Das Wort Hektik gab es Jahrmillionen nicht, ehe der Mensch im Holozän erschien. Der Axolotl beherzigt das. Langsam, ganz langsam kriecht er aus seinem dunklen Unterschlupf. Ein wenig wackeln die roten Kiemenäste im Wasser. Langsam, ganz langsam wendet sich der Charakterkopf mit den stecknadelkopfkleinen Augen zur Scheibe des Aquariums. Das Menschengesicht wird als Belanglosigkeit registriert. Langsam, ganz langsam paddelt der Axolotl weiter und misst den Menschen keine weitere Beachtung bei. Wenn ein Tier gechillt ist, dann ist es der Axolotl.
"Axolotl sind unglaublich beruhigende Tiere", sagt Michael Lachnitt. Der gebürtige Hammelburger lebt seit drei Jahren in Leutershausen. Mit seiner Familie - und mit seinen Axolotl. Aus seiner Liebe zu den südamerikanischen Schwanzlurchen hat er mittlerweile ein Geschäft gemacht. Dass alles Liebe auf den ersten Blick war, hat er aber bis heute nicht vergessen.
"Ich habe schon als Kind ständig Molche gefangen und gehalten. Irgendwann vor 30 Jahren war ich auf der Hamburger Fischmesse, wollte mir eigentlich Diskusfische kaufen. Da habe ich einen Axolotl gesehen. Es machte einfach 'Klick' im Kopf. Ich musste einen haben", erzählt der Ex-Hammelburger. Aus einem Tier wurden, drei, dann fünf: So wurde Lachnitt zum Züchter der mexikanischen Schwanzlurche, die es eigentlich nur in einem einzigen See bei Mexico City gab.
Vor 30 Jahren war Lachnitt noch so etwas wie ein Pionier der Axolotl-Zucht in Deutschland. Mit einem Professor tauschte er sich aus, um mehr über die Lebensbedingungen und Gewohnheiten der Tiere zu erfahren. So wuchsen die Zahl seiner Zuchttiere und sein eigenes Fachwissen, das immer mehr gefragt war. "Ein katholisches Gymnasium in Dresden wollte einige Tiere halten. Die Kinder waren sofort scharf drauf. Auch in den Ferien tragen sich die Kinder für Dienste ein, das funktioniert reibungslos", erzählt Lachnitt.
Das Engagement für Kinder und Schüler rund um das Thema Axolotl hat sich bis heute bei Michael Lachnitt bewahrt. "Ich versuche, jedes Jahr zwei oder drei Kindergärten mit einem Aquarium auszustatten", so der Züchter. Auch die Burgläurer Kinder haben von seinem Engagement profitiert, suchen aber derzeit nach Spendern für ein Kühlgerät.
Seine eigenen Aquarien stehen in der Alten Schmiede von Leutershausen, die er extra umgebaut hat. Die kühlen Temperaturen sind ideal für die Schwanzlurche, für sie sollten die Wassertemperaturen 18 Grad nicht überschreiten.
"Axolotl sind langsame Tiere, sehr träge. Sie sind auch keine Jäger. Das macht sie so beruhigend. Sie werden sogar in der Psychotherapie eingesetzt, weil sie so positiv beruhigend wirken", erzählt Michael Lachnitt. Feinfühlige Tiere seien sie dennoch. "Sie bemerken genau, wenn ich komme", sagt der Tierfreund.
Er ist immer wieder aufs Neue erstaunt über die Lebensweise der Tiere. Besonders bewundernswert ist die Tatsache, dass Axolotl in der Lage sind, verlorene Körperteile wieder neu zu bilden. Ein Umstand, auf den die medizinische Forschung gewisse Hoffnungen setzt.
Auch wenn Lachnitt als Axolotl-Pionier angefangen hat, ist er heute nicht mehr alleine mit seiner Begeisterung. Axolotl zieren Videospiele, Schulmäppchen oder als Plüschtiere viele Kinderzimmer. Die Molche sind Trend. Daraus hat sich für den Wahl-Leutershäuser ein Geschäftsmodell entwickelt.
Unter dem Namen "Axolotlzucht" vertreibt er Zubehör für Tierhalter in ganz Deutschland. Kaltwasserpflanzen, Filter- und Pumpentechnik, spezielle Axolotl-Nahrung und vieles mehr verkauft er über einen Online-Shop. Von einer Geschäftspartnerin lässt er spezielle Unterschlupfmöglichkeiten fertigen, beliebte Verstecke für die Schwanzlurche.
"Ich bin jeden Tag zwölf Stunden hier, um die Bestellungen zu bearbeiten und um die Aquarien in Ordnung zu halten", sagt der 59-jährige Familienvater. In seinen Aquarien tummeln sich allerlei Varianten des Axolotl. Noch heute leben Wildlinge bei ihm, die er vor 30 Jahren gekauft hatte.
Wildlinge sind die Reinform der mexikanischen Axolotl, die noch nicht durch Züchtung verändert wurden. Mittlerweile gibt es weiße Tiere, graue, Axantic Copper, Goldalbinos, gelbe Xantophoren und viele Varianten mehr. Eine bunte Schar eben. Ganz wichtig: Axolotl dürfen kein jodhaltiges Salzwasser bekommen. Sonst beginnt ihre Verwandlung in Landtiere mit einer Umbildung der Kiemen zur Lunge und so weiter. Ansonsten verbleiben sie im Larvenstadium.
Weil ihm die Tiere wichtig sind, führt er lange Gespräche mit seinen Kundinnen und Kunden, wenn die in das Axolotl-Hobby einsteigen. "Die Leute müssen wissen, was auf sie zukommt", sagt Lachnitt. Neueinsteiger müssen übrigens sechs bis acht Wochen warten, bis sich im Aquarium das richtige Klima mit Nitratwerten et cetera eingependelt hat.
Lachnitt ist auch Ansprechpartner für die Axolotl-Freunde Unterfranken, einer Facebook-Gruppe, die ihre Erfahrungen mit den Tieren austauscht. Auf der Züchtung liegt Lachnitts Schwerpunkt nicht mehr, auch wenn er das eine oder andere Tier weiter gibt. In den Wintermonaten pflanzen sich Axolotl zwei- bis fünfmal fort. Durchschnittlich werden die Tiere neun bis 15 Jahre alt. Seine 29 Jahre alten Wildlinge sind eine ganz besondere Ausnahme.
Seine Liebe zu den Tieren stärkt das nur noch. "Es ist die Ruhe, das Träge. Sie müssen am Aquarium warten, bis der Axolotl kommt. Das macht Sie selbst ruhig", schwärmt Lachnitt. Er hat recht. Der Axolotl ist ein wichtiges Tier in dieser furchtbar hektischen Zeit.
Axolotl
Axolotl werden etwa 25 Zentimeter lang. Den ersten Axolotl brachte Alexander von Humboldt 1804 mit nach Europa – als exotische Kuriosität. Verliert ein Axolotl zum Beispiel ein Bein, wächst es innerhalb weniger Wochen wieder nach. Auch Teile des Rückenmarks und verletztes Netzhautgewebe kann das Tier neu bilden.
Wie viele Axolotl es noch in freier Wildbahn gibt, ist schwer zu schätzen – manche Forscher gehen von etwa 2.300 Tieren aus. Die Tiere leiden unter der starken Verschmutzung ihres Lebensraums wie Kanalsystemen, in die giftige Abfälle gespült werden. Aber auch eingewanderte Fischarten bedrohen die Bestände.
1969 gelang die Kreuzung des Axolotl mit Tigersalamanderweibchen, auf die zahlreiche Hybridformen zurückgehen.