"An Heiligabend, pünktlich um 13 Uhr, drehen wir den Schlüssel an der Ladentür herum und Schluss ist". Ute und Helmut Ruß lächeln bei dieser Ankündigung. Kein Anflug von Trauer oder Unzufriedenheit ist in ihren Gesichtern zu sehen. Sie hätten das so geplant, sagt Ute, und bis jetzt hat alles geklappt. "Wir haben unser Ziel erreicht. Die Altersgrenze ist da. Das zählt." Die Angestellten sind anderweitig untergebracht. Das sei wichtig.
Und es sei mit Absicht ein schleichender Vorgang gewesen. Die Öffnungszeiten der Bäckerei Helmut Ruß wurden verkürzt. "Wir müssen uns noch an den veränderten Lebensrhythmus gewöhnen", sagt Helmut. Sie hätten beide schon immer Montag bis Samstag gearbeitet. Um 5.30 Uhr wurde das Geschäft geöffnet, täglich um 4.10 Uhr läutete bei Ute der Wecker. Helmut war schon früher dran. Aufstehen um 2.30 Uhr, in die Backstube gehen, backen bis 13 Uhr. Und jeden Abend marschierte er in die Backstube, um die Backzutaten für den nächsten Tag vorzubereiten.
Endlich länger Urlaub machen
Ab Weihnachten hätten sie nun Zeit für sich und können selbst bestimmen, wann sie was machten. "Das ist unser persönliches Weihnachtsgeschenk." Bei diesen Gedanken strahlt Helmut und Ute. Wobei es eine kleine Einschränkung gibt, wie die beiden erzählen. Bis Ende des Schuljahres stehen noch Lieferungen an Schulen in Bad Neustadt an. Aber das machen sie noch gerne.
Dann geht es ab in den Urlaub. So wie jedes Jahr fahren sie nach Dänemark zum Buggykiting. Früher waren es eine Woche, seit einigen Jahren gönnten sie sich zwei Wochen Urlaub im Jahr. Und jetzt, wenn die Bäckerei geschlossen ist, wollen Helmut und Ute Ruß das erste Mal drei Wochen Urlaub in Dänemark machen. In einem gemieteten Haus, mit viel Ruhe und Gemütlichkeit. Sie wollen Kochen, Lesen und Kiting. Darauf freuen sie sich sehr.
Helmuts Hobby wartet schon
Aber auch zu Hause in der Roßmarktstraße wird keine Langeweile aufkommen. "Helmut ist ein begnadeter Schreiner", strahlt Ute ihren Mann an. Im Haus befindet sich "das Rumpele". Helmuts geliebter Rückzugsort. Dort hat er sich eine kleine Schreinerei eingerichtet, als Hobby, zum Reparieren und zum "ein wenig mit Holz arbeiten", wie er lachend bestätigt.
Ein kleines Standbein werden jedoch beide behalten. Ihr erfolgreiches Teehaus im Nebengebäude wird weiter laufen und auch die Online -Teebestellungen werden bedient. "Das läuft richtig gut", freut sich Ute. Es war wohl ihre Idee, vor vielen Jahren neben der Bäckerei noch einen Teeladen zu betreiben.
Der Werdegang der Bäckerei Ruß
Der Werdegang der Bäckerei Ruß und damit auch Helmuts ist schnell erzählt: 1961 kam Helmuts Vater Roman Ruß nach Bad Neustadt und kaufte über verwandtschaftliche Vermittlung die Bäckerei Bader in der Roßmarktstraße. Bis 1992 war Roman der Chef. Immer an seiner Seite sein Sohn und Bäckermeister Helmut. Die Übergabe an Helmut erfolgte nahtlos im Jahr 1992.
Seine Ehefra Ute, die eigentlich aus einer anderen Branche kommt, hatte sich schnell mit Hilfe der Familie und hier besonders ihrer Schwiegermutter Hilaria eingelebt. Die jungen Leute investierten, kauften einen neuen Backofen und auch der Laden wurde schick und modern umgestaltet. Im Hintergrund halfen der Seniorchef und seine Frau aber immer noch mit.
Besonders der Schulverkauf lag beiden am Herzen. Inzwischen stemmen Helmut und Ute die Bäckerei und den Verkauf fast allein. "Bis vor zehn Jahren habe ich immer drei Azubis in der Backstube und zwei im Verkauf ausgebildet", erzählt Helmut stolz. Sehr gefreut hätten sie sich über den Einstieg von Sohn Florian in den Betrieb. Sohn Stefan hatte sich beruflich anderweitig orientiert.
Was hat es mit der Dinkelnische auf sich?
"So eine Bäckerei kann man nur führen, wenn die ganze Familie mitzieht", betont Ute und berichtet von "ihrer Dinkelnische", die gut von den Kunden angenommen wurde. "Wir backen sehr viel mit Dinkel und sind daher sehr gut sortiert", sagte sie stolz. Außerdem mussten sie vor Jahren die Entscheidung treffen, ob sie sich vergrößern wollten. Sie entschieden sich dagegen. "Lieber klein und fein", sagen sie heute genau wie damals. Gerne denken beide an die Zeit in den 90er Jahren zurück. Damals organisierte Ute zwei Straßenfeste und ein Weihnachtsfest. "Es kam gut an. Alle haben mitgemacht", freut sich Ute immer noch.
Nachbarschaftshilfe der besonderen Art
Und etwas ganz Besonderes zeichnet Ute in der heutigen Zeit aus. Sie achtet auf ihre Nachbarn. "Es ist mir ein persönliches Anliegen", sagte sie, "miteinander zu leben und aufeinander zu achten." Denn seit vielen Jahren kümmert sie sich um alleinstehende Damen und Herren in ihrer Nachbarschaft auf besondere Weise. Jeden Morgen um halb neun Uhr rufen die allein lebenden Nachbarn bei ihr an und melden sich mit "Hallo" oder "Guten Morgen Ute". Wenn ein Anruf fehlt, geht Ute sofort zu demjenigen, um nach dem Rechten zu sehen.
Sie hat in ihrem Bäcker-Laden eine spezielle Schublade. Darin liegen die Schlüssel von den Wohnungen der allein stehenden Nachbarn. Und Ute schaut nach, ob Hilfe benötigt wird. "Es kam schon vor. Da war es gut, dass ich einen Schlüssel hatte", sagt Ute nachdenklich. Doch dann freut sie sich wieder auf den baldigen Ruhestand, den sie mit ihrem Helmut genießen wird, natürlich auch in Dänemark.