Auf dem ehemaligen Gelände der Firma Ehrenfels Isoliertüren in Karlburg sollen Wohnhäuser gebaut werden. Im vergangenen Jahr wurden die Produktionshallen abgerissen. Die Stadt Karlstadt hat mit rund 5000 Quadratmetern einen Großteil der Fläche gekauft. Doch der Prozess stockt. Im Boden gibt es Überreste der früher dort verarbeiteten Holzschutzmittel. Es geht darum abzuklären, wie hoch die Werte sind.
Da die Stadt Auftraggeberin der Untersuchungen ist, ist sie auch erster Ansprechpartner. „Wir haben hier wirklich keinen Dioxin-Schadensfall", hatte Bürgermeister Paul Kruck noch im April gesagt. Bis Ende April sollten da nach Einschätzung der Verwaltung Untersuchungsergebnisse vorliegen. Inzwischen ist der November vorüber.
Nur Spuren von Dioxinen
Am 7. November bohrte Stadtrat Gerhard Kraft nach: Seit August solle ein Gutachten vorliegen. Er wollte das Thema im öffentlichen Sitzungsteil behandelt sehen. Doch der Bürgermeister sah das anders. „Ich bin der Meinung, dass noch nichts veröffentlicht werden muss.“ Die Fachbehörden sollten das erst bewerten. Und teilweise werde nachuntersucht. Es seien Spuren von Dioxinen gefunden worden, aber kein Richt- oder Grenzwert sei überschritten worden.
Das Landratsamt bestätigt, dass in der Summe 1,84 Nanogramm (Milliardstel) Dioxine und Furane pro Kilogramm Boden (ng/kg) ermittelt wurden. In der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung gilt ein „Maßnahmewert“ von 1000 ng I-TE/kg (Erklärung dieser Benennung im Stichwort) für Wohngebiete. Selbst wenn man den „Maßnahmewert“ für Kinderspielflächen von 100 ng I-TE/kg ansetzt, liegt der gemessene Wert noch weit darunter.
Betroffener Ex-Mitarbeiter
Wie Kruck ausführt, hat ein von der Stadt beauftragtet Gutachter vom Institut ISU eine sogenannte historische Recherche durchgeführt. Dazu habe neben der Auswertung der Bauakten einschließlich Luftbildern auch eine Befragung bei der Firma Ehrenfels zu den eingesetzten Verfahren und Chemikalien gehört. Aufgrund dessen habe der Gutachter einen Plan zur Beprobung des Geländes erstellt, Bodenproben entnommen und untersucht.
In dieser Phase habe Peter Röder unter Berufung auch Angaben als ehemaliger Mitarbeiter gemacht, die dann in die Untersuchungen einbezogen wurden. Röder selbst erklärt, er habe die Stadt Karlstadt im Januar 2017 über eine mögliche Belastung mit PCP und somit mit Dioxinen informiert. Er gehört der „Initiative kritischer Umweltgeschädigter e.V.“ (IKU) an. Wie er berichtet, arbeitete er von 1978 bis 1982 bei Isoliertüren Ehrenfels unter anderem mit Holzschutzmitteln und hier vor allem mit Xylamon, das zu jener Zeit üblicherweise Lindan und Pentachlorphenol (PCP) enthielt. Damit waren auch Dioxine enthalten – als Verunreinigung des PCP.
Röder war mit den Messergebnissen überhaupt nicht zufrieden. Die Proben seien an der falschen Stelle und in der falschen Tiefe gezogen worden. Er hat daher selbst Bodenproben genommen und nach seinen Angaben beim Hamburger Labor Eurofins untersuchen lassen. Das Ergebnis dieser Probe fällt mit rund 10 ng TE/kg höher aus als das der Stadt, ist aber ebenfalls weit unter dem „Maßnahmewert“.
Nun besteht Röder darauf, für Dioxine dürfe es gar keine Grenzwerte geben: „Das sind politisch festgelegte Werte.“
Außerdem fordert er in einem Schreiben am 9. November ans Landratsamt: „Es sind Rasterbohrungen . . . anzuordnen, welche den unterirdischen Strömungsverlauf des Grundwassers abdecken.“ Zudem erwarte er, dass eine Grundwasser-Messstelle eingerichtet wird.
Diese wurde laut Christian Drautz, dem zuständigen Abteilungsleiter am Wasserwirtschaftsamt für Main-Spessart, bereits im August „zum Ausschluss einer Grundwasserverunreinigung auf Basis der Ergebnisse der historischen Erkundung positioniert“.
Die Grundwasseruntersuchung habe auf den Nachweis einer Verunreinigung durch die Verwendung leichtflüchtiger halogenierter Kohlenwasserstoffe (LHKW) abgezielt. Die weiteren Untersuchungsparameter Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW) und Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) sollten mögliche Verunreinigungen des Grundwassers aus dem Auffüllmaterial zeigen.
Interessen an kleiner Teilfläche
Wie Herbert Walter, Leiter des Wasserwirtschaftsamts, mitteilt, hat die Stadt Karlstadt die Grundwasseruntersuchungen auf einem kleinen Teilstück veranlasst. Die Stadt würde dieses gerne zur Abrundung der geplanten Wohnbebauung zusätzlich erstehen. Die Auswertung der Ergebnisse der Grundwasseruntersuchungen soll Anfang Dezember vorliegen. Danach will das Wasserwirtschaftsamt eine Stellungnahme gegenüber dem Landratsamt abgeben.
