Junge Menschen wollen Party machen, wollen Spaß, Musik, Abenteuer, wollen das für die letzte Prüfung Gelernte schnell hinunterspülen. Alles cool und easy. Kein Stress. Schnell gilt als Spielverderber, wer nicht so gut drauf ist, wem es schlecht geht, wer „beschissene Gedanken“ hat. An wen sollen sich junge Leute wenden, die an ständiger akuter Traurigkeit, an Verstimmungen oder Depressionen leiden? Das BRK-Selbsthilfebüro hat im November auf Initiative eines Betroffenen hin in Lohr eine Selbsthilfegruppe speziell für junge Erwachsene gegründet.
Der 31-jährige Initiator, selbst von Kindesbeinen an betroffen, sagt, es sei nicht so, dass die Gruppe nur herumsitze und alle ein langes Gesicht machten. Zwar sollen sich depressive junge Menschen in ungezwungener Atmosphäre die Probleme von der Seele reden können. Aber dabei werde sehr wohl auch gelacht. Beim Gespräch mit der Redaktion wirkt er auch ganz fröhlich.
Sich gegenseitig auffangen und stützen
Man tausche in der Gruppe Tipps aus, fange sich gegenseitig auf und stütze sich, erzählt er. Oft werde aber einfach drauflos gequatscht. Was die Teilnehmer zwischen 18 und Mitte dreißig in der alle zwei Wochen stattfindenden Runde erzählen, sei vertraulich und bleibe selbstverständlich auch in der Runde.
Sozialpädagogin Simone Hoffmann vom BRK-Selbsthilfebüro erklärt, warum jetzt eine Selbsthilfegruppe speziell für depressive junge Erwachsene gegründet wurde, denn Selbsthilfegruppen für Depressive gibt es in Lohr und Karlstadt bereits. Zum einen gehören junge und ältere Erwachsene einer anderen Generation an, befinden sich in einer anderen Lebensphase, zum anderen befindet sich womöglich auch ihre Depression in einer anderen Phase, sagt sie.
„Überhaupt nix Gezwungenes“
Das sieht auch ein 50-jähriger Unterstützter der Gruppe, der 2011 die Karlstadter Selbsthilfegruppe gegründet hatte, so. Während junge Leute vielleicht zum ersten Mal eine Depression haben und sich zum ersten Mal damit befassen müssen, hätten sich Betroffene seiner Generation, zu denen er selbst gehört, oft schon seit Jahren mit dem Thema befasst.
Die von ihm gegründete Selbsthilfegruppe habe nichts mit einem Anonyme-Alkoholiker-Klischee zu tun. Es habe „überhaupt nix Gezwungenes“. Genauso wenig wie bei der jungen Gruppe in Lohr.
Die beiden Betroffenen und Sozialpädagogin Hoffmann finden es wichtig, dass das Thema Depression stärker an die Öffentlichkeit kommt, damit die Hemmungen, Hilfe zu suchen, für Betroffene abgebaut werden. Damit Betroffene auch entstigmatisiert werden und es nicht gleich heißt, dass jemand wohl einen an der Klatsche hat, nur weil er zur Behandlung einer akuten Depression mal im Lohrer BKH – verächtlich „Lohr links/Oschdald“ genannt – war. Auf dem Land sei so etwas ein Problem. In der Stadt, das fange in Würzburg an, wo es schon zwei, drei Gruppen für jüngere Depressive gibt, werde mit dem Thema Depression offener umgegangen.
Bei vielen beginnt es mit einem Burnout
Oft beginnt eine starke Depression mit einem Burnout. So war es sowohl bei dem 31-jährigen Initiator der jungen Lohrer Selbsthilfegruppe als auch bei dem 50-Jährigen. Der 31-Jährige hatte zwar schon immer eine gewisse Melancholie verspürt, hatte „beschissene Gedanken“, wie es auf Werbekarten für die Selbsthilfegruppe heißt.
Zum ersten Mal richtig schlimm wurde es für ihn dann nach dem Abi, als der Stress und Druck weg war. „Da haut die Depression richtig rein.“ Ein Burnout durch Überarbeitung mit vielen Überstunden hat ihm dann später richtig die Schuhe ausgezogen. Auch bei dem 50-Jährigen hat es mit Mitte 20 so begonnen. Bei einem Burnout habe eine Depression leichtes Spiel, meint er.
Sozialpädagogin Hoffmann findet es wichtig, dass Betroffene lernen, „gut für sich zu sorgen“, an sich zu denken, sich nicht unter Druck setzen zu lassen.
Aktuell sind sie in der jungen Selbsthilfegruppe zu viert – zwei Männer, zwei Frauen. Hoffmann sagt mit Ironie: „Es gibt in Main-Spessart keine jungen Menschen mit Depression.“ In vielen Fällen rufen Eltern an, die sich um ihre Kinder Sorgen machen, die offenbar eine Depression haben. Aber oft wollen ihre Kinder, häufig schon über 20, nicht. Hoffmann: „Den Anrufen der Eltern nach müsste die Bude hier voll sein.“
Persönlich sprechen, nicht nur per Mail
Der 31-jährige Gruppengründer erkennt bei vielen jungen Leuten eine gewisse Angst, andere zu treffen, denen es genauso geht, und anders als per Mail über Probleme zu sprechen. Er fragt sich auch, ob der Begriff „Selbsthilfegruppe“ abschrecke. In den USA, wo es die ersten Selbsthilfegruppen gab, sei so etwas „etwas ganz Selbstverständliches“.
Er findet die Selbsthilfegruppe gut als Ergänzung zum Gang zum Psychologen, auch in der oft langen Wartezeit auf eine Therapie. Selbstverständlich könne auch einfach jeder kommen, dem es schlecht geht, und sei es nur für ein paar Monate. Der 50-Jährige aus dem Raum Karlstadt sieht noch einen Punkt als wichtig an: Eine Therapie sei sinnvoll, aber „man kann mit Gleichgesinnten ganz anders darüber sprechen“.
Kontakt: Wer sich für die zweimal pro Woche stattfindende Selbsthilfegruppe für junge Erwachsene interessiert, der kann über die Mailadresse beschissenegedanken@gmx.de Kontakt aufnehmen.