Montag vor zwei Wochen. Gerade hat sich eine blecherne Stimme durch die Lautsprecher am Bahnhof für die Verspätung eines Zuges entschuldigt. Er werde jetzt aber wirklich gleich kommen. Da klingelt mein Handy. Wilko van Rijn, Wonnemar-Chef, steht auf dem Display. "Wissen Sie eigentlich, was hier gerade los ist?", fragt er.
In Marktheidenfeld machte Anfang Juli ein Gerücht die Runde. Das Wonnemar, das einzige Frei- und Hallenbad mit Therme, Sauna und Spa im Landkreis, soll insolvent sein. Ich fragte bei van Rijn nach, er widersprach den Gerüchten vehement. Daraus machte ich eine kurze Meldung. Dass und warum die Corona-Situation für das Wonnemar und die dahinter stehende Interspa-Gruppe finanziell nicht einfach werden würde, hatte van Rijn ja schon in einem Gespräch zu Anfang der Freibad-Saison prophezeit.
"Meine Mitarbeiter sind wegen der Gerüchte und wegen des Artikels verunsichert, Kunden wollen sogar schon ihre Tickets zurückgeben", sagt van Rijn am Telefon. Der Zug fährt ein. Ich erwidere: "Aber ich habe Sie doch zitiert, dass nichts an den Gerüchten dran sei?" Van Rijn: "Aber allein dass die Zeitung sich damit befasst, lässt einige das glauben!"
Das Marktheidenfelder Wonnemar ist nicht insolvent
Ab Montag wird wieder die Therme, werden das Sport- und das Spaßbad öffnen – ab Donnerstag dann auch der Spa-Bereich. Während andere Hallenbäder es nicht geschafft haben – das "Callypso" in Saarbrücken ist insolvent, das "F3" bei Stuttgart musste von der Kommune zurückgepachtet werden –, sei das Marktheidenfelder "Wonnemar" bisher relativ gut durchgerutscht, sagt van Rijn, als wir zum Abschluss der Freibad-Saison ausführlich telefonieren. Das Freibad sei in Anbetracht der Situation gut besucht gewesen, bei der Campingnacht allein waren es 180 Menschen. Das Hygienekonzept habe gut funktioniert. Die Besucher hätten sich vorbildlich daran gehalten.
Das sind gute Nachrichten. Sie bedeuten jedoch nicht, dass die wirtschaftliche Situation des Wonnemar herausragend ist. Dem Bad geht es eigentlich genauso, wie den meisten anderen Betrieben der Freizeitbranche. Da ist van Rijn ganz direkt: "Vom Betrieb des Freibades ist nicht ein Euro Gewinn übrig geblieben." Es überhaupt zu öffnen, wäre ohne die finanzielle Hilfe der Stadt schwierig gewesen. Das hatte er schon vor zehn Wochen gesagt. Dafür konnte van Rijn jedoch einige, nicht alle, Mitarbeiter aus der Kurzarbeit holen und damit hoffentlich auch halten. "Ich hab hier auch Familienväter mit drei Kindern und Frau. Die müssen versorgt sein."
Dass eine Branche wirtschaftlich am Boden liegt, bedeutet nicht, dass ein Unternehmen wie das Marktheidenfelder Wonnemar gleich insolvent sein muss. Genau solche Situationen produzieren aber Gerüchte, welche wiederum genau dann zu einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung werden können. Konkreter: Wären genug Leute wegen des Insolvenz-Gerüchts nicht mehr ins Wonnemar gegangen, wäre das Bad möglicherweise tatsächlich insolvent gegangen. Oder wie es der ehemals in Würzburg lehrende Wirtschaftswissenschaftler Karl-Heinz Brodbeck schon vor 20 Jahren ausdrückte: "Es kann jede Meinung, wenn sie nur von vielen geglaubt wird, Handlungen auslösen, die sich ihre eigene Wirklichkeit erschaffen."
