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Laudenbach
Unglück in Laudenbach: Wie dramatisch ein Rettungseinsatz abläuft
Gefühlt kann es eine Ewigkeit dauern, bis die Rettungskräfte da sind. Rückblick auf den tödlichen Unfall eines Neunjährigen: Was in Main-Spessart alles zeitgleich passierte.
Koordinieren die Einsätze von Rettungswagen und Notarzt: die Disponenten in der Würzburger Rettungsleitstelle.
Foto: Archivfoto Stadt Würzburg, Amt für Zivil- und Brandschutz | Koordinieren die Einsätze von Rettungswagen und Notarzt: die Disponenten in der Würzburger Rettungsleitstelle.
Karl-Heinz Haase
Karlheinz Haase
 |  aktualisiert: 09.02.2024 16:17 Uhr

"Wenn ich mir die Dokumentation des Rettungseinsatzes vom 14. November ansehe, bekomme ich Gänsehaut", sagt Paul Justice. Für den Geschäftsstellenleiter des Rettungszweckverbands in Würzburg geht aus den Protokollen hervor, dass an jenem Spätnachmittag "alle Register gezogen wurden", um den verunglückten Neunjährigen im Karlstadter Ortsteil  Laudenbach (Lkr. Main-Spessart) zu retten.

Um 16.19 Uhr und 32 Sekunden war der Notruf in der Rettungsleitstelle eingegangen. Wie die Polizei später ermittelte, hatte sich der Neunjährige beim Spielen am Gelände der ehemaligen Laudenbacher Grundschule eine Hundeleine um die Schultern gelegt. Ein Ende der Leine verfing sich an einem Jägerzaun auf der dortigen Mauer. Als der Bub von der Mauer fiel, zog sich die Leine am Hals zu, er erstickte.

Karlstadter Notarzt bereits bei einem Einsatz

"Ein Fall dieser Art lässt unsere Mitarbeiter in der Rettungsleitstelle nicht kalt", sagt Justice. "Da arbeiten auch Familienväter, und auch an den anderen geht das nicht einfach so vorbei." Die Disponenten hätten genau das Richtige getan, nämlich sofort den Notarzt aus Gemünden alarmiert. Denn der Karlstadter Notarzt war zum Zeitpunkt des Notrufs bereits bei einem Einsatz. "Das Alarmsystem schlägt dann den nächsten verfügbaren Notarzt vor", erklärt Justice.

Wo Rettungswagen und Notärzte im Landkreis Main-Spessart stehen

Im Landkreis Main-Spessart sind in Arnstein, Karlstadt, Gemünden, Lohr und Marktheidenfeld rund um die Uhr Rettungswagen sowie Notärzte (mit eigenem Fahrzeug) einsatzbereit. Auch in Burgsinn steht rund um die Uhr ein Rettungswagen, in Wiesthal zwölf Stunden am Tag.

Nach der Alarmierung des Gemündener Notarztes habe ein Disponent dennoch versucht, den Karlstadter Notarzt zu fragen, ob er "abkömmlich" sei, und ihn nach Laudenbach zu beordern, sagt Justice. "Abkömmlich" heißt: Der Arzt hat einen Einsatz so weit abgeschlossen, dass er den Patienten an die Sanitäter übergeben kann. Der Disponent habe nicht lockergelassen und den Karlstadter Notarzt mehrmals angefunkt, so Justice. Doch dieser konnte wegen seines laufenden Einsatzes die ersten Male nicht reagieren. Parallel dazu habe die Leitstelle fieberhaft versucht, drei dienstfreie Notärzte privat zu alarmieren. 

Disponent gibt Anweisungen für die Reanimation

Ein Disponent leitete gleichzeitig telefonisch die Person, von der der Notruf kam, zur Reanimation an. Diese Wiederbelebungsversuche führten dann Polizisten weiter, die inzwischen am ehemaligen Grundschulgelände waren. Der Karlstadter Notarzt sei um 16.36 Uhr am Unglücksort in Laudenbach eingetroffen, sagt Justice. Der Gemündener Notarzt folgte kurz danach gegen 16.39 Uhr.

Der Geschäftsstellenleiter legt die Situation in Main-Spessart an jenem Nachmittag mit folgender Chronologie dar:

  • Um 15.58 Uhr geht ein Notruf aus Zellingen ein. Der Rettungswagen aus Karlstadt übernimmt den Einsatz. Später stößt ein Notarzt aus Würzburg dazu.
  • Um 16.00 Uhr kommt der nächste Notruf aus Frammersbach, zu dem der Notarzt aus Lohr ausrückt.
  • Um 16.04 Uhr wird der Rettungswagen aus Arnstein nach Thüngen beordert, um den Raum Karlstadt abzusichern – der Karlstadter Rettungswagen ist ja in Zellingen im Einsatz.  
  • Um 16.13 Uhr fährt der Karlstadter Notarzt zu einem Notfall in Karlstadt los.  
  • Um 16.19 Uhr und 32 Sekunden geht der Notruf aus Laudenbach ein. Da ist der Rettungswagen aus Arnstein gerade am neuen Standort Thüngen angekommen oder noch auf dem Weg dorthin - und fährt nach Laudenbach weiter.    
  • Um 16.21 Uhr startet der Ochsenfurter Rettungshubschrauber "Christoph 18" mit einem Notarzt von einem Einsatz in Bad Mergentheim aus nach Laudenbach, nachdem die Disponenten in der Rettungsleitstelle sich zuvor in Tauberbischofsheim erkundigt hatten, ob er wieder verfügbar ist. 
  • Um 16.36 Uhr und 40 Sekunden trifft der Karlstadter Notarzt in Laudenbach ein.
  • Um 16.37 Uhr und 13 Sekunden kommt der Rettungswagen zur Unfallstelle.
  • Um circa 16.39 Uhr ist der Gemünder Notarzt zur Stelle.

