Die Gebäude der ehemaligen Papierfabrik an der Schondra in Gräfendorf verfallen zusehends. 2009 ging das Unternehmen endgültig in Insolvenz, zuletzt hatte es noch 50 Menschen Arbeit geboten. Nun ist das Fabrikgelände eine Industrieruine, die beliebt ist bei Freunden verlassener Orte ("Lost Places"). Im Internet finden sich Fotografien, die zeigen, welch maroden Charme das abgelegene Gelände mit den verlassenen Büros und herumliegenden Zetteln heute hat. Dabei ist das Betreten eigentlich verboten, worauf Schilder hinweisen – was manche freilich nicht abzuschrecken scheint.
Was passiert mit dem Gelände? Vor zehn Jahren hieß es, der Eigentümer wolle das Gelände zu einem horrenden Preis verkaufen, heute nutzt das nahe Sägewerk zumindest den Platz vor dem Betriebsgelände. Gräfendorfs Bürgermeister Johannes Wagenpfahl sagt auf Anfrage, dass er nichts Genaues sagen könne. Nur, dass die Hendriksen AG, die die Papierfabrik 2008 nach der ersten Insolvenz übernahm, weiterhin der Eigentümer sei und dass Herr Hendriksen wohl einen Käufer suche. Die Gemeinde sei aber nicht an einem Kauf interessiert, stellt Wagenpfahl gleich klar. Als die Gemeinde vor zehn Jahren an einem Teil des Geländes Interesse hatte, sei der Eigentümer ihr nicht entgegengekommen, beklagte der damalige Bürgermeister Alfred Frank.
Jacques Hendriksen von der Frankfurter Hendriksen AG, der nach der Übernahme kurze Zeit selbst Geschäftsführer der Papierfabrik war, sagt auf Anfrage zunächst nur: "Es steht zum Verkauf – und damit ist alles gesagt." Aber dann ist er doch etwas gesprächiger und erzählt: "Wir haben da sehr viel Geld verloren." Das Unternehmen habe die Papierfabrik gekauft, ohne dafür einen Kredit aufnehmen zu müssen. Als dann die Wirtschaftskrise kam und es für die Weiterführung des Betriebs weiteres Kapital gebraucht hätte, habe keine Bank einen Kredit vergeben.
"Ein Teil ist brauchbar und ein Teil ist Abriss", sagt Hendriksen über die Gebäude auf dem Gelände. Es gebe immer wieder Interessenten, einmal etwa eine Fischzucht aus Fulda, aber dann sprängen sie doch ab. Mit dem vorigen Gräfendorfer Bürgermeister Alfred Frank habe er darüber gesprochen, auf dem Gelände einen kleinen Gewerbepark aufzubauen, noch gute Hallen instand zu setzen und den Rest abzureißen. Handwerker gebe es genug, die sich dort niederlassen würden, glaubt er. Mit dem jetzigen Bürgermeister habe er darüber noch nicht gesprochen.
Das Landratsamt veranlasste einen Teilabbruch des maroden Schornsteins
Vor fünf Jahren ungefähr war die Spitze des hohen Schornsteins auf zwei, drei Metern eingerissen und drohte auf den nahen Waldweg zu stürzen. Das Landratsamt ließ im Wege einer Ersatzvornahme die Spitze einreißen und warf die Teile in den Schornstein. 2013 gab es Erkundungsbohrungen, die Altlasten aufspüren sollen. Laut Landratsamt wurden dabei Bodenverunreinigungen festgestellt, die der weiteren Erkundung bedürfen. "Diese wurden vom Grundstückseigentümer eingefordert, jedoch von diesem noch nicht veranlasst", schreibt die Pressestelle auf Anfrage. Auf dem Betriebsgelände verteilte wassergefährdende Stoffe wie Ölbehälter seien teilweise entfernt, teilweise auch in einer Halle hochwassersicher zusammengestellt worden. Das Landratsamt: "Der Eigentümer wurde aufgefordert, diese noch ordnungsgemäß zu entsorgen."
Jacques Hendriksen ist in der Hinsicht sauer auf den Insolvenzverwalter der Papierfabrik. 350 000 bis 400 000 Euro sei an Masse vorhanden gewesen, als der Insolvenzverwalter seine Arbeit aufnahm. Irgendwann habe er nicht mehr von sich hören lassen. "Da sind noch Sachen, die aufgeräumt werden müssen", sagt Hendriksen. Das gehe auch zu Lasten der Umwelt. Er habe den Insolvenzverwalter garantiert schon zehnmal aufgefordert aufzuräumen, aber der rühre sich nicht. Hendriksen sieht sich und seine Gesellschaft als Eigentümer des Grundstücks als die Gelackmeierten, die den Schwarzen Peter haben. Dabei sei es öfter so, dass Insolvenzverwalter sich einfach davonmachten, wenn die Masse aufgebraucht sei, schimpft Hendriksen – während sie in der Öffentlichkeit als die Saubermänner dastünden.
Insolvenzverwalter Christian Adolf, Fachanwalt für Insolvenzrecht bei der Dr. Beck & Partner in Würzburg, weist die Vorwürfe Hendriksens als unberechtigt und unzutreffend von sich. Das Insolvenzverfahren werd nach den Vorgaben des Insolvenzrechts abgewickelt. "Soweit von Behörden umweltrechtliche Anordnungen gegen die Insolvenzmasse gerichtet wurden und sich diese nach Überprüfung als berechtigt dargestellt haben, wurden diese pflichtgemäß aus der Insolvenzmasse erfüllt", so Adolf.
Dass die Papierfabrik sich hätte retten lassen, wenn mehr investiert worden wäre, glaubt Jürgen Mey. Der gebürtige Sachse war von Januar 2008 bis zum Ende der Papierfabrik 2009 von der Hendriksen AG als Betriebsleiter eingesetzt. "Nach einem halben Jahr war klar, das kann so nicht funktionieren", sagt Mey. Ein finanzstarker Investor hätte durchaus die Fabrik erhalten können. Seidenpapiere, wie sie in Gräfendorf hergestellt wurden, seien begehrt. In Gräfendorf habe man auch kleine Mengen (1000 Kilogramm) farbiger Papiere produzieren können, heute gehe die Menge bei 25 Tonnen los.
Mey baute mit einem halben Dutzend ehemaliger Arbeiter der Gräfendorfer Papierfabrik 2010 die M & P Franken-Papier GmbH & Co. KG in Fuchsstadt (Lkr. Bad Kissingen) auf und produziert dort heute im großen Stil Wachspapier für Bäcker, Metzger und technische Zwecke. Mit weniger Leuten als in Gräfendorf produziere er zehnmal so viel wie dort, sagt er.
Früher einmal hat die Schondra bei Gräfendorf öfters in bunten Farben von den Abwässern der Papierfabrik geglänzt, obwohl die Fabrik eine eigene Kläranlage betrieb. Heute weist der kleine Fluss, der durch größere Waldgebiete fließt, mit der Güteklasse I (unbelastet bis sehr gering belastet) über weite Strecken eine hervorragende Wasserqualität auf.