Wie entstanden die Gerüchte?
Das alles habe dem Bad nicht gut getan, sagt van Rijn. Sogar Lieferanten hätten ihn darauf angesprochen. Er wiederholt am Telefon, was er schon vor einigen Wochen sagte: "Wenn ein Unternehmen insolvent ist, dann ist die Tür zu." Wieso also konnten solche Gerüchte entstehen?
Dafür muss man einen Blick nach Ingolstadt werfen. Dort baut die Stadt gemeinsam mit der Interspa-Gruppe eine Therme um. Es kam zu einem Zerwürfnis, es folgte der Baustopp, jetzt verhandelt man über einen Ausstieg der Gruppe. Für Marktheidenfeld kam hinzu, dass das Hallenbad als einziges in der weiteren Umgebung noch nicht geöffnet hatte. Van Rijn wischt diese zwei Dinge relativ locker weg. In Ingolstadt habe es Probleme mit der Baufirma gegeben. In dieser Situation habe man das Geld einfach viel dringender für die anderen Bäder gebraucht. Außerdem lohne es sich wirtschaftlich einfach nicht, bei 40 Grad Celsius im Schatten, ein Hallenbad zu betreiben.
Es bleibt noch die Frage, wieso die Gerüchte erst nach einem Dementi so richtig Fahrt aufnahmen? Van Rijn erzählt, dass ihn Menschen noch immer darauf ansprechen würden. Die Erklärung dafür ist so einfach wie enttäuschend: Unsere Gehirne funktionieren einfach so. Genauer erklären das der Journalist Richard Gutjahr und die Psychologie-Professorin Lisa Fazio in einem gemeinsamen Vortrag: "Nur zu sagen, dass etwas falsch ist, bewirkt fast gar nichts in einem Gedächtnis, weil man sich viel mehr an eine Behauptung erinnert als an das kleine Label: falsch. Dieses Label bleibt nur ein peripherer Teil des Gedächtnisses und geht ganz einfach verloren, während die Kernbotschaft erhalten bleibt."
Uns Medien führt das in eine Zwickmühle: Berichtigen wir Gerüchte nicht, könnten sie sich unterschwellig weiter ausbreiten. Berichtigen wir, laufen wir Gefahr, die berichtigte Aussage weiter zu verbreiten und somit die Sache noch schlimmer zu machen.
So geht es jetzt im Herbst und Winter weiter
Zurück zum Wonnemar in Marktheidenfeld: Die Besucher werden sich ab Montag wieder darauf einstellen müssen, ihre Tickets online zu buchen. Für die Saunawelt gibt es es Vier-Stunden-Tickets sowie Tageskarten, für den Thermalbereich Fünf-Stunden-Tickets und für das Spaß- und Sportbad Drei-Stunden-Tickets und ein Familienticket. Nur das Spa kann man noch telefonisch buchen. Die Tarife wurden nun nach Anregung von Gästen nochmals überarbeitet, weswegen man die verschiedenen Angebote jetzt getrennt voneinander buchen kann.
Wie anfangs im Freibad wird es wieder Zeitfenster geben. Die Vorteile: In den Pausen wird alles desinfiziert und die stark eingegrenzten Kapazitäten lassen sich besser steuern Van Rijn rät deshalb, frühzeitig zu buchen. Geht es ums Schwimmen, bleibt alles wie aus dem Freibad gewohnt. Es wird wieder Armbänder an den Becken geben. Ins Sportbecken zum Beispiel dürfen 35 Menschen gleichzeitig, ins Thermalbad 40.
"Corona wird lange bleiben", sagt van Rijn. "Wir müssen deshalb erst einmal kleine Brötchen backen." Sein Ziel bleibt, die Mitarbeiter zu halten und am Ende bei Null rauszukommen, also die finanziellen und personellen Verluste zu minimieren. Dafür brauche das Wonnemar zuallererst eins, sagt er: Gäste und keine Gerüchte.