht, weil er der Versuchung eines leckeren Schinkenbrots einfach nicht widerstehen konnte. Für seine Schwäche bittet er den lieben Gott um Vergebung und macht lieber keine Fasten-Versprechungen mehr, seiner großen Lust an gutem Essen und Trinken eingedenk.

Als echter Mann erweist sich der Autor in „Helena“, wie das ganze Buch in Gebetform gehalten.

Er bittet den Herrn, ihm nicht gram zu sein, wenn er es nicht ganz vermeiden kann, „ein Fünkchen Begierde aufkommen zu lassen“, wenn er an einem solchen „trefflich modellierten Rippenteilchen Adams“, schön wie die Helena der antiken Sage, vorbeischlendert. Sein Fazit aber zeugt von Einsicht und Umkehr: „Sorg lieber dafür“, sagt er zum lieben Gott, „dass jeder eine schöne Helena bekommt!“ Und: „Ich dank? Dir für die Meine. Amen.“ Und für seine Frau, die auch tatsächlich Helena heißt, fand er darüber hinaus noch viele liebevolle Worte, vorgetragen aus einem Büchlein, das er nur für sie verfasst hatte und das nicht im Buchhandel erschienen ist.

Hornungs letzter Beitrag war weniger humorvoll, dafür aber von Liebe geprägt für das Land, in dem er seit vielen Jahrzehnten nunmehr lebt, der Rhön nämlich. Er spricht davon, wie der Schöpfer wundervolle Landschaften auf dieser Erde hat entstehen lassen: Ozeane, Ebenen, Gebirge unterschiedlicher Art, und „eines dieser Mittelgebirge ist, mit feuriger Masse aus der Tiefe sanftwellig geformt, die wunderschöne Rhön, mittendrin in deutschen Gauen“. Am Ende las der Autor vor, und das ging manchem zu Herzen: „Kirchen recken ihre spitzen Türme, Dir, Herr, zur Ehre in die Höhe, und vom hohen Berg grüßt Dein Kreuz, heiligt dieses Land, erlöst es.“

Mit Michael Graf erlebten die Zuhörer noch einmal eine ganz andere Persönlichkeit, wie sie sich in ihren zwei Erzählungen und mehreren Gedichten präsentierte. Graf verfügt über eine sehr moderne poetische Sprache, sowohl in seinen Gedichten wie auch in den Erzählungen, mit einem ironisch-humorvollen Unterton. Das gilt für die sehr frei gereimten Verse von „mir träumt“ (Thema: Erwachen aus einem Alptraum), es gilt auch für die Kriminalgeschichte „Die Sache mit Solveig“.

Michael Graf war, wie übrigens auch Sylvie Kohl, maßgebliches Mitglied bei der Mellrichstädter Autorenvereinigung „Lo Scritto“. Im Rahmen ihrer Literaturwerkstatt hatten sich die Teilnehmer unter anderem einmal das Thema „Schnee“ einfallen lassen, und Graf hatte dazu diese Erzählung verfasst. In ihr geht es um „Schnee“, allerdings nicht im landläufigen Sinn, sondern „Schnee“ ist hier der Szenenausdruck für Kokain. Ein junger Kriminalbeamter soll dem Überhand nehmenden Rauschgifthandel auf die Spur kommen, und ausgerechnet in die bildschöne Hauptübeltäterin Solveig, Geschäftsführerin und Bedienung im Dealer-Lokal „Kilimandscharo“ verliebt er sich. Der Anklang an Hemingways Erzählung „Schnee am Kilimandscharo“ war ausdrücklich von Graf beabsichtigt, wenn auch mit einem völlig anderen Sinn erfüllt. Um Solveig vor einer von ihm selbst eingeleiteten Razzia zu schützen, unternimmt er einen Tagesausflug mit ihr. Aber Solveig durchschaut letztlich den jungen Beamten, und weil auch sie sich für ihn inzwischen erwärmt hat, bietet sie ihm an, mit ihr zusammenzubleiben. Dazu müsse er allerdings „kündigen“. Und mit „teuflischen Grinsen“ fügt sie hinzu: „Wir können von meinen Einkünften leben. Schließlich verdiene ich sehr gut.“

Ein völlig anderes Thema greift Graf auf mit seiner Erzählung „Verzwickt“. Hierin zeichnet er noch einmal die Erschaffung der Welt nach, angelehnt an die Schöpfungsgeschichte der Bibel, aber in einem ganz anderen Tonfall: Gott, der GEIST, wirkt vermenschlicht und ist trotzdem der Allmächtige und Allwissende, und er hat mit den Anachronismen und den Paradoxien zu kämpfen, die sich aus seiner Schöpfung sukzessive ergeben. Auch der Erzengel Michael und der Teufel sind hier in die etwas launische, doch nie blasphemische Erzählung eingebettet – eine Erzählung, die viel heimliches Schmunzeln, aber auch seitens des Autors ein großes Unbehagen mit dem Rätsel der Schöpfung und der Welt und dem Menschen mitten darin verrät. Es war den Zuhörern anzusehen, dass sie von „Verzwickt“ beeindruckt waren.

Beeindruckt waren sie aber insgesamt von dem Dargebotenen der vier Autoren, und sie dankten es ihnen mit einem lang anhaltenden Applaus. Rautenberg lud seine Gäste und die von Janette Fraas dann auch gleich zur nächsten Session von „Mellrichstadt liest“ am 01. April ein (kein Aprilscherz, wie Fraas betonte). Diese wird wieder unter einem Rahmenthema stehen, und das heißt dann „Die Macht des Schicksals, oder: Na, so ein Zufall“.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Erzählungen
Gedichte
Kilimandscharo
Magnetismus
Moderatorinnen und Moderatoren
Satan
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top