Das Erste, was man auf Karl-Heinrich Webers Schwalbenhof in der Dammallee lernt: Biologische Landwirtschaft und hochmoderne Technik schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Webers Kühe heißen Rosi, Wichtel, Madam Curie oder Zitrone, aber gemolken werden sie von einem Roboter. Der ist so programmiert, dass er genau weiß, wann jede Kuh, die durch ein Halsband identifiziert wird, mit der Milchgabe dran ist.
Zitzenmassage für den Milchfluss
Bevor sich die Absaugöffnungen vollautomatisch um die Zitzen schließen, werden sie der Hygiene wegen und um den Milchfluss in Gang zu bringen, erst einmal gebürstet. Was die Kuh, die gerade an der Reihe ist, nicht zu stören scheint. Stoisch, den Kopf im Futterbehälter vergraben, lässt sie die Prozedur über sich ergehen. Vielleicht gefällt es ihr ja sogar?
Für Außenstehende ist das Ganze schon eine kleine Sensation. Und so kann man sicher sein, dass der Melkroboter, der Tag und Nacht in Betrieb ist und die Milch über ein ausgeklügeltes Leitungssystem in einen großen Tank befördert, auch beim Tag der offenen Tür an diesem Sonntag umlagert sein wird.
Unterschiedliche Kuh-Charaktere
Eigentlich wollte Weber die Maschine gar nicht anschaffen, jetzt ist er aber froh darüber. Vier bis fünf Stunden Arbeit spart man damit am Tag im Vergleich zum früheren Melkstand. Die Sorge, dass die Beziehung zu den Tieren verloren geht, teilt er nicht. „Jetzt sieht man nicht nur das Euter, sondern das ganze Tier“, schmunzelt der Biobauer. Regelrechte Schmusetiere sind unter den Kühen ebenso wie eher zurückhaltende. „Es gibt eben sehr unterschiedliche Charaktere“, weiß Weber.
70 mal 38 Meter großer Stall
Seine Kühe machen in ihrem neuen 70 auf 38 Meter großen Freiluftstall einen zufriedenen Eindruck, gehen in aller Ruhe ihrem Tagwerk nach. Was heißen soll, sie fressen Heu, saufen Wasser, ruhen, verdauen und produzieren Milch. Manche gönnen sich an installierten Bürsten eine kleine Rückenmassage. Die anfallenden Exkremente werden durch automatische Schieber regelmäßig beseitigt.
Kuh-Ammen für ausgewählte Kälber
In eigens dafür hergerichteten Boxen liegen Kuh-Ammen mit friedlich vor sich hinschlummernden Kälbchen auf einem dicken Strohbett. Hier werden die jungen Tiere aufgepäppelt, die Weber für seine Zucht behält. „Ein besonderer Luxus“, wie er zugibt. Den er sich leistet, auch um Studien zu betreiben. Hat diese Vorzugsbehandlung einmal Auswirkungen auf die Milchmenge, wie wird das Sozialverhalten beeinflusst?
Seltene Milchviehrasse auf dem Arche-Hof
Rund 300 000 Liter Milch erzeugen die 65 Kühe von der Rasse Gelbes Frankenvieh jedes Jahr. Andere Rassen würden deutlich mehr geben. Einige von ihnen besitzt Weber zwar auch, betreibt aber in erster Linie einen so genannten Arche-Hof. Die Mitglieder des deutschlandweiten Verbundes haben es sich zum Ziel gesetzt, immer seltener werdende Nutzviehrassen vom Aussterben zu bewahren. Insgesamt zählt der Hof mit Kälbern derzeit 118 Stück Vieh.
„Als ich in der Ausbildung war“, sagt der heute 58-jährige Weber, „gab es noch rund 30 000 Stück Gelbvieh in Franken.“ Heute seien es gerade mal 1500 Milchkühe dieser Rasse. Dazu beherbergt er auf seinem Hof eher zum Hobby auch schon selten gewordene Bayerische Landgänse, Meißner Widderkaninchen und Coburger Fuchsschafe.
Stallbau eine Millioneninvestition
Gut 1,1 Millionen Euro hat Weber, der den Hof mit seiner Frau Elisabeth und seinem 26 Jahre alten Sohn Balthasar betreibt, in den Bau des neuen Stalls mit Güllebecken investiert. Der Stall wurde von Ostern bis Weihnachten 2016 gebaut. Die offene Bauweise mit dem nach Norden abgeschrägten Dach ist nach seinen Plänen entstanden. Als konventioneller Milchbauer mit stark schwankenden Milchpreisen hätte er diesen Stall nie bauen können, ist sich Weber bewusst. Biomilch bringt bisher höhere und vor allem auch stabilere Erlöse.
Dabei hat er die ersten 14 Jahre als Biobauer seine Milch konventionell verkaufen müssen, obwohl sie den Standards des Bioland-Verbandes entsprachen, in dem er mittlerweile Gruppensprecher für die Biolandwirte im Gebiet Haßberge-Rhön ist. Es gab einfach keine entsprechende Molkerei in erreichbarer Nähe. Erst seit 2005 liefert er an eine Biomolkerei nach Coburg.
Viel mehr Bio-Bauern in der Region
An einer Hand kann man im Landkreis Rhön-Grabfeld auch heute noch die Bio-Milchbetriebe abzählen. Was aber auch daran liegt, dass es hier eh wenig Milchbauern gibt. Die Zahl der anderen Bio-Bauern hat dagegen enorm zugelegt. Als sich Weber 1990 für die biologische Landwirtschaft entschieden hatte, gab es neben dem Lindenhof in Salem noch zwei, drei andere Landwirte, die diesen Weg eingeschlagen hatten. Heute sind es rund 130, wie von Andreas Ofenhitzer vom Landwirtschaftsamt (AELF) in Bad Neustadt zu erfahren war.
Den Schritt hin zur biologischen Landwirtschaft hat er einem „Aha-Erlebnis“ bei dem Besuch einer Informationsveranstaltung eines der großen deutschen Pflanzenschutzhersteller zu verdanken. Weber beschreibt seine Überzeugung so: „Was ich jetzt an Stoffen nicht auf den Acker ausbringe, das findet man auch in 20 Jahren mit besserer Messtechnik nicht.“ Das Unkrautvernichtungsmittel Atrazin etwa sei schon seit langem verboten, trotzdem ließen sich immer noch Rückstände des Pestizids im Grundwasser nachweisen.
Seltene Getreidesorten
Spritzmittel kommen auf dem 90 Hektar großen Hof nicht zum Einsatz, gedüngt wird mit Mist und über den Zwischenfruchtanbau. Rund 35 Hektar sind dem Kleegras zur Fütterung vorbehalten, auf 55 Hektar baut Weber Getreidesorten wie Dinkel, Emmer, Einkorn, Roggen, Braugerste und etwas Weizen an. Daneben betreibt er noch einen Hofladen, in dem er Quark, Joghurt, Eier und auf Bestellung auch Fleisch verkauft.
Erworben hatte Weber, der fünf Kinder hat und aus der Klosterstraße in Bad Königshofen stammt, den ursprünglichen Schwalbenhof 1988, das Wohnhaus stand damals noch nicht. Sein Bruder Josef übernahm das elterliche Anwesen und gründete später seinen Kranverleih. Der Hobbykoch, der im vergangenen Jahr mit seiner Teilnahme an der ZDF-Sendereihe „Die Küchenschlacht“ von sich reden machte, muss also nicht lange suchen, um an ein gutes Stück Rindfleisch zu kommen.