Röder mutmaßt auch, dass beim Abbruch die Entsorgung des Estrichs gesetzeswidrig vonstatten gegangen ist. Im Jahr 2000 hatte man dort auf einer neun Quadratmeter großen Fläche, wo früher das Holzschutzmittel verarbeitet wurde, 8,5 Gramm PCP pro Kilogramm Estrich gefunden. Dieser Estrich wurde nicht entfernt, sondern stattdessen die Konzentration in der Atemluft gemessen. Dieter Ehrenfels, einer der Geschäftsführer, sagt, seinem Unternehmen sei es darauf angekommen, dass die Mitarbeiter nicht belastet werden. Diese Überprüfung hatte ergeben, dass in der Atemluft in diesem Raum 0,01 Mikrogramm (Millionstel Gramm) je Kubikmeter Luft enthalten sind. Der Grenzwert lag beim 100-Fachen.
War Estrich-Entsorgung okay?
Er habe keinen Hinweis erhalten, dass bei einer eventuellen späteren Entsorgung besondere Vorkehrungen zu treffen sind, sagt Ehrenfels. Im Landratsamt heißt es auf Nachfrage, das ehemalige Gebäude der Firma Ehrenfels Isoliertüren sei ein Gebäude der Gebäudeklasse 3 gewesen und der Abriss somit genehmigungsfrei. „Die Anzeige der Beseitigung war ausreichend. Diese ging beim Landratsamt Main-Spessart am 26. Januar 2016 ein.“
Stichwort: PCP und Lindan
Pentachlorphenol (PCP) und Lindan waren von den 1960er bis in die 1980er Jahre hinein die am weitesten verbreiteten Holzschutzmittel, enthalten beispielsweise in den allgemein gebräuchlichen Produkten Xylamon und Xyladecor.
PCP ist ein chlorierter, aromatischer Kohlenwasserstoff. Er wurde als pilzabtötendes Fungizid eingesetzt. Chlorphenole weisen hohe Verunreinigungen mit Dioxinen auf, schreibt das Umweltbundsamt.
Die Benennung I-TE bedeutet Internationales Toxizitätsäquivalent. Dabei werden unterschiedlichen Dioxine mittels Faktoren rechnerisch an die Giftigkeit des Sevesogifts (2,3,7,8 TCDD) angeglichen. Dieses hat den Faktor 1, reichert sich im Fettgewebe von Tieren und Menschen an. Die Halbwertzeit ist rund sieben Jahre.
Am bekanntesten wurden Dioxine in Europa durch das Dioxin-Unglück 1976 in einer Chemiefabrik im italienischen Seveso. Anschließend starben Tiere, Menschen bekamen Chlorakne. Die kontaminierten Häuser von 40 Familien mussten abgerissen werden. Nach 25 Jahren wurde ein Anstieg einiger Krebsarten sowie an Diabetes bei Frauen beobachtet.
PCP verdampft allmählich aus behandeltem Holz und lagert sich an Hausstaub, Tapeten, Putz, Möbeln, Textilien oder Büchern an. Es kann in öligen Lösungen Gummihandschuhe durchdringen. Seit 1985 galt eine Selbstverpflichtung der Industrie, PCP nicht mehr zu verwenden. Seit 1986 ist die Produktion von PCP in Deutschland ausgesetzt. Erst drei Jahre später erließ die Bundesregierung das PCP-Verbot. Es darf nur noch dann in Entwicklungsländer exportiert werden, wenn diese über das Gefährdungspotenzial informiert wurden und ausdrücklich zugestimmt haben.
Lindan ist ein Halogenkohlenwasserstoff, der bis Ende 2007 in der Europäischen Union als Insektizid eingesetzt werden durfte. Seitdem ist auch Lindan verboten. Seit 2015 ist es als krebserregend eingestuft, ist für Wasserorganismen giftig, wird nur langsam abgebaut und reichert sich in der Nahrungskette des Menschen an. Es gibt den Verdacht, dass Lindan als Nervengift Mitauslöser von Parkinson oder MS ist.
Betroffen sind nicht nur Handwerker, sondern vor allem Hausbewohner, die in Gebäuden leben, in denen die Holzschutzmittel eingesetzt wurden. Sie werden über die Atemluft eingenommen. Dass heute viele Gebäude aus Gründen des Wärmeschutzes abgedichtet werden, verschärft das Problem.
Lindan und PCP sind Abfallprodukte aus der Chlorchemie und Sondermüll, ließen sich als Wirkstoffe in Holzschutzmitteln aber noch verkaufen. Von 1984 bis 1996 dauerte der „Frankfurter Holzschutzmittelprozess“, bei dem das Landgericht Frankfurt die Manager der Produktionsfirmen wegen Körperverletzung und Freisetzung von Giften zu Freiheitsstrafen von je einem Jahr auf Bewährung verurteilte. Das Urteil wurde wegen eines Formfehlers vom Bundesgerichtshof revidiert und endete mit einem Vergleich: der Zahlung von 4 Millionen DM zur Etablierung eines Lehrstuhles für Innenraumtoxikologie an der Universität Giessen. (Mit Informationen aus Umweltbundsamt; Wikipedia; Umwelt-Medizin-Gesellschaft-Verlag; Der Spiegel; Lausitzer Rundschau)