Die Einladungen haben nun wieder verstärkt zugenommen. Da eine Podiumsdiskussion, dort eine Führung - und in Meiningen eine Sonderausstellung. "Wahnsinn, Wende, Wiedervereinigung - Aufbruch und Begegnung in den Grenzkreisen Meiningen und Rhön-Grabfeld" - Hanns Friedrich ist überall dabei. Als Kulturreferent. Als Moderator. Als Zeitzeuge. Der 72-jährige Journalist aus Bad Königshofen ist momentan ein gefragter Mann.
"Dabei hab' ich doch nur meinen Job gemacht", sagt er beinahe entschuldigend. Ein mdr-Fernseh-Team ist mit ihm unlängst an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze entlanggefahren, hat gefilmt, Fragen gehabt und neue Erkenntnisse mitgenommen. "Es ist erstaunlich, wie wenig die Menschen vom Leben an der Grenze noch wissen", sagt Hanns Friedrich heute. Sein Leben hängt ganz eng mit den Realitäten des Eisernen Vorhanges zusammen.
Er hat als Bub erlebt, wie die Grenze dicht gemacht wurde. Welch' harter Einschnitt das in der deutsch-deutschen Geschichte war, bekam er als Heranwachsender mit. "Meine Mutter hat im Königshöfer Krankenhaus gearbeitet. Als ich sie mal von der Arbeit abgeholt habe, sah ich blutvermierte Stiefel in der Ecke stehen. 'Da hat wieder einer versucht zu flüchten', hat sie meinen fragenden Blick beantwortet."
Seither ließ ihn die Grenze nicht mehr los. Die erste Allein-Fahrt mit eigenem Auto ging an die Grenze. Die Arbeit als Redakteur beim Boten vom Grabfeld führte ihn häufig an die Grenze. "Ich habe den Bau der Grenzanlagen von Zimmerau bis Aidhausen dokumentiert. Habe Kontakte hüben wie drüben aufgebaut. Und Gottseidank damals meinen Hang zum Filmen ausleben können", blickt er zurück auf die eher ruhigen Zeiten im Zonengrenzbezirk. Er war zwischenzeitlich nicht nur Zeitungsjournalist, sondern auch Rundfunkreporter geworden.
Er fuhr nach Eußenhausen, um Trabis und Menschen aus der DDR zu begrüßen
"Ich hätte nie geglaubt, dass der Eiserne Vorhang mal fällt", sagt Friedrich, "auch nicht, als die ersten Demos durch Leipzig und Berlin gezogen sind". In seiner Kante, in der er sich auskannte, war das nicht vorgesehen. Als Günther Schabowski via TV seine berühmten Worte aussandte, hat er vom Bayerischen Rundfunk in Würzburg den Auftrag bekommen, nachzufragen, was sich da tue an der Grenze. "Ich hab in der Grenzpolizeistation Eußenhausen angerufen. Dort hat man Entwarnung gegeben. Wir wissen nix!", hieß es am Abend des 8. November vor 30 Jahren. Doch am Morgen des 10. November fuhr Friedrich nach Eußenhausen. Trabis und Menschen aus der DDR diesseits des Zaunes begrüßen.
Dann ging es Schlag auf Schlag. Trappstadt, Eicha, Melpers - überall wo der Maschendrahtzaun aufgemacht wurde, war Hanns Friedrich vor Ort. Mit Zeitungsblock, Foto- und Super-8-Filmkamera. "Die Situationen ähnelten sich. Blasmusik, herzliche Begrüßung, Menschen fallen sich um den Hals, eine Euphorie, die nun nicht mehr zu spüren ist!", merkt der Journalist kritisch an. "In Eicha hatten sie gerade Schlachttag. Die haben alles liegen und stehen gelassen und sind zur Grenze gekommen." Ein Gespräch mit einem Major der NVA bei der damaligen Grenzöffnung ist ihm noch heute in tiefer Erinnerung. "Sie stehen hier zur Hälfte auf dem Territorium der DDR. Das ist verboten!", habe der Offizier ihm bedeutet. Friedrich war der besseren Übersicht halber auf einen erhöhten Grenzstein gestiegen, um Fotos zu machen.
