Winfried Kretschmann mag es im Wahlkampf gern mal eine Nummer kleiner. 50 ehrenamtlich engagierte Bürger aus dem Main-Tauber-Kreis, Tafel-Mitarbeiter, Streiter für Amnesty International, in der Mehrzahl aber Flüchtlingshelfer, haben die Grünen zu einer geschlossenen Veranstaltung mit ihrem Ministerpräsidenten am Donnerstagvormittag ins ökumenische Kirchenzentrum auf dem Wartberg nach Wertheim geladen. Ein fast schon intimer Kreis, der da mit Kretschmann diskutiert. Ein Kreis, in dem der Ministerpräsident von Baden-Württemberg außer Sympathie für seine Ehrlichkeit nicht viel gewinnen kann.
Aber gut möglich, dass solche Bescheidenheit seinen Erfolg ausmacht. Wer gedacht hatte, der historische Sieg vor fünf Jahren, als Kretschmann zum ersten Grünen-Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt wurde, sei allein dem Umstand geschuldet gewesen, dass wenige Tage zuvor ein Tsunami das Atomkraftwerk in Fukushima zerstörte, der reibt sich dieser Tage verwundert die Augen. Mit jeder neuen Umfrage wird es wahrscheinlicher, dass der 67-Jährige am 13. März den Triumph von 2011 noch einmal wiederholen kann. Einige Demoskopen sehen Kretschmanns Partei, die Grünen, bereits vor der CDU.
Baden-Württemberg ist strukturkonservativ, ist Stammland der CDU. Trotzdem vertrauen laut einer Umfrage zwei Drittel der Union-Anhänger im Ländle dem grünen Landesvater. Ob ihm solche Zahlen manchmal nicht Angst machen? „Angst ist in so einem Amt ein schlechter Ratgeber“, antwortet Kretschmann trocken. Natürlich freut ihn solche Zustimmung, vom grünen Industrieschreck ist im Land von Daimler, Bosch und Co. schon lange nicht mehr die Rede. Mittlerweile ist es aus Unionssicht noch schlimmer gekommen. Kaum ein CDU-Politiker im Ländle steht so gradlinig an der Seite von Angela Merkel wie der grüne Ministerpräsident. „Nur Europa kann die Flüchtlingskrise wirklich lösen“, sagt er. Nationale Alleingänge gefährdeten diesen „Raum der Freiheit und des Friedens“. Deshalb unterstütze er die Bundeskanzlerin auf ihrem Weg in Deutschland und Europa. „Mit all meinen Kräften“, fügt er hinzu.
Merkel und Kretschmann, beide studierte Naturwissenschaftler, ähneln sich in ihrem Politikstil. Eitelkeit ist ihnen ziemlich fremd, beide regieren bemerkenswert unaufgeregt. „Ich denke, dass die Menschen an mir schätzen, dass ich dieses Land mit Weitsicht und mit Besonnenheit regiere und nicht jeder sterilen Aufgeregtheit hinterherrennen“, sagt Kretschmann im Gespräch mit der Redaktion. Ein Satz, den auch die Kanzlerin sagen könnte.
Spekulationen über mögliche Koalitionen wischt Kretschmann ebenfalls locker vom Tisch. „Im Moment sagen die Umfragen“, so Kretschmann, „dass durchaus gute Chancen bestehen, die grün-rote Regierung fortzusetzen.“ Dafür wolle er in den verbleibenden Tagen bis zum Wahlsonntag kämpfen. Entschieden die Wähler aber doch anders, müsse man sondieren und verhandeln, „wer es dann mit wem hinbekommt“. Und weiter: „Irgendjemand muss das Land ja regieren.“ Wenn dieser irgendjemand der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf sein sollte, dann wär's für den 67-Jährigen mit der Politik vermutlich vorbei. Minister unter Wolf werde er jedenfalls nicht, stellt er klar.
Zurück zum Treffen mit den Ehrenamtlichen in Wertheim. Eingerahmt von lokalen Grünen-Vertretern wie Landtagskandidatin Birgit Väth, sitzt Kretschmann ein bisschen wie der Lehrer vor der Schulklasse. Nur dass dieser Lehrer oftmals keine Antworten geben, geschweige denn Lösungen bieten kann, wenn die Zuhörer von Kommunikationsproblemen mit den Behörden, von ihrem täglichen Kampf mit der Bürokratie berichten. Warum ein engagierter Helfer nicht festangestellt wird, nur weil er kein Sozialpädagogik-Studium hat? Warum Sprachkurse nicht besser koordiniert werden? Warum es unmöglich ist, einem Ehrenamtlichen, der Flüchtlinge zu Ärzten fährt, das Kilometergeld zu ersetzen, wo Fahrten mit dem Krankenwagen doch viel teurer kommen? Warum ein Asylbewerber aus Külsheim nicht zu seiner schwangeren Frau nach Dresden ziehen darf? Warum?
Für Winfried Kretschmann gibt es in dieser Fragerunde keinen Blumentopf zu gewinnen. Solch massive Beschwerden über den Umgang mit Ehrenamtlichen höre er zum ersten Mal, bekennt er. Konkrete Lösungen habe er nicht. Er werde aber dafür sorgen, dass die operativ Zuständigen im Landratsamt und im Regierungspräsidium von den Klagen im Main-Tauber-Kreis erfahren, sich dann mit den Helferkreisen zusammensetzen und Antworten geben.
Frust gehöre wie die Lust zum Ehrenamt auch dazu, sagt Kretschmann. Gleichzeitig appelliert er an die Mitarbeiter der Verwaltungen, in Krisenzeiten gesetzliche Bestimmungen großzügig im Interesse der Bedürftigen und der Helfer auszulegen. „Es muss klar sein, dass wir Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren als Bereicherung empfinden und nicht als Störenfriede.“ Schöne Worte, die nicht alle Zuhörer zufriedenstellen. Ein bisschen mehr konkrete Zusagen habe er schon erwartet, sagt beispielsweise Volker Herm vom Asylkreis Bad Mergentheim. Es wäre gut gewesen, sagt er, Kretschmann hätte den einen oder anderen zuständigen Minister mitgebracht.
Der Ministerpräsident merkt, dass sich Unzufriedenheit breitmacht im Saal. Kein gutes Ende für einen Wahlkampf-Auftritt. Doch Kretschmann ist Profi und verabschiedet sich mit einem Plädoyer für eine „wehrhafte Demokratie“, für einen Staat, der „klare Kante zeigt“ gegen ausländische Straftäter wie in Köln, aber auch gegen Ausländerfeinde, die Brandsätze werfen. Da ist ihm Beifall sicher. Und vorsichtshalber setzt der grüne Landesvater – man muss es mit der Bescheidenheit nicht übertreiben – noch einen drauf.
Eine „engagierte Zivilgesellschaft“ sei wichtig, sie müsse aber „gut regiert“ werden, „zum Beispiel durch uns“.