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Bad Königshofen
Bad Königshofen: Vor diesen Schwierigkeiten steht der Helferkreis, der Afghanen bei der Integration unterstützt
Bürokratie und Vorurteile. Der Helferkreis aus Bad Königshofen kämpft bei der Unterstützung afghanischer Ortskräfte an vielen Fronten. Was sind die größten Herausforderungen?
Das Haus St. Michael in Bad Königshofen. Im Nordflügel wurden ehemalige afghanische Ortskräfte untergebracht.
Foto: Hanns Friedrich | Das Haus St. Michael in Bad Königshofen. Im Nordflügel wurden ehemalige afghanische Ortskräfte untergebracht.
Regina Vossenkaul
Regina Vossenkaul
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:13 Uhr

Rund 26.000 gefährdete ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan wurden bisher in Deutschland aufgenommen, rund 40 zogen in Bad Königshofen in den Nordflügel des Haus St. Michael ein (wir berichteten), in einen Teil des Hauses, das als Jugendherberge eingerichtet war. Es bildete sich ein Helferkreis, der sich bis heute um die Ortskräfte kümmert.

Die Helfer kämpfen mit der Bürokratie und mit Frustrationen. Neuestes Beispiel: Mit viel Glück konnte Sabine Rhein inzwischen für fünf Familien eine Wohnung besorgen. Von vielen Vermietern bekam sie eine Absage. Sie vermutet, dass manche Vermieter keine Kinder in den Wohnungen haben wollen. Andere Vermieter haben ihrer Erfahrung nach Vorurteile gegen Muslime, die, so habe man ihr signalisiert, dauernd beteten.

Haus St. Michael steht weiter zur Verfügung

Gelingt nach vielen Hürden eine Wohnungsvermittlung, geht es um die Erstausstattung, für die ein Gutschein für das Sozialkaufhaus Unsleben ausgestellt wird. Erst, wenn man dort nicht fündig wird, darf man etwas kaufen. Ohne Auto nach Unsleben? Hier ist wieder der Helferkreis gefragt.

Rhein, die sich gefreut hat, das an die Stadt fast verkaufte Haus St. Michael (der Notarvertrag ist noch nicht unterschrieben) durch die Wohnungsvermittlungen langsam zu leeren, erfuhr von der Bezirksregierung, dass frei gewordene Zimmer sofort wieder belegt werden. In den Ankerzentren sei der Druck so hoch, dass es keine andere Lösung gebe, wurde mitgeteilt. Bürgermeister Thomas Helbling versicherte, dass der Mietvertrag für die Ortskräfte übernommen wird, wenn der Kauf abgeschlossen ist. Vorläufig stehen die Räume weiterhin zur Verfügung.

Bad Königshofens Bürger spendeten viel

Frank Helmerich erinnert sich an die Anfangszeit, als die Familien mit Sandalen an den Füßen und fast keinerlei Gepäck am 21. Dezember 2021 vor der Tür standen. "Sie hatten nichts", berichtet er in einem Gespräch, an dem auch Sabine Rhein, die etwas später zum Helferkreis dazukam, teilnahm. Warme Kleidung, Schuhe, Töpfe, Fahrräder, Roller und vieles mehr wurde vom "Team 2020", in der Schule und vom Elternbeirat des Kindergartens gesammelt und gespendet.

Die Taliban hätten ihre Bankkonten eingefroren, berichteten die ehemaligen Ortskräfte. Die Ausreise gelang ihnen über Pakistan, von dort kamen sie per Flugzeug nach Deutschland. Der Helferkreis kümmerte sich auch um die Anmeldungen der Kinder in Kindergarten, Hort, Schule und Vereinen. Eine der ersten Hilfeleistungen war, eine Schwangere zur Entbindung ins Krankenhaus zu fahren.