Einen Einblick in seine Stasi-Akte hat er erst unlängst beantragt
Wenige Tage später hat er den Major wieder getroffen. "Wir kennen Sie schon. Sie sind doch der Journalist!" Hanns Friedrich wusste seither, dass er bei seiner beruflichen Tätigkeit beobachtet wurde. Einen Einblick in seine Stasi-Akte hat er erst unlängst beantragt. "Ich hatte bislang Besseres zu tun", wiegelt er ab.
Und das Bessere hat etwas mit der Nachwelt zu tun, mit dem Berichtenswerten an und über die Grenze, mit dem steten Gedenken an den Eisernen Vorhang. Seine Zwillingssöhne wurden im Dezember 1989 geboren. Als beide zwei Jahre alt waren, stand Friedrich mit ihnen in Rieth an der ehemals deutsch-deutschen Grenze. "Wie kann ich den beiden beibringen, was diese Linie einmal für Deutschland bedeutete", fragte er sich selbst. Und fing an, Grenzrelikte zu sammeln. Zaun-Reste, Schlagbäume, Hinweisschilder. Sogar eine ganze Selbstschussanlage bekam er von der Grenzpolizei Mellrichstadt zur Verfügung gestellt. Auch aus der geschlossenen Info-Stelle bei Breitensee - die erste übrigens in ganz Deutschland in Zeiten des Kalten Krieges - holte er sich viel Anschauungsmaterial.
1993 eröffnete er das unterfränkische Grenzmuseum
Mit all dem eröffneten er und Reinhold Albert, Grenzpolizist und Kreisheimatpfleger in Rhön-Grabfeld, 1993 das 1. unterfränkische Grenzmuseum im Bad Königshöfer Kurzentrum. 1995 veröffentlichte er seinen Film "Als Zaun und Minen Menschen trennten". Die Nachfrage damals nach Museum und Film sei mau gewesen, erinnert sich Friedrich.
"Es hat 25 Jahre gedauert, bis man begriff, welcher Geschichtsschatz sich im Grabfeld befindet." Mit Hilfe von Bezirksheimatpfleger Klaus Reder, einem gebürtigen Untereßfelder, wurden die Exponate 2006 in die Museen in der Schranne integriert. Dort werden sie im Museum für Grenzgänger ausgestellt. Seit 2010 führt auch der zehn Kilometer lange Grenzgängerweg am Spanshügel unweit von Bad Königshofen Reste von Zaun und Grenzanlagen direkt vor Augen.
Ein weiterer Film, "Todeszaun", den Friedrich seinen Kindern gewidmet hat, wird mittlerweile häufig von Schulen ausgeliehen. Das Rhön-Gymnasium Bad Neustadt, Schulen aus Würzburg und Suhl sowie verschiedene Institutionen aus Bad Kissingen, den Haßbergen, Schweinfurt und Main-Spessart kommen regelmäßig mit Gruppen vorbei. Auch Japanern und Italienern hat Hanns Friedrich schon die Relikte der Grenze gezeigt. "Wenn ich mal ganz viel Zeit habe, dann schreibe ich ein Buch", sinniert er. Mit Anekdoten wie dem grenzüberschreitenden Hund West, der sich eine Hundedame Ost auserkoren hatte, oder dem Pfarrer aus Mendhausen, der von seinem West-Kollegen mit einem erleuchteten Christbaum am Kirchturm gegrüßt wurde. Geschichten kennt er zur Genüge.
In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, dass der Journalist Hanns Friedrich am 8. November beim Grenzpolizisten Ippach in Henneberg angerufen habe. Das stimmt so nicht. Ippach war erstens Grenzer in Eußenhausen, zweitens zu dieser Zeit schon in Ruhestand. Wir haben den Fehler im vorliegenden Text berichtigt.