Heute erinnert sich Richard Rüppel aus Oberndorf (Bischbrunn) oft an die sehr bescheidenen Kriegs- und Nachkriegsjahre in seiner Jugend. Welche große Freude konnte man damals den Kindern mit einfachen Geschenken machen. Oft wurden diese im Frühjahr weggeräumt und kamen am nächsten Weihnachtsfest wieder frisch verpackt oder renoviert als "neues" Geschenk unter den Christbaum.
Wenn er heute die vielen und teils hochmodernen Spielzeuge der Enkel – nicht nur an Weihnachten – sieht, fragt er sich oft: Sind meine Enkel heute froher und glücklicher, als ich es 1943 mit meinem Schaukelpferd war? Wer kann auch schon von sich behaupten, dass er ein vom Vater handgefertigtes Schaukelpferd aus der Ukraine per Feldpost zum Geburtstag an Weihnachten erhalten hat. Rüppel erzählt die Geschichte wie folgt:
Ein besonderes Geburtstagsgeschenk
"Es war im Sommer 1943 als mein Vater nach zwei Jahren Kriegseinsatz zum ersten Mal Heimaturlaub hatte. Ich erkannte ihn nicht mehr, als er mit seiner grauen Wehrmachtsuniform zur Türe hereinkam. Doch meine vier Jahre ältere Schwester – ich war damals erst dreieinhalb Jahre alt – erkannte ihn sofort wieder und bestätigt seine Identität. In diesem Urlaub beschlossen meine Eltern, mir zu meinem vierten Geburtstag kurz vor Weihnachten, ein Schaukelpferd zu schenken.
Da mein handwerklich sehr begabter Vater wusste, dass er noch länger in Charkow bleiben musste, baute er dort zusammen mit Kameraden in der Werkstatt ein Schaukelpferd zusammen. Es war sehr professionell, sodass man merkte, dass viele Talente beteiligt waren. Es sollte in etwa sechs bis acht Einzelteilen mit der Feldpost rund 2500 Kilometer in die Heimat verschickt werden.
So entstand in der Zeit ein reger Schriftverkehr zwischen meinen Eltern. Meine Mutter musste immer bestätigen, dass das Teil auch angekommen ist. Wenn eines gefehlt hätte, wäre es mit dem Schaukelpferd zum Geburtstag an Weihnachten vorbei gewesen. So kamen in größeren Zeitabständen die Feldpostpakete in Oberndorf an. Was zum Schluss fehlte waren die Kufen. Dies, obwohl mein Vater versicherte, sie abgeschickt zu haben.
In ihrer Not bat meine Mutter kurz vor Weihnachten einen benachbarten Schreiner, der sowieso das Pferd zusammenleimen sollte, zwei Kufen anzufertigen. Sie waren dann halt naturbelassen. Die anderen Teile kamen fertig lackiert aus Charkow an: Hellgrau mit schwarzen Tupfen. Sogar der Leim wurde mitgeliefert, denn den gab es damals in der Heimat nicht. So hatte ich an Weihnachten 1943 zu meinem vierten Geburtstag mein Schaukelpferd aus Charkow.
Ich war sehr froh, dass mir mein Vater von der "Front" ein so schönes Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk mit so viel Liebe geschickt hat. Das Schaukelpferd stand viele Jahre in unserem Wohnzimmer und wurde fleißig von mir und meinen Freunden "geritten". Die knarrenden Holzdielen machten die Begleitmusik, denn Teppichboden oder ähnliche schalldämmende Bodenbeläge gab es nicht. Die beiden Kufen kamen übrigens im Frühjahr 1944 doch noch sehr verspätet in Oberndorf an."
Es ist unklar, was aus dem Schaukelpferd wurde
Beim späteren Hausbau, Rüppel war auch schon größer, musste sein geliebtes Schaukelpferd "ausziehen". Ob es auf einem Speicher oder der Scheune "überlebt" hat, weiß Rüppel leider nicht mehr. An Weihnachten denkt er gerne mit Freude und Wehmut an sein geliebtes "Schaukelpferd aus Charkow" zurück.