Kampf mit der Bürokratie

"Die Leute bekommen gar nicht mit, was der Helferkreis alles leistet", berichtete Helmerich. Für alles müssen Anträge gestellt werden, die mit Wartezeiten verbunden sind. Die Formulare sind auf Deutsch und müssen übersetzt werden – wären sie Englisch, könnten sie gelesen werden, denn die Afghanen sind in der Regel gebildet und verständigen sich teilweise auch untereinander auf Englisch. Es gibt 14 Sprachen in Afghanistan. Die offiziellen, behördlichen Ansprechpartner sind völlig überlastet und können sich nicht um Kleinigkeiten kümmern.

Frustrierend für die Ortskräfte war die Ankunft der Flüchtline aus der Ukrainer im Haus St. Michael. Unwillkürlich hätten sie sich gefragt: "Sind unsere Flüchtlinge Flüchtlinge zweiter Klasse?" Die Ukrainer durften in die besseren Räume ziehen, die zuvor zum Bildungswerk der Diözese gehörten, sie wurden verpflegt, WLAN wurde eingerichtet und Spenden gesammelt, während die Ortskräfte darum bitten mussten, dass für sie ein zusätzliches WC und eine Dusche aufgeschlossen wurden. Führerscheine wurden anerkannt, während die Ortskräfte zusätzliche Prüfungen ablegen müssen.

Eine Welt der Geschlechtertrennung

Die Ortskräfte bekommen inzwischen Hartz IV, sind krankenversichert und konnten ab März zum Sprachkurs, berichtete Rhein. Sie sind sehr dankbar, wollen arbeiten und durch ihre Steuern etwas zurückgeben. Die IT-Fachleute unter ihnen würden sofort eine Stelle bekommen, dort braucht man hauptsächlich Englisch, sie sollen jedoch erst mal deutsche Grundbegriffe lernen. Sabine Rhein kümmerte sich um zusätzliche Aufklärung. Wie wird der Müll getrennt, was ist eine Hausordnung, wie funktionieren Schulen und Sozialsysteme? Das Ganze einmal für Männer und einmal für Frauen. "Sie sind sehr gastfreundlich, aber leben in einer Welt der Geschlechtertrennung", berichtete Helmerich.

Doch wie sieht es in der ehemaligen Heimat aus? Die Lage aus Sicht der Frauen wurde in einem Film festgehalten. Unter den Ortskräften in Bad Königshofen befindet sich Sayed Ali Mardani, der gemeinsam mit dem befreundeten Alibaba Frutan einen 20-minütigen, bereits in Italien ausgezeichneten Kurzfilm gedreht hat. Unter dem Titel "A Dark Future" zeigt er die Situation bei der Machtübernahme der Taliban im August 2021 aus der Sicht einer Frau.

Der Film wird am Freitag, 9. Dezember, in Bad Königshofen gezeigt, anschließend gibt es eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der Regierung von Unterfranken und des Jobcenters, einigen Lokalpolitikern und Afghanen.

 
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  • p-eschenbach@gmx.de
    Wann war da mal eine Jugendherberge. War es als letztes nicht eine Bildungsstätte der kath. Kirche???
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  • m.schmitt.stadtlauringen@gmail.com
    Es ist eine Schande wie der deutsche Staat dies alles an Ehrenamtliche delegiert. Die weitaus größere Schande war allerdings das Versagen in Afghanistan. Toto deutsche Bundeswehrsoldaten und entwurzelte Ortskräfte. Eine Schande das man diese Menschen lange im Glauben gelassen hat man könnte die Situation in Afghanistan ändern!

    Flüchtlinge die dem deutschen Staat vor Ort in Afghanistan im Glauben auf ein bessere Politik in Afghanistan geholfen haben sind in meinen Augen Flüchtlinge erster Klasse.
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  • p-koch-dettelbach@t-online.de
    In diesem Land ändert sich anscheinend nichts.
    Als mein Vater, Deutscher mit tschechischer Staatsbürgerschaft, 1947 nach Deutschland kam wurden sein Führerschein und sein Meistertitel nicht anerkannt. Dass er 4 Jahre in der Wehrmacht sein musste interessierte dabei nicht. Immerhin hatte er ja die Wahl zwischen Wehrmacht und KZ.
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