
Ein Regenbogen zum Abschied - wenn das kein gutes Zeichen war. Tina Hartmann aus Stockheim wagt etwas, was sich wohl nur wenige trauen würden: Nur mit dem Nötigsten ausgestattet lässt die 30-jährige Stockheimerin ihr gewohntes Leben zurück, um sich auf eine ungewöhnliche Reise zu begeben: die Walz oder "Tippelei", wie es auch genannt wird.
Mitte November ging es für die Zimmerin los. Sie nahm Abschied von Familie und Freunden, um sich auf die dreijährige Wanderschaft zu begeben. Die ersten Monate wird sie von Rike, ebenfalls auf der Walz und ihre "Mentorin", begleitet. "Rike zeigt mir, wie die Walz funktioniert und bringt mir die Regeln bei."

Drei Jahre ohne Handy und Auto durch die Welt
Und davon gibt es viele, die die angehende Wandergesellin zu lernen hat. Zum Beispiel darf sie sich ihrem Heimatort Stockheim auf 50 Kilometer nicht nähern. Oder nur zu Fuß oder per Anhalter reisen. Auch ein Handy ist tabu. Aber natürlich darf sie weiterhin mit Freunden oder der Familie Kontakt halten und kann sich mit ihnen außerhalb der Bannmeile treffen.
Doch wie kommt eine junge Frau dazu, alles Vertraute stehen und liegen lassen und über drei Jahre auf Reisen zu gehen? "Der Gedanke, auf Walz zu gehen, entstand während meiner Ausbildung", erzählt Tina Hartmann, die zuvor Tourismusmanagement in München studiert und anschließend im Tourismusbereich gearbeitet hat. Zur Zimmerei kam sie, "weil ich merkte, dass ich lieber etwas Handwerkliches machen will". Über andere Gesellen erfuhr sie mehr über die Wanderschaft, was bei ihr das Interesse und die Neugier an der Tradition weckte.
"Nachdem ich bei den Treffen der Wandergesellen war und Kontakt zu ehemaligen Reisenden des Schachts Axt & Kelle aufgenommen habe, stand für mich die Entscheidung fest." Freunde und Familie befürworteten ihr Vorhaben und freuten sich mit Tina Hartmann über die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln.
Nur das Nötigste hat Tina Hartmann aus Stockheim im Gepäck auf der Walz
Angst oder Unsicherheit vor der Reise hat sie nicht. "Klar muss man vorsichtig sein. Aber ich mache mir nicht mehr Gedanken, nur weil ich eine Frau bin." Im Reisegepäck - ein mit Knoten geschnürtes Tuch, den sogenannten "Charlottenburger" - hat sie nur das Nötigste wie Schlafsack, ein bisschen Wäsche, Zahnbürste und natürlich das Wanderbuch für Reiseeinträge verstaut. Minimalismus ist angesagt. Nichts Neues für die Stockheimerin. "Ich bin vor zwei Jahren den Jakobsweg gelaufen. Da musste ich auch mit wenig auskommen."

Vor dem Abschied wurde die Alltagskleidung der neuen Wandergesellin unter Freunden und Verwandten versteigert und die 30-Jährige mit Zunftkleidung ausgestattet. Die "echt" Kleidung einer Zimmerin, die aus Hut, weißer Bluse, Weste, Jacke und Hose besteht, hat sie sich im Internet und über Mentorin Rieke besorgt.
"Die Knöpfe sind klassischerweise aus Perlmutt. Meine waren erst aus Plastik, deshalb habe ich sie vorher noch ausgetauscht." Geplant ist jedoch, die Kleidung vom ersten verdienten Geld durch eine bessere, maßgeschneiderte Kluft zu ersetzt. Auch den Wanderstecken "Stenz" wird sie sich "wahrscheinlich im Norden" erst noch suchen.
Wie die gesamte Walz unterlag auch der Abschied, das "Losbringen", strengen Regeln. Dazu gehörte, dass Tina Hartmann hinter dem Stockheimer Ortsschild ein 80 Zentimeter tiefes Loch graben musste, worin anschließend die Wunschzettel der anwesenden Freunde, Verwandte und Musikkameraden mitsamt einer zuvor halbgeleerten Flasche "Berliner Luft" vergraben wurden. Die darf sie nach ihrer Heimkehr wieder ausgraben.

Zuvor hatte Bürgermeister Martin Link Tina Hartmann und weitere Wandergesellinnen und -gesellen im Stockheimer Rathaus begrüßt. Hier erhielt jeder von ihnen den Dienstsiegel-Stempel für das Wanderbuch und einen kleinen Obolus für die Reise. Zu guter Letzt musste die 30-Jährige über das Stockheimer Ortsschild klettern und losziehen - ohne sich noch einmal umzudrehen. Das gehört auch zur Tradition der Walz.
Tina Hartmann aus Stockheim will neue Abenteuer wagen
Während der Zeit der Wanderschaft ist Tina Hartmann "offen für alles", wie sie verrät. "Ich habe mir vorgenommen, auch in andere Gewerke reinzuschauen." Wo es sie hin verschlägt, ist ungewiss. Zunächst steht ihr noch Mentorin Rike zur Seite. Aber spätestens im Frühjahr wird sie alleine losziehen müssen. "Für Rike geht es dann nach Kanada. Ich bleibe erstmal in Deutschland." Aber Europa steht auch auf ihrem Plan und danach will die Stockheimerin über den Atlantik.
Wünsche Dir alles Gute, viele neue
Erkenntnisse und viel Spaß bei
deinem Vorhaben auf der ganzen
Welt, vor allem viel Gesundheit.
Komme wieder gut heim.
Gruß Klaus Habermann, Estenfeld ! ! !