Die Tage kurz vor dem Fest waren damals wie heute gefüllt mit reichlich Arbeit. Es herrschte manchmal sehr angespannte Stimmung und ich zog es vor, den Eltern aus dem Weg zu gehen. Meiner Aufmerksamkeit war es allerdings nicht entgangen, dass hinter der Türe im Wohnzimmer ein großer Karton stand. Dieser Karton beschäftigte mich sehr. "Was mag sich wohl darin verbergen?"
Ich musste eine Gelegenheit finden, in der Mutter einkaufen ging und, das war das Schwierigste, das Zimmer durfte nicht verschlossen sein, denn das war in der Weihnachtszeit so. Das Weihnachtszimmer war immer verschlossen. Also musste ich beobachten, wo Mutter den Schlüssel aufbewahrte. Detektivin " Spürnase" war ständig hinter Mutter her und das machte sie nervös. Mit allen möglichen Aufgaben beschäftigte sie mich.
Die Tür zum Christkindzimmer war immer verschlossen
Und doch gelang es mir, den Aufbewahrungsort ausfindig zu machen. Nun musste ich nur noch den rechten Zeitpunkt abwarten, in dem ich alleine zu Hause war. Ein wenig geschickt musste ich schon sein. Ich ließ mir viel Zeit mit meinen Hausaufgaben, denn Mutter ging immer am Nachmittag ins Geschäft und da konnte ich sicher sein, sie kam so schnell nicht wieder.
Einige Tage vor Heiligabend bot sich endlich die Gelegenheit. Mutter hatte das Haus verlassen, die Schublade, in der sich der Schlüssel befand, hatte ich ausfindig gemacht und mit zitternden Händen öffnete ich die Türe zum Christkindzimmer. Oh, war ich aufgeregt! Tatsächlich standen liebevoll verpackt die Geschenke. Auf dem Tisch lag der Christbaumschmuck: -Kugeln und Glöckchen, Lametta und Kerzen und es roch nach frischem Moos für die Krippe.
Der große Karton stand noch immer hinter der Türe. Da musste ich doch nachschauen, was darin versteckt war. Ganz vorsichtig öffnete ich diese Kiste. Und was kam da zum Vorschein? Sorgfältig in Seidenpapier eingewickelt – die Krippenfiguren. Die Hirten mit ihren Schafen, der Hütehund Bello, das Lagerfeuer und der Brunnen, Ochs und Esel, der Engel und Maria und Josef. Zum Schluss, in einer kleinen Schachtel, in Watte gepackt, fand ich das Jesuskind.
Das Jesuskind in der Puppenwiege
Es war so klein und lieblich. Ganz behutsam nahm ich es in meine Hände und konnte es nicht mehr loslassen. Blitzschnell beschloss ich, dem Christkind einen würdigeren Platz zu geben. Es brauchte ein Bettchen mit Kissen und Decke. Flink ordnete ich alles wieder in die Kiste ein, verschloss sie genauso, wie ich sie geöffnet hatte. Niemand durfte etwas bemerken. Gerade rechtzeitig hatte ich den Schlüssel in das Schubfach zurückgelegt, da kam schon die Mutter.
Sie war so mit sich beschäftigt, dass sie meine innere Unruhe nicht wahrnahm. So verschwand ich in meinem Zimmer und bettete das Jesuskind in meine Puppenwiege. Es war so klein, ja winzig, dass es zwischen den Kissen verschwand. Das ist gut so, dachte ich, da wird es nicht frieren und am Heiligabend werde ich es, ganz unbemerkt, in die Krippe legen. So war mein Plan.
Doch schon bald regte sich mein Gewissen. " War es richtig, das Christkind wegzunehmen?" "Was wird sein, wenn ich gar nicht mehr dazu komme, es rechtzeitig in die Krippe zu legen?" Ich erkannte, dass es falsch war und am liebsten hätte ich alles rückgängig gemacht. Mama bemerkte, dass ich sehr still war und befürchtete, eine Erkältung stecke dahinter.
Das schlechte Gewissen meldete sich
Es wurde Abend und mit der Nacht kamen quälende Gedanken. Mir war klar, das Christkind musste wieder zurück in die Krippe. An diesem Abend ging ich bald zu Bett, ich musste nachdenken. Mama und Papa waren sehr besorgt: "Was ist nur mit der Kleinen los?" Doch dann verschwanden beide im Wohnzimmer. Ich lag in meinem Bett und hörte die Eltern werkeln. Aus der ruhigen Unterhaltung wurden die Stimmen plötzlich lauter und ich hörte den Satz: "Ja, wo hast du es denn hin geräumt? Du hast doch alles aufbewahrt" sagte der Vater vorwurfsvoll. Mutter behauptete felsenfest: "Ich habe es in diese Schachtel!" Darauf der Vater mürrisch: "Dann wäre es da."
Mir war klar, sie suchten das Jesuskind. Am liebsten wäre ich jetzt aus meinem Bett gesprungen, und hätte das Christkind in die Krippe gelegt. Mir war klar, das Christkind musste zurück zu seinen Eltern, zu Ochs und Esel in den Stall. Was sollte denn der Engel verkünden und wen sollten denn die Hirten suchen? Es würde kein Weihnachten geben. Nein, das durfte nicht geschehen.
Morgen werde ich das Christkind zurückbringen – Ehrenwort! Mit diesem Gedanken schlief ich ein. Am Morgen vor Heiligabend gingen meine Eltern beide ins Geschäft und ich musste zu meinen Großeltern. Sollte ich Oma in meine Pläne einweihen? Nein, das war keine gute Idee. Andererseits kam ich nicht mehr an den Schlüssel zum Wohnzimmer. Die Lage war kritisch. Alle Vorfreude auf das Fest war verflogen. Ich fühlte mich schlecht und suchte nach Lösungen.
Das Christkind musste zurück - aber wie?
Sollte ich das Christkind irgendwo hinlegen, in der Hoffnung, die Eltern würden es finden? Nein, das würde neuen Sprengstoff erzeugen. Am Abend beim zu Bett gehen hielt ich es nicht mehr aus. Als Mama zu mir ans Bett kam um mir gute Nacht zu sagen, platzte es aus mir heraus: " Mama, ich habe das Christkind gestohlen!" und fiel ihr weinend um den Hals.. " Wo und wem hast du das Christkind gestohlen?"
Sie verstand nichts, gar nichts. Da erzählte ich ihr meine Geschichte und führte sie zu meiner Puppenwiege, in der das Christkind selig schlummerte. Hinter den ernsten Augen meiner Mutter entdeckte ich ein Lächeln, das mich zuversichtlich stimmte. Mama gab mir einen Kuss und sagte: "Wir lassen es noch hier schlafen und morgen, am Heiligen Abend legst du es in die Krippe. Und jetzt schlafe gut und träum was Schönes."
Die Familie ist das kostbarste Gut
Alles war wieder gut und am Heiligen Abend, als sich die Türe zum Wohnzimmer öffnete, der Baum im Lichterglanz erstrahlte, führte mich Mama zur Krippe. In meiner Hand das Jesuskind. Ganz andächtig legte ich dieses kleine Christkind in die Krippe zurück. Ich verstand einmal mehr die Botschaft von Weihnachten: "Euch ist heute der Heiland geboren." Das Kind in der Krippe führte mich durch das Leben und diese kleine Geschichte erinnert mich auch heute daran, dass Familie das kostbarste Gut ist.