In seinem letzten Wort vor dem Urteil am Landgericht Würzburg bat der angeklagte Geiselnehmer von Karlstadt am Donnerstag um Verständnis: "Mein Verhalten war abscheulich", gestand er zerknirscht. "Ich bereue sehr, was ich getan habe."
Das hielt das vierköpfige Gericht dem 23-Jährigen schließlich zugute. Das Gefühl des Mitleids hatte diesen Prozess dominiert. Mitleid vor allem für die 52-jährige Geisel, die in jener Nacht im Februar 2022 beherzt kühlen Kopf bewahrt hatte, um den Täter nicht zu provozieren. Und die jetzt nach eigener Aussage fürchterlich unter den Erinnerungen leidet.
Verständnis für die verkorkste Kindheit
Verständnis gab es auch für den Angeklagten. Ein menschenscheuer Einzelgänger mit verkorkster Kindheit, der mit 23 Jahren ohne Zukunftsperspektive die Ablehnung seiner Umwelt mit Alkohol und Drogen kompensierte und die Tage in seinem Zimmer im Internet verbracht hatte. Dann wagte er den Schritt auf eine zwölf Jahre ältere Frau zu. Doch nach einer dreiwöchigen Urlaubsreise trennte sie sich wieder von ihm. Endgültig, wie die Frau sagt. Vorläufig, wie er glauben wollte.
Urteil nahe an der Forderung des Staatsanwaltes
Das Verständnis hielt das Gericht um den Vorsitzenden Thomas Schuster nicht davon ab, den Angeklagten für erpresserischen Menschenraub zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und acht Monaten zu verurteilen. Es führte aber dazu, dass das Gericht dem 23-Jährigen zwei Jahre davon für eine Therapie zumisst. In dieser soll er nicht nur seine Alkohol- und Cannabis-Abhängigkeit in den Griff bekommen, sondern auch seine geringe Selbstachtung und Suizidgedanken.
Die Haftstrafe liegt nur wenig unter der Forderung von Staatsanwalt Joscha Kressmann, der für sechs Jahre und drei Monate Haft plädierte. Verteidiger Christian Cazan bat um "Hilfe statt Strafe" für seinen Mandanten und sah drei Jahre Haft für angemessen an.
Tat unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen
Richter Schuster und seine Kollegen billigten dem Mann aus Niedersachsen zu, dass er nicht mit dem vorgefassten Plan einer schweren Straftat nach Karlstadt gefahren war. Sondern getrieben vom Wunsch nach Hilfe. Die ehemalige Freundin und ihr neuer Partner hatten ihm Unterstützung versprochen. Doch die Situation eskalierte: Als der 23-Jährige in jener kalten Nacht unter dem Einfluss von Alkohol, Cannabis und LSD an die Wohnungstür in Karlstadt hämmerte, blieb diese zu.
Stattdessen stürzten alarmierte Polizisten mit gezückter Pistole in das Haus – eine Situation, die der Angeklagte als Sohn eines Reichsbürgers alptraumhaft in Erinnerung hatte. Er zückte den als Geschenk mitgebrachten Dolch, floh treppauf und nahm die vom Lärm geweckte Nachbarin und ihren Sohn als Geisel.
Ein Zugriffsversuch des SEK misslang. Zeitweise fürchteten Verhandlungsführer der Polizei, der Mann werde der Geisel etwas antun. Doch am Morgen ließ er "nach acht Stunden Martyrium", so der Vorsitzende Richter, die Geisel unversehrt zurück, kletterte aus dem Dachfenster und wollte sich hinabstürzen. Schließlich konnte er überredet werden, aufzugeben.
Katastrophale Lebenssituation, die zu "einem der schwersten Verbrechen" führte
Das Gericht billigte dem Angeklagten eine katastrophale Lebenssituation zu, der mit der Situation überfordert war. Und auch, dass ihn seine vermeintlichen Freunde im Stich gelassen hatten. Dennoch sei an der "glasklaren Situation" einer Geiselnahme mit der Drohung, der Geisel etwas anzutun, kein Zweifel, sagte Schuster in der Urteilsbegründung: "Das gehört zu den schwersten Verbrechen, die der Gesetzgeber kennt."
Am Ende appellierte er an den aufmerksam zuhörenden Angeklagten: "Nehmen Sie es als Chance." Das Urteil wurde sofort rechtskräftig.