
Vom Säugling bis zum Greis - jeder im westalliierten Teil Deutschlands bekam 40 Deutsche Mark. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Umstellung der wertlosen Reichs- auf die "harte" Deutsche Mark herumgesprochen. Am 18. Juni 1948 lauschten die Menschen an ihrem Volksempfänger: "Ab Sonntagfrüh, 20. Juni, gibt es für jeden ein Startgeld von 40 Deutschen Mark", hieß es.
Die amerikanische Besatzungsmacht schaffte es, eine der größten Aktionen geheim über die Bühne zu bringen. Vier Tage vorher, am 16. Juni 1948, erfuhren es der Leiter und der stellvertretende Leiter des Ernährungsamtes in Karlstadt, Rudolf Fuchs und Werner Hofmann, der 2003 verstorbene, spätere Karlstadter Bürgermeister. Das Ernährungsamt hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu seiner Auflösung am 30. Juni 1950 die Aufgabe, die Lebensmittelkarten an die Bevölkerung auszugeben.
Hofmann erinnerte sich: "Jeder hat wohl geahnt, dass eine Währungsreform kommen muss, aber wann, wusste niemand." Es war der Freitag, 18. Juni, als über alle westdeutschen Radiosendungen mehrfach eine wichtige Bekanntmachung der Militärregierung angekündigt wird. Voller Spannung saßen die Menschen abends an ihren Volksempfängern, als der Sprecher des Besatzungsmacht bekannt gab: "Am Sonntag ist der Stichtag. 40 DM gibt es sofort, 20 DM einen Monat später."

Ein Konvoi deutscher Polizisten hatte schon am 16. Juni in mehreren Säcken 1,6 oder 1,7 Millionen Deutsche Mark in 20-DM-Scheinen ins Ernährungsamt am Marktplatz (heutige Sparkasse) gebracht. "Amerikaner habe ich keine gesehen", so Hofmann. Sofort wurde das Geld in den Tresor der damaligen Sparkasse eingeschlossen. "Die nächsten Tage waren wir damit beschäftigt, die Bündel aufzuteilen." Die Listen der Einwohner im damaligen Landkreis Karlstadt lagen dem Ernährungsamt als Verteiler der Lebensmittelkarten vor.
Genau um Mitternacht zum 20. Juni hörte die ohnehin wertlose Reichsmark auf zu existieren. "Am Sonntagfrüh wurden die Bündel Geld in die einzelnen Gemeinden gefahren." Diese gaben die 40 DM "Kopfgeld" an die bereits in Schlangen wartenden Bürger aus. "Im Gegenzug mussten die Leute 40 Reichsmark tauschen. Doch das wurde sehr großzügig gehandhabt." Werner Hofmann erinnert sich daran, dass man nicht so genau darauf schaute, ob jemand überhaupt so viel altes Geld hatte. "Die alten Scheine lagen dann sowieso unbeachtet in einer Ecke."
Die Karlstadter standen Schlange an den Auszahltischen im Rathaus am Marktplatz. In einer Truhe neben dem Tisch wurde fast achtlos die alte Reichsmark hineingeworfen. An einem Tisch im Rathaus saß der städtische Bedienstete Wilhelm Büchner, später Beamter im Einwohnermeldeamt. "Jeder musst den Empfang des neuen Geldes in der Namensliste quittieren", erinnerte er sich.
Angst vor Überfällen
"Es hat einen großen Sicherheitsaufwand gegeben", erzählte Büchner. Die Verantwortung bei der Geldausgabe hatten die Stadträte. Jeder Tisch wurde zudem von mehreren Polizisten überwacht. "Natürlich spukte in den Köpfen, dass es zu Überfällen auf die neuen Geldscheine kommen könnte." Doch die Geldausgabe verlief ohne Zwischenfälle. "Die Bürger waren sehr diszipliniert. Endlich hatten wir gescheites Geld", sagte Büchner, der sich von seinen eigenen 40 Mark einen guten Schoppen im Gasthaus "Zum Ochsen" in der Alten Bahnhofsstraße gönnte.

Vor der Währungsreform mussten im Wald und in der Flur städtische Hüter aufpassen, dass die Leute nicht hamstern, um satt zu werden. Sie stahlen Kartoffeln und Holz. Die Metzger mussten das Schlachtvieh genau angeben. Der Bäcker bekam seine Ration Mehl zum Brotbacken. "Wir haben alle getauscht. Und manchmal, wenn man Beziehungen hatte, verschwand auch mal eine Büchse Wurst im Mantel." Der spätere Bürgermeister erinnert sich noch gern daran, wie ein Landwirt mal zu ihm sagte: "Komm rein und iss dich erst mal richtig satt."

