Bei der Beerdigung der mittellosen Rosa in einem Pflegeheim der untergehenden DDR taucht plötzlich ein völlig unbekannter Mann auf, der sich seltsam interessiert an Herkunft und Lebensumständen der Verstorbenen zeigt. Der Unbekannte stellt sich als altpreußischer Adliger heraus, der die Verstorbene irgendwie zu kennen glaubt. Auf der Spurensuche zusammen mit dem Mann, der Rosa als Kindermädchen hatte, begegnen sich zwei Ostpreußen sehr verschiedener Herkunft, die sich erst einmal kennen- und schätzen lernen müssen.
Nach der Auswertung der persönlich bekannten Fakten, die vom fernen Ostpreußen über die DDR bis nach Westdeutschland führen, bleiben als Quellen nur noch literarische Texte, aus denen beide „Forscher“ weitere Anhaltspunkte über Rosa in „kontrollierter Spekulation“ gewinnen wollen.
Der Autor schafft es mit sprachlicher Gewandtheit bis Meisterschaft, die verschiedenen Typen zu zeichnen, die Reaktionen der Beteiligten auf die diversen Ergebnisse verständlich zu machen, Rückblicke bis zum Soldatenkönig und Friedrich II. und deren Weltanschauung anschaulich darzustellen und alles mit der Gegenwart zu konfrontieren. Ohne Langatmigkeit bleibt die Erzählung mittels der „kontrollierten Spekulation“ immer spannend.
Die lange „Forschungsreise“, die nicht ohne Konflikte verläuft, endet schließlich auf dem kleinen, beschaulichen Schloss Homburg am Main sehr versöhnlich mit einem besonderen Konzert, liebevoll geschildert vom Autor (selbst aus Ostpreußen stammend), der damit zeigt, dass ihm auch die neue Heimat ans Herz gewachsen ist - wie bei der Lesung an eben jenem Ort erst kürzlich wieder, aber nicht zum ersten Mal unter Beweis gestellt wurde.
Wolf Wiechert: Rosa. Eine kontrollierte Spekulation. Verlag Königshausen & Neumann, 250 Seiten, 19,80 Euro. ISBN: 978-3-8260-6665-8.