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Tauberbischofsheim/Bad Mergentheim
Fränkischen Nachrichten wurde Veröffentlichung eines Gerichtsartikels untersagt: Pressefreiheit verletzt?
Nach einer gerichtlichen Eilentscheidung mussten die Fränkischen Nachrichten einen kompletten Prozessbericht aus dem Netz nehmen. Der Verlag wehrt sich - vor Gericht.
Die Fränkischen Nachrichten aus Tauberbischofsheim gehen gegen eine gerichtliche Verfügung vor.
Foto: Getty Images, FN / Montage: Daniel Biscan | Die Fränkischen Nachrichten aus Tauberbischofsheim gehen gegen eine gerichtliche Verfügung vor.
Claudia Schuhmann
 |  aktualisiert: 29.04.2024 02:42 Uhr

Am Amtsgericht Bad Mergentheim läuft derzeit ein Strafprozess gegen einen Physiotherapeuten, dem sexueller Missbrauch vorgeworfen wird. Die Fränkischen Nachrichten (FN), die im Main-Tauber-Kreis erscheinen, haben darüber kontinuierlich berichtet – bis Ostern. Seitdem ist über den Prozess keine Zeile mehr erschienen.

Denn am 29. März, an Karfreitag, erließ das Bereitschaftsgericht in Saarbrücken in einem Eilverfahren eine einstweilige Verfügung, die dem Verlag unter anderem die Veröffentlichung eines kompletten Artikels untersagt. Ein Unding, sagt FN-Chefredakteur Fabian Greulich. Er sieht die Pressefreiheit eingeschränkt. Der Verlag mit Sitz in Tauberbischofsheim hat Widerspruch eingelegt. Über diesen wird an diesem Mittwoch, 24. April, am Landgericht Mosbach verhandelt, an das das Verfahren verwiesen worden ist.

Das Verbot eines kompletten Artikels ist ungewöhnlich

An der Berichterstattung der Fränkischen Nachrichten kritisiert Charlotte Warken-Luxenburger, die Verteidigerin des Angeklagten, unter anderem, ihr Mandant sei dadurch unzulässigerweise identifizierbar. Außerdem seien entlastende Umstände nicht ausreichend erwähnt, ihr Mandant sei vorverurteilt worden. Um zu erreichen, dass die Zeitung die beanstandeten Äußerungen unterlässt, hatte sie die einstweilige Verfügung beantragt - kein unübliches Vorgehen, wenn Betroffene Presseberichte über sich für unzutreffend halten.

Ungewöhnlich an dem Beschluss aber ist dessen Reichweite. Dem Verlag wird untersagt, den kompletten Online-Beitrag vom 28. März zu verbreiten. Zudem muss das Medienhaus sieben einzelne Äußerungen unterlassen. Der Sprecher des Amtsgerichts Saarbrückens will sich auf Nachfrage zu dem Beschluss inhaltlich nicht äußern. In dringenden Fällen könne ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, wenn andernfalls "die Gefahr des Rechtsverlustes infolge der dadurch eintretenden zeitlichen Verzögerung erheblich verstärkt würde".

Verlag beklagt zu kurze Frist zur Stellungnahme

Die Fränkischen Nachrichten haben den betreffenden Beitrag von ihrer Internetseite entfernt, sowie auch vorherige Berichte über den Prozess. Im Ergebnis bewirkt der Beschluss, dass die Redaktion über das Verfahren gegen den Physiotherapeuten vorerst überhaupt nicht mehr berichten kann. Denn ohne einige der untersagten Äußerungen könnte die Verhandlung nur schwer ausreichend geschildert werden.

Chefredakteur Fabian Greulich hält schon das Zustandekommen des Beschlusses für problematisch: Am Karfreitag ging um 14 Uhr beim Justiziar des Verlags ein Schreiben des Bereitschaftsrichters ein, mit der Bitte, innerhalb von drei Stunden zu dem Antrag Stellung zu nehmen.

Eine solche Frist sei viel zu kurz, um angemessen reagieren zu können, erklärt Rechtsanwalt Dr. Malte Nieschalk von der Berliner Kanzlei Johannes Weberling, die die Main-Post in presserechtlichen Angelegenheiten berät. Das "grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit" gewährleiste, dass eine Partei eine angemessene Möglichkeit hat, ihre Position bei Gericht vorzubringen, sagt Nieschalk. Zudem könnten immer nur einzelne Äußerungen, keinesfalls jedoch ganze Artikel, Gegenstand eines gerichtlichen Äußerungsverbots sein.

Verteidigerin: Beschluss ist zu Recht ergangen

"Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie schnell es möglich war, uns an einem Feiertag mal eben so aus dem Verkehr zu ziehen. Auf der anderen Seite dauert es Wochen, bis über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses entschieden wird", sagt Greulich. Die Berichte über den Prozess hält er nicht für vorverurteilend oder identifizierend.

Rechtsanwältin Warken-Luxenburger teilt auf Nachfrage mit, aus ihrer Sicht sei der Beschluss zu Recht ergangen. Die Berichterstattung der Fränkischen Nachrichten beinhalte eine Aneinanderreihung von aus dem Zusammenhang gerissenen und daher falschen Äußerungen. In einem solchen Fall bleibe nichts anderes als ein Verbot eines gesamten Artikels, auch wenn dies in der Regel nicht möglich sei.

An diesem Mittwoch soll das Landgericht Mosbach über den Widerspruch des Verlags entscheiden.  

 
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  • Martin Deeg
    …“Denn am 29. März, an Karfreitag, erließ das Bereitschaftsgericht in Saarbrücken in einem Eilverfahren eine einstweilige Verfügung“…..

    Weshalb wurde hier ein Gericht in Saarbrücken zuständig, wenn es um eine Verhandlung in Bad Mergentheim geht?

    Selbst bei „fliehendem Gerichtsstand“ im Zusammenhang mit Online-Veröffentlichungen fordern Gerichte mittlerweile mit Hinweis auf BGH-Urteil einen „Bezug“ zum angerufenen Gericht, so aktuell erlebt beim LG Hamburg.
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  • Martin Deeg
    „fliegendem Gerichtsstand“
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  • Manfred Ulsamer
    Weil die Rechtsanwältin im Saarland in einer Kanzlei beschäftigt ist? Da ist der Weg kürzer als nach Mergentheim!
    Außerdem in der Kanzlei tätig ist Nina Warken. Direkt gewählte MdB für den Wahlkreis Odenwald-Tauber. Für sie wäre der Weg nach MGH aber kürzer gewesen!
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  • Martin Deeg
    Das erklärt einiges, danke für die Info.

    Allerdings erledigt sich durch den Standort der Kanzlei m.E. nicht die Frage der sachlichen Zuständigkeit, v.a. da ja Anträge und Schriftsätze mittlerweile digital eingereicht werden.

    …“für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist erforderlich, dass die angegriffene Internetveröffentlichung einen Bezug zu dem Ort des angerufenen Gerichts …aufweisen muss“….

    Quelle: LG Hamburg zu OLG Brandenburg, Urteil v. 28.11.2016, 1 U 6/16
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