Vor genau zehn Jahren, am 13. Januar 2012 kollidierte das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia vor der italienischen Insel Giglio mit einem Felsen, es schlug leck und bekam Schlagseite. An Bord waren auch zwei Passagierinnen aus Marktheidenfeld, die diese dramatischen Stunden nie wieder vergessen werden. "Wir haben um unser Leben gefürchtet", sagen sie bei einem Redaktionsbesuch.
"Jetzt, zehn Jahre später haben wir beide das Unglück gut bewältigt", sagen sie. Sie seien auch schon wieder auf einer Kreuzfahrt um die Kanaren gewesen. Doch von vielen darauf angesprochen werden wollen sie nicht. Das ist auch der Grund, warum sie anonym bleiben wollen und von der Redaktion Anna und Petra Müller genannt werden.
Die Kreuzfahrt hatte für beide im italienischen Savona begonnen. Sie erinnern sich an wunderschöne Tage im westlichen Mittelmeer unter anderem mit Stationen in Barcelona, Marseille und Palermo. Der Tag der Havarie war der letzte Tag ihrer Kreuzfahrt. In schicker Kleidung besuchten sie nach dem Abendessen eine Zaubervorführung im Theatersaal.
Erst ging das Leben an Bord normal weiter
Dann passierte das Unglück. Wie man weiß, steuerte gegen 21.45 Uhr Kapitän Francesco Schettino das mit zirka 3200 Passagieren besetzte Schiff auf einen Felsen vor der Insel Giglio. "Verneigung" nennen italienische Seeleute das nahe Vorbeifahren an der Küste. "Von dem Zusammenstoß haben wir nichts bemerkt", sagt Anna Müller. Dies erinnert an den Film "Titanic". Auch auf diesem Passagierschiff ging das Leben an Deck erst einmal weiter seinen normalen Gang, obwohl der Eisberg den Rumpf aufgeschlitzt hatte.
Doch die Katastrophe ließ sich nicht aufhalten. Für Anna Müller war auf einmal klar: Hier stimmt was nicht. Denn sie beobachtete, wie der Vorhang des Theaters zuerst leicht, dann immer mehr schräg zur Bühne hing. Schon brach Panik aus. Anna und Petra Müller machten sich sofort auf den Weg zu ihrer Kabine, um die Rettungswesten zu holen. Mittlerweile war die Stromversorgung unterbrochen, es gab nur noch eine Notbeleuchtung.
Auf den Gängen erlebten sie weinendes und zitterndes Personal. "Da wurde mir erst richtig Angst", sagt Mutter Petra. Es kamen ihnen Menschen mit Schwimmwesten entgegen, manche von ihnen in Schlafanzügen. In der Kabine nahmen sie sich keine Zeit, nach Wertsachen zu suchen. Der einzige Gedanke war, schnell die Rettungswesten anziehen, und nach oben zu den Rettungsbooten, so wie es ihnen am Anfang der Reise gesagt worden war.
"Im Gedränge hielten wir uns fest an den Händen", sagen beide. "Ich dachte mir nur, wir dürfen uns nicht verlieren", so Tochter Anna. Es habe das pure Chaos geherrscht. Es wird wohl eine Stunde gewesen sein, in der sie vor den Rettungsbooten standen. Es gab nach ihren Worten niemanden, der etwas organisierte, es habe auch keine Durchsagen über Lautsprecher gegeben. Irgendwann hätten dann die Passagiere selbst begonnen, die Boote ins Wasser zu lassen.
"Wir dachten, wir befinden uns auf hoher See"
"Schlimm war auch, wir dachten, wir befinden uns auf hoher See", erinnern sich beide. Denn sie waren auf der dem offenen Meer zugewandten Seite des Schiffes. Erst als der Wind das Kreuzfahrtschiff um die eigene Achse drehte, hätten sie Lichter eines Dorfes erkennen können, aber Giglio für das italienische Festland gehalten. "Aber zumindest war das etwas beruhigend, zur Not hätte man schwimmen können", so Anna Müller. Das haben auch viele gemacht bei Wassertemperaturen von 14 Grad.
Anna und Petra Müller mussten nicht schwimmen. "Ich hätte das auch nicht überlebt", sagt die Mutter. Irgendwann hatten sie endlich ihren Platz in einem Rettungsboot. Aber auch das Ablassen des Bootes klappte nicht sofort. Erst als jemand mit einer Axt auf eine Halterung schlug, lief die Kette über das Zahnrad. Ruckartig sei das Boot dann aufs Wasser gelassen worden. Um 23.45 Uhr kamen sie in Giglio an. Sie waren gerettet.
Die Nacht in der Kirche in Giglio verbracht
Anna Müller erinnert sich mit Dankbarkeit, wie Inselbewohner sie mit Decken empfangen haben. Die Bewohner der Insel wiesen ihnen einen Platz in der Kirche zu, in der sie die Nacht verbrachten. Am frühen Morgen ging es dann mit der Fähre aufs italienische Festland, von dort mit dem Bus nach Savona, wo sie nochmals eine Nacht verbrachten, bis sie dann von ihrem Reiseveranstalter abgeholt und in die Heimat gebracht wurden.
"Wir haben Glück gehabt", sagen beide. "Hätte der Wind das Kreuzfahrtschiff aufs Meer getrieben, wäre es vollständig gesunken." Dann hätte es noch viel mehr Tote gegeben. 32 Personen haben das Unglück nicht überlebt, darunter auch ein Rentnerehepaar aus der Reisegruppe von Anna und Petra Müller. "Wir hatten mit ihnen Tage zuvor noch Karten gespielt", erinnern sie sich. Sie vermuten, dass sie in ihrer Kabine vom Wasser überrascht worden sind.
Das riesige Schiff war 2014 in einer aufwendigen Bergungsaktion nach Genua gebracht worden, inzwischen ist es längst zerlegt worden. Der damalige Kapitän Francesco Schettino sitzt in Rom eine Haftstrafe von 16 Jahren ab, zu der er 2017 letztinstanzlich verurteilt worden war. Er brachte den Fall aber vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sich dieses Jahr damit befassen könnte.
Anna und Petra Müller haben gerne das Angebot des Reiseveranstalters genutzt und die Insel Giglio besucht. Dabei haben sie sich bei allen bedankt, die ihnen geholfen haben. Was bleibt, ist neben der Wut auf den Kapitän Schettino, der nach eigener Aussage als einer der ersten in ein Rettungsboot gefallen sein soll, die Erleichterung, überlebt zu haben, aber auch Dankbarkeit. "Man sollte nichts verschieben", meint Anna Müller. "Es könnte schnell vorbei sein."