
Die Hausarztpraxen sind seit Beginn der Corona-Pandemie die erste Anlaufstelle für Patienten bei Verdacht auf eine Covid-19-Infektion. "Um zu garantieren, dass von den Praxen keine Ansteckungsgefahr ausgeht, mussten seit dem Frühjahr die gesamten Praxisabläufe neu beziehungsweise umstrukturiert werden", sagt Simone Günther, medizinische Fachangestellte in der Praxis "Die Hausärzte" in Mellrichstadt. Infekt-Sprechstunden sorgen seither für eine Trennung von Gesunden, chronisch Kranken und eben von infektiösen Patienten in der Mellrichstädter Praxis.
Mit der Zunahme der Corona-Erkrankungen in diesem Herbst kamen immer mehr Patienten mit Verdacht auf Covid-19 in die Praxisräume in der Hauptstraße, und die Infekt-Sprechstunden mussten ausgeweitet werden. "Der normale Betrieb der Praxis war in dieser Zeit nicht möglich", sagt Dr. Michael Günther vom Praxis-Team "Die Hausärzte". Zudem wurden immer mehr Patienten positiv auf das Coronavirus getestet. Nach aktuellem Stand ist davon auszugehen, dass sich die Situation noch deutlich verschärfen wird. Wie andere Hausarzt-Praxen in Rhön-Grabfeld auch suchte Simone Günther daher nach einer Möglichkeit, dass grippekranke Patienten gar nicht erst in die Praxis kommen müssen, sondern in einem separaten Bereich untersucht und getestet werden können.
Mobile Wache zu Praxisräumen umfunktioniert
Beim BRK Rhön-Grabfeld wurde sie fündig. "Seit 1. November haben wir die Möglichkeit, unsere Infekt-Sprechstunde in der Mobilen Wache des Bayerischen Roten Kreuzes auf der Streuwiese in Mellrichstadt abzuhalten", informiert Günther bei einem Pressegespräch. Der Container des Kreisverbands Rhön-Grabfeld kommt üblicherweise bei Großveranstaltungen zum Einsatz. Diese können aufgrund der Corona-Pandemie aber derzeit ohnehin nicht stattfinden. Kurzerhand wurde der Notfall-Anhänger mit zwei abgetrennten Räumen zur Praxis mit Corona-Teststation umfunktioniert.
Neugierige Blicke erntet das Personal, das seine Arbeit in Schutzkleidung verrichtet, seither jeden Tag. Warum steht der Container an der Streuwiese und was wird darin gemacht? Das ist schnell erklärt: Von 11.30 bis 13 Uhr sind ein Arzt und zwei medizinische Fachangestellte aus der Praxis "Die Hausärzte" Ansprechpartner für Patienten mit Verdacht auf eine Corona-Infektion. Sie beraten und nehmen, wenn es nötig ist, einen Abstrich zum Testen. Die meisten Patienten werden in der Mobilen Wache untersucht, wer jedoch gezielt zum Abstrich kommt, darf dafür auch im Auto sitzen bleiben, sagt Dr. Michael Günther.
15 Patienten pro Infekt-Sprechstunde
Die Patienten werden nach dem Anruf in seiner Praxis in der Hauptstraße zu Terminen an die Streuwiese bestellt, so dass Wartezeiten möglichst vermieden werden. Rund 15 Frauen und Männer mit Verdacht auf eine Covid-19-Infektion werden derzeit im Schnitt pro Sprechstunde untersucht. Die Bestätigungen über positive Testergebnisse gehen täglich in der Praxis ein. Ein Grund mehr, die Tests aus der Praxis an die Mobile Wache an der Streuwiese zu verlagern.

