
Dass die Fundamente der Pfarrkirche St. Andreas auf einem instabilen Fundament gründeten, war schon länger bekannt. Schon um 1900 gab es Überlegungen für die Instandsetzung des schadhaften Kirchturmes. Doch dazu, bedingt durch zwei Weltkriege, kam es nicht und der bauliche Zustand des romanischen Kirchturms verschlechterte sich weiter sichtbar. Pfarrer Paul Steinert bat bei seinem Dienstantritt 1948 dringend um Abhilfe, sodass der Stadtrat ein statisches Gutachten in Auftrag gab. Das Ergebnis: Es bestehe für den Turm eine akute Einsturzgefahr.

Besonders in den oberen Stockwerken und im Bereich der zwei Pfeilersockel zeigten sich neue Risse. Zur Überwachung der Risse wurden im März 1950 an verschiedenen Stellen des Turmes Glasscheiben eingegipst, die bei Veränderung platzen würden. Vorschläge zur Abwendung der Einsturzgefahr wurden beraten und wieder verworfen. Um ein Senken des Fundamentes zu verhindern, schlug eine Firma aus Berlin vor, in den Turmuntergrund Pfähle aus Pressbeton zu treiben. Von der TH München kam der Vorschlag, durch Einpressen von Zementmilch den Turm zu stabilisieren. Beide Vorschläge wurden aber abgelehnt.
Im März 1954 wurden bei den im Verhältnis zum Alter des Turmes nur kurzen Beobachtungszeitraum ab 1950 angebrachten Gipsmarken erhebliche weitere Risse festgestellt. Es gebe gravierende Schäden an den unteren Teilen der Pfeiler. Eine Sanierung des Turmes könne daher nur eine vorübergehende Notlösung sein. Die statischen Probleme würden damit nicht gelöst. Der Turm verfüge nur über ein geringes Fundament, das bereits in 1,62 Meter Tiefe auf Wellenkalk ruht und das dritte Turmgeschoss, in dem die Glocken hängen, neige sich bereits sechs bis acht Zentimeter in westlicher Richtung.
Höchste Einsturzgefahr
Der untere Teil des Turmes bis zum 4. Stock stammte aus dem 13. Jahrhundert, das oberste Stockwerk mit der Turmhaube wurde um 1583 von Julius Echter aufgesetzt. Der Turm stützte sich auf der Ostseite auf die westliche Kirchenwand und auf der gegenüberliegenden Seite auf zwei gedrungene Pfeiler. Die Verbindung zwischen Kirchenwand und Pfeiler war durch Bogen hergestellt, die aus Kalksteinquadern geformt worden war. Hier wurde die Bildung weiterer Risse beobachtet: Es bestand also höchste akute Einsturzgefahr. Die Notwendigkeit von Abtragung und Wiederaufbau des Kirchturmes war unausweichlich.
Das Landratsamt Karlstadt verfügte im Juni 1954 die sofortige Einstellung des Glockenläutens. Über eineinhalb Jahre schwiegen nun die Glocken. Das Hauptportal wurde geschlossen und zur Sicherheit der Fußgänger eine Umzäunung des Turmes veranlasst.

Unter Leitung von Architekt Eugen Altenhöfer aus Würzburg führte die AG Karl Ziegler, Karlstadt und Friedrich Buchner, Würzburg dann den Turmabbruch und die Aufbauarbeiten aus. Mit Hilfe der Karlstadter Feuerwehrleiter und der großen Leiter aus Würzburg erfolgte die Vermessung des Turmes und die Abnahme der Zifferblätter. Die Steine des Turmes wurden sorgfältig nummeriert. Ab November 1954 stand ein Spezialkran, der Kirchplatz wurde Baustellenlager.
Nach Abbau des Turmhelmes begann das Abnehmen der sechs Glocken, die wegen Einsturzgefahr des Turmes im Krieg nicht entfernt worden waren. Gut erhaltene Werksteine wurden für die Wiederverwendung auf dem Kirchplatz gelagert. Am 18.Januar 1955 war die Niederlegung des Kirchturmes mit dem Abbruch der beiden westlichen Pfeiler beendet.
Der Zustand der Pfeiler noch schlechter als angenommen
Die Bestürzung war groß: Der bauliche Zustand der Pfeiler war weit schlechter als vermutet. Es stellte sich heraus, dass die mächtigen Steinquader der beiden Pfeiler jeweils an die 400 Tonnen zu tragen hatten. Die großen Quadersteine waren nach romanischer Bauweise ohne feste Bindung untereinander aufgeschichtet und Hohlräume in der Mitte der Pfeiler mit Geröll und gelöschtem Kalk teilweise verfüllt.

Größere Schwierigkeiten bereitete die Westwand der Kirche, da es sich hier nur um einfachstes Mauerwerk aus der Zeit um 1300 handelte und während des Turmabbruchs wiederholt größere Flächen zur Stabilisierung ausgemauert und abgestützt werden mussten. Erneut waren daher statische Berechnungen notwendig und die Aufbauarbeiten ruhten mehrere Wochen.
Am 28. März 1955 wurden die Arbeiten wieder aufgenommen, ab jetzt ging der Wiederaufbau zügig voran. Nach der schwierigen Gründung der beiden an die Kirchenwand anliegenden Pfeiler wurde der gesamte Turm in Betonbauweise neu aufgerichtet und mit Werksteinen verblendet. Dabei wurde brauchbares Steinmaterial des alten Turmes wieder verwendet.

Die Bürger