Die registrierten Ankunftszeiten können minimal vom tatsächlichen Eintreffen abweichen. Denn die Rettungskräfte drücken bei der Ankunft am Einsatzort einen "Zeitstempel". So ist es denkbar, dass der Notarzt diesen schon kurz vor dem Ziel auslöst, um sich dort ganz auf den Einsatz konzentrieren zu können. 

"Minuten erscheinen wie eine Ewigkeit"

Und was die Schilderung eines Anwohners aus Laudenbach betrifft, der es nach dem Unfall "absolut nicht nachvollziehbar" fand, wie lange es dauerte, bis Rettungswagen und Notarzt vor Ort gewesen waren? Als einst selbst Betroffener, früherer aktiver Sanitäter und Leitstellendisponent kennt Justice solche Fälle aus allen Perspektiven und sagt: "Wer selbst betroffen ist, dem erscheinen Minuten wie eine Ewigkeit." Leitstelle, Sanitäter und Notärzte täten alles, um eine solche "Ewigkeit" so kurz wie möglich zu halten.  

 
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Kommentare
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  • H. S.
    Mein Kommentar war als Aufforderung gedacht immer sofort zu helfen.
    Ich habe selbst einen lieben 8 jährigen Buben verloren.
    Den Eltern wünsche ich viel Kraft um diesen plötzlichen Schicksalsschlag zu überwinden.
    Die Wunden heilen, die Narben bleiben.
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  • H. S.
    In meiner Jugendzeit hat zur Ausrüstung eines Buben ein Taschenmesser und ein Paar Schuhbändel gehört.
    Ich war selbst in einen unverschuldeten Verkehrsunfall beteiligt.
    Meine Unfallverursacherin ist so unglücklich in den Gurt gerutscht das ich sie mit meinem
    Gürtelmesser von dem Sicherheitsgurt frei geschnitten habe.
    Eine meiner Mitarbeiterinnen bekam beim Lachen auf einer Faschingsveranstaltung ein Fleischstück in die Luftröhre und ist erstickt.
    Wir haben 14 Tage vorher einen erweiterten 1. Erste Hilfe Kurs abgeschlossen.
    Keiner hat geholfen.
    Wir werden immer blöder, nicht glotzen, sofort helfen.
    Der Rettungsdienst hat immer eine Anfahrt.
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  • M. K.
    Die Welt schaut auf unser deutsches rettungssystem, nicht ohne Grund wie ich meine. Haupt und ehrenamt haben hier trotz des schlimmen Ausgangs sicher alles richtig gemacht.
    wenn es jetzt für die Bevölkerung selbstverständlich wäre, Erste Hilfe zu leisten, könnten wir die sogenannte Therapiefreie Zeit auf wenige Sekunden verkürzen und damit sicher viele Leben mehr retten.
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  • G. R.
    Die Rettungskräfte müssen beweisen, dass so schnell wie möglich Hilfe geleistet wurde?
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  • G. B.
    Das ist schon denkbar blöd gelaufen.
    Ich versuche ständig zu suchen, was schief gelaufen ist und wer oder was schuld ist.
    Es tut mir so furchtbar leid für den Buben 👦.
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  • G. R.
    schief gelaufen??? Das war ein furchtbares Unglück! Da kann niemand etwas dafür!!!
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  • R. B.
    @smutje, ich denke dass ist genau das Problem, wir suchen nach so einem schrecklichen Ereignis nach einem Schuldigen; eine wahrscheinlich menschliche Reaktion. Aber es gibt nicht immer einen Schuldigen, manchmal passieren Dinge, die sich nicht beeinflussen lassen, wo man einfach zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Ich bin mir sicher, dass wir in Deutschland ein hervorragend funktionierendes Rettungssystem haben, aber auch hier gibt es Grenzen. Man will es nicht wahrhaben, dass ein so junger Mensch sterben muss. Hätte es sich um einen 78-jährigen Mann gehandelt, dann würden wir heute längst nicht mehr darüber reden, weil wir uns instinktiv sagen, na ja, er hat sein Leben weitestgehend gelebt. Wenn nachweislich eklatante Fehler bei einem Rettungseinsatz gemacht werden, dann muss dies sicherlich aufgearbeitet werden, aber wir sollten nicht zwanghaft nach Schuldigen suchen wo es keine gibt.
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  • G. R.
    sehr gut geschrieben, vielen Dank! ich suche nicht nach Schuldigen, das machen andere.... Das war ein Unfall mit schrecklichen Folgen. Ohne einen Schuldigen!
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  • D. W.
    Was bei all den Schilderungen leider keine Erwähnung findet ist die Tatsache, das so ein Rettungs- und/oder Notarztwagen nicht alleine auf der Straße ist. Selbst mit Blaulicht und Martinshorn wird der Weg, trotz Wegerecht, von manchen Autofahrer nicht gleich freigegeben. Da wird nicht rechts angehalten sonder nur das Tempo gedrosselt und der Rettungswagen muss trotz entgegenkommenden Verkehrs überholen, ohne zu wissen ob der Gegenverkehr im ausreichend Platz zum einscheren lässt. Dichter Berufsverkehr auf der Bundesstraße erschwert das ganze nochmal. 40 Tonnen LKw auf schmalen Nebenstraßen machen es auch nicht leichter. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen (ich fahre ehrenamtlich 2-3x im Monat), das jeder Fahrer eines Rettungswagen sein Bestens gibt um die Hilfsfrist einzuhalten. Und er fährt auf eigenes Risiko und unter Lebensgefahr für sich und seiner Besatzung.
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