Die Vertreter des BRK-Kreisverbands hatten unkompliziert und schnell den Weg dafür frei gemacht. "Es ist selbstverständlich, dass wir hier helfen", sagt Kreisbereitschaftsleiter Bernd Roßmanith. Laut Kreisgeschäftsführer Ralf Baumeister habe man Mellrichstadt als Standort für den mobilen Container gezielt ausgewählt. Die Streuwiese bietet viel Platz für das Einhalten der AHA-Regeln und dazu Parkmöglichkeiten für die Patienten. Von der funktionalen Einrichtung überzeugte sich auch Dr. Helmut Klum, Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands Rhön-Grabfeld und schon während der ersten Corona-Welle von Landrat Thomas Habermann zum Versorgungsarzt für den Landkreis berufen, beim Pressetermin vor Ort.
Pandemie-Übung erweist sich als vorausschauend
"Vor neun Jahren haben wir eine Pandemie-Übung im Raum Bad Neustadt abgehalten, die damals für Verwunderung gesorgt hat", erinnert sich Ralf Baumeister. Damals konnte sich niemand vorstellen, dass solch ein Szenario einmal Wirklichkeit wird. Da ein Ende der Pandemie nicht abzusehen ist, wird die Mobile Wache voraussichtlich längerfristig ihren Standort an der Streuwiese haben. Bislang werden dort ausschließlich Patienten der Praxis "Die Hausärzte" getestet. Das kann sich ändern, insbesondere wenn wieder, wie im vergangenen März, der Katastrophenfall ausgerufen wird. Damals war die Mellrichstädter Praxis als dezentrale Schwerpunktpraxis installiert, sprich, als kompetente Anlaufstelle für Patienten mit Infektsymptomen aus der Region, egal, welchen Hausarzt sie üblicherweise haben.
Dr. Michael Günther bietet den Kollegen in Mellrichstadt aber auch jetzt schon an, dass sie nach vorheriger Absprache mit dem Praxis-Team Patienten zum Testen an die Mobile Wache schicken. "Gerade ältere Kollegen, die selbst Risikopatienten sind, können sich gerne bei uns melden." Patienten aus der Umgebung, deren Hausarzt gerade nicht zur Verfügung steht, können ebenfalls in der Praxis "Die Hausärzte" anrufen und einen Termin zum Testen vereinbaren.
Praxis-Team arbeitet an der Belastungsgrenze
Der Patientenstamm der Hausarztpraxis in der Hauptstraße 60 umfasst nicht nur Frauen und Männer aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld, sondern auch aus dem benachbarten Thüringen. Die Testungen zahlreicher Personen bedeuten einen hohen Arbeitsaufwand für die Praxis, macht Simone Günther deutlich. Sie lobt die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt in Bad Neustadt. Zum Praxisalltag merkt sie aber an: "Insbesondere die medizinischen Fachangestellten der Hausarztpraxen sind seit Beginn der Pandemie erste Ansprechpartner der Patienten und seit geraumer Zeit an ihren Belastungsgrenzen angelangt." Das weiß sie nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch von Berichten der Kolleginnen.
"Täglich gibt es neue Herausforderungen für die Hausarztpraxen. Abstrich-Testungen bei Patienten mit Verdachtssymptomen, freiwillige Testungen von Reiserückkehrern oder von Patienten, die vorsorglich wissen möchten, ob sie das Virus schon hatten, dazu Reihentestungen an Schulen und Kindergärten bedeuten viel Arbeit, und dies alles mit einem immens hohen bürokratischen Aufwand", beschreibt sie die Situation.
Forderungen an die Politik
Laut Simone Günther sind diese Herausforderungen logistisch, organisatorisch und vor allem bürokratisch für eine Hausarztpraxis nicht einfach umsetzbar. "Es gibt ja nicht 'nur' Covid-19. Besonders unsere mehrfach und chronisch erkrankten Patienten brauchen gerade jetzt um so mehr unsere Zeit und Unterstützung", so die medizinische Fachangestellte. "Wir fordern daher dringend eine Veränderung in der Abstrichbürokratie und einheitliche Vorgehensweisen auf allen Ebenen", richtet sie einen Appell an die Politik.