Die Bundespolitiker tun es, die Medien haben es eingeführt, im allgemeinen Sprachgebrauch hat es sich noch nicht durchgesetzt: das Gendern. Ist es egal, ob die Neujahrsansprache an "liebe Mitbürger" oder an "liebe Bürgerinnen und Bürger" gerichtet wird?
Am Weltfrauentag stellt sich die Frage: Was geschieht mit der Hälfe der Menschheit, die bisher im Sprachgebrauch nicht vorkam? Nagt das am Selbstbewusstsein? Geht das so tief ins Unterbewusstsein, dass sich Frauen als Mensch zweiter Klasse einordnen? Oder handelt es sich beim Gendern um eine von oben verordnete Sprachveränderung, die der natürlichen Sprachentwicklung zuwiderläuft? Wir fragten zwei Frauen aus unterschiedlichen Generationen, was sie davon halten.
Annegret Neumann: Sprache wird künstlich aufgebläht
Annegret Neumann (68) aus Bad Königshofen empfindet das Gendern als künstliche Aufblähung der Sprache, die den Sprachfluss behindert. Sie sagt: "Um es gleich vorauszuschicken: Ich bin grundsätzlich für eine Gleichberechtigung der Geschlechter in jeglicher Hinsicht. Ob allerdings das Gendern bei der Gleichbehandlung der Geschlechter hilft, wage ich zu bezweifeln. Wenn von Mitbürgern die Rede ist, fühle ich mich auch als Frau angesprochen. Für mich ist eine Differenzierung in 'liebe Bürgerinnen und Bürger' unnötig, wenn beim schnellen Sprechen die Endung '-innen' ohnehin verschluckt wird. Wenn zum Beispiel von Bewohner*innen an der Ostküste Australiens die Rede ist, die durch Überschwemmungen bedroht sind, brauche ich keine Vergewaltigung der Sprache in 'Bewohner*innen', um zu wissen, dass damit alle Geschlechter - eben alle Bewohner dieser Region - gemeint sind. Ganz schlimm sind sprachliche Auswüchse, wie Mensch*innen. Für mich gibt es nur Menschen.
Ich brauche weder einen Valentinstag noch einen Muttertag, um als Frau wertgeschätzt zu werden, noch fühle mich als Mensch zweiter Klasse beziehungsweise nagt es an meinem Selbstbewusstsein, wenn mein Geschlecht nicht ausdrücklich in Schrift und Sprache hervorgehoben wird. Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass jemand, der eine Benachteiligung aufgrund seines Geschlechts erfahren hat, bezüglich des Genderns eine andere Meinung vertritt."
Laura Rottmann: Sprache verändert Bilder in Köpfen
Die Vertreterin der jüngeren Generation, Laura Rottmann (28) aus Wülfershausen, findet es grundsätzlich sinnvoll, offizielle Texte so zu formulieren, dass sich alle Menschen, an die sich der Text richtet, angesprochen fühlen. "Sprache kann dabei helfen, Bilder in den Köpfen zu verändern und so vielleicht auch zu mehr Gleichberechtigung beitragen. Ich habe mich bisher aber eher nicht durch 'ungegenderte' Sprache benachteiligt gefühlt - im Bereich der Gleichberechtigung gibt es Herausforderungen, die durch ein 'Innen' am Ende eines Wortes vermutlich nicht gelöst werden können."
Annegret Neumann stimmt dem zu und meint, durch solche Äußerlichkeiten wie verordnetes Gendern werde man Ungerechtigkeiten in der Behandlung der verschiedenen Geschlechter nicht unterbinden können. Viel wichtiger seien die innere Einstellung und die Wertschätzung im persönlichen Umgang miteinander. Laura Rottmann kann die Frage, ob "gendern" bei der Emanzipation hilft, nicht endgültig beantworten. "Ich denke aber, dass es nichts bringt, diese Entwicklung durch Gesetze oder Vorgaben - weder in die eine noch in die andere Richtung - zu beeinflussen. Ob eine Veränderung der Sprache stattfindet und wenn ja in welcher Form, wird sich zeigen - als Teil der natürlichen Sprachentwicklung."
Muss man unterscheiden zwischen Behörden, Medien und privaten Sprachgebrauch? Werden der Normalbürger und die Normalbürgerin letztendlich weiterhin so reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist? "Glücklicherweise leben wir in einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft, in der jeder seine Meinung äußern darf", meint Annegret Neumann.
Fragste zwei Frau*innen, haste zwei Meinungen, fragste mehrere Frau*innen, haste noch mehr Meinung!