Sich als Schreiner oder Schreinerin am Abend die Sägespäne aus dem Haar zupfen. Nach einem Arbeitstag im Maurerhandwerk mit staubiger Hose nach Hause gehen. Für die Arbeit in einem Sanitärbetrieb stundenlang auf dem Boden knien, um neue Wasser- oder Gasleitungen zu verlegen. Bei der Berufswahl vieler Rhön-Grabfelder Jugendlicher sind solche und andere körperlich anstrengende und mit Schmutz verbundene Tätigkeiten heute unbeliebt. Dieses Fazit ziehen Dagmar Hildebrandt (Geschäftsstellenleiterin der Agentur für Arbeit Bad Neustadt) und Berufsberater Wolfgang Schmitt zur Situation auf dem Ausbildungsmarkt 2020/2021 für den Landkreis Rhön-Grabfeld.
"Kein Jugendlicher soll verloren gehen", so lautet der Anspruch für die Berufsberatung der Agentur für Arbeit. Dieses Ziel sieht Wolfgang Schmitt als größte Herausforderung im pandemiegeprägten Ausbildungsjahr 2020/2021. "Wegen Corona mussten auch wir unsere Aktivitäten stark zurückfahren, die Schulen waren lange geschlossen. Beratung in Präsenz ist erst seit Juni wieder möglich. Auch Praktika waren für die Schülerinnen und Schüler nur sehr eingeschränkt möglich, womit eine wichtige Säule der beruflichen Orientierung fehlte", fasst Schmitt zusammen.
"Orientierungslockdown" für Jugendliche
Die Jugendlichen mussten sich zurückziehen und seien dadurch in eine Passivität verfallen, aus der sie erst wieder herausfinden müssten, hat der Berufsberater beobachtet. Er spricht von einem "Orientierungs-Lockdown" für die jungen Menschen. Zwar hätten die Berufsberater dennoch versucht, Kontakt aufzubauen und zu halten, was aber sehr schwer gewesen sei. Vieles wurde auf Telefonkontakte und in das Internet verlagert - dies klappte mal mehr, mal weniger gut. Insgesamt habe Corona die Berufsorientierung massiv erschwert. Die Jugendlichen seien durch Corona betreuungsintensiver geworden und müssten mehr "an die Hand" genommen werden.
Dennoch fällt Schmitts Fazit insgesamt positiv aus. Denn die Zahl der Bewerber, die zum 30. September 2021 keine Alternative zur Berufsausbildung gefunden haben, ist wie seit Jahren schon sehr gering und liegt bei lediglich drei Personen oder einem Prozent aller bei der Arbeitsagentur für Rhön-Grabfeld registrierten Bewerber. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen ist erneut gesunken (2020: 814, 2021: 766). Gleichzeitig ging aber auch die Anzahl der Bewerber von 494 auf 431 zurück, was Schmitt auch auf den allgemeinen Schülerrückgang zurückführt.
Wenige Bewerber in der Lebensmittelherstellung
Ein Ausbildungssuchender hatte statistisch gesehen die Wahl aus 1,8 (Vorjahr: 1,7) Lehrstellen. Das Verhältnis der gemeldeten Ausbildungsstellen zur Anzahl der interessierten Schulabgänger ist je nach Beruf unterschiedlich. Gefragt sind nach wie vor gerade Ausbildungsstellen in den von Schmitt als "Weiße Kragen-Berufe" bezeichneten Bereichen. So suchten zum Beispiel 23 Personen nach einer Lehrstelle in der Verwaltung, es standen aber nur 15 Ausbildungsplätze zur Verfügung. In der Informatik war nur eine Stelle zu vergeben, die Anzahl der Bewerber lag aber bei 12.
Anders sieht es in der Lebensmittelherstellung (drei Bewerber, 27 Stellen) oder in der Hotellerie/Gastronomie aus. In letztgenanntem Bereich kamen auf 16 Ausbildungsstellen lediglich vier Bewerber. "Das könnte auch mit daran liegen, dass wohl einige Eltern ihren Kindern von solchen Berufen abgeraten haben aus Angst, was bei einem erneuten Lockdown mit ihren Jobs passiert."
Besonders auffällig ist die Schere Bewerber - Ausbildungsstelle auch bei den Malern (drei Bewerber, 35 Stellen) und im Heizungs- und Sanitärbereich mit acht Interessierten auf 28 Ausbildungsplätze. Hier herrsche oft immer noch das Klischee vor, in diesem Beruf habe man es oft nur mit dem Dreck anderer Leute zu tun. Dabei sei der Job sehr vielseitig, moderne Heizsysteme fordern viel technisches Können und Geschick, sagt Schmitt.
Bewerber sollten flexibel und mobil sein
Um solchen Vorurteilen zu begegnen, ist laut dem Berufsberater vor allem eine Sache wichtig: "Die Jugendlichen müssen die Berufe einmal live erleben, um selbst festzustellen, wie die Arbeit dort wirklich abläuft." Hierzu seien - sofern pandemiebedingt möglich - Praktika eine gute Möglichkeit. Oder auch andere Formen des Einblicks in die Unternehmen, beispielsweise mit wöchentlichen Hospitationen oder außerbetrieblicher Berufsausbildung über einen Bildungsträger, die aber in einem Unternehmen der Wirtschaft abgeleistet wird. Die Agentur für Arbeit hält hier verschiedenste Modelle bereit und unterstützt Arbeitgeber und Bewerber.
Bewerbern rät Schmitt, sich nicht nur auf einen Beruf zu fixieren, sondern flexibel und mobil zu sein, was zum Beispiel durch Angebote wie das Azubi-Shuttle auch für Jugendliche des ländlichen Raumes erleichtert werde. "Der Wettbewerb um die Auszubildenden geht weiter", sagt Wolfgang Schmitt. Deshalb seien Betriebe zunehmend offener für vermeintlich schwächere Bewerber. Es werde längst nicht mehr nur auf das Zeugnis geschaut, auch theorieschwache und mehr praktisch veranlagte Personen hätten gute Chancen.