Plötzlich aber, über Nacht, waren die Auslagen der Geschäfte wieder gefüllt, das Warenangebot fast so üppig wie vor dem Krieg. "Es gab noch nicht alles, aber doch das, was man zum Leben brauchte." Kostete vor der Reform die Zigarette auf dem Schwarzmarkt zwischen fünf und acht Reichsmark und gab es Stoffe für Kleidung und Schuhe nur gegen andere Tauschobjekte, so wunderten sich nun die Leute, woher die Vielfalt kam. "Es wurde gehortet", sagte Werner Hofmann, für den Tag X, dem 20. Juni 1948. Denn schon zwei Jahre zuvor hatte der Alliierte Kontrollrat laut über eine Währungsreform für einen neuen deutschen Staat nachgedacht.
Die ersten 30 Pfennige für einen Schoppen
Werner Hofmann, der die ersten 30 Pfennige des "Kopfgelds" nach getaner Geldausgabe für einen Schoppen ausgab, genoss den guten Wein, den es jahrelang nicht gegeben hatte. "Wir hatten schlechten Most getauscht. Jetzt gab es plötzlich wieder gut schmeckenden Wein" und Bier von den zwei Karlstadter Brauereien, das man auch trinken und bezahlen konnte.
Mit der harten Währung wuchs auch die Qualität. Die Frauen konnten wieder Stoffe für Kleidung kaufen und der damals 23-jährige Werner Hofmann sparte mit seiner Braut Marga für die Hochzeit fünf Wochen nach der Währungsreform. Natürlich gab es nicht gleich alles. Das Ernährungsamt überwachte weiterhin bis zu seiner Schließung am 30. Juni 1950 die sogenannte Lebensmittelbewirtschaftung. "Das Fleisch war noch nicht freigegeben."
In den Auslagen fanden die Menschen fast alles, auf das sie jahrelang verzichten mussten. Noch Tage vorher standen die Leute mit ihren Lebensmittelkarten vor leeren Geschäften. "Die Spitzbuben, die Gauner haben alles gehortet', hörte man schon, aber es sei zu keinen Übergriffen gekommen, sagt Hofmann. Nur einem Kaufmann am Marktplatz hätten die Karlstadter wohl nicht verziehen. Er endete als armer Mann. "Ich war dabei, als die Polizei die Textilien, eingemauert im Dach, fand."
D-Mark führte zum Wirtschaftswunder
Der Währungsschnitt führte zu knappem und damit stabilem Geld. Tauschhandel und Schwarzmarkt verschwanden zunehmend. Da die Unternehmen anfangs relativ schwach mit neuem Geld ausgestattet waren, wollten sie ihre Liquidität schnell verbessern. Dies war eine der Ursachen für das plötzliche große Warenangebot, den "Schaufenstereffekt".
Vier Tage nach der westdeutschen Währungsreform kam es auch in der sowjetischen Besatzungszone zu einer Geldreform. Die getrennten Reformen beförderten die faktische Teilung Deutschlands, die 1949 in der Gründung zweier deutscher Staaten formale Bestätigung fand.

Mit der neuen Währung begann die Abwehr der Planwirtschaft. Die Zeit der Bezugsscheine und Lebensmittelkarten ging zu Ende. Doch mit der D-Mark kam noch ein zweites und größeres Wunder: Das Wirtschaftswunder unter Ludwig Erhard. Es war die Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft. In den darauffolgenden Jahren wurden in Deutschland 1,7 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen.
Mit dem Wirtschaftswunder entdeckten die Deutschen das Reisen, so auch Werner und Marga Hofmann. Im Juni 1953, Jahre bevor die deutsche Urlauberwelle Rimini überrollte, bereisten sie mit weiteren Handballer-Kollegen wie Alfred Biehle, Josef Daumberger, Heiner Hertlein, Fritz Fiedler und Albert Sendelbach das halbe Italien. Auf sechs Motorrädern, mit Zelten, einem Gepäckkarren und jeder 500 DM in der Tasche. "Davon brachten wir sogar noch 200 Mark wieder mit nach Hause."
Zur Autorin: Martina Amkreutz-Götz war 37 Jahre Redakteurin der Main-Post in Karlstadt. Sie ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Geschichts- und Heimatvereins Mühlbach 1987 und Mitglied im Historischen Verein Karlstadt.
Quelle: Der Bericht basiert auf Erinnerungen von Werner Hofmann und Wilhelm Büchner, die sie zum 40. Jahrestag der Währungsreform mitgeteilt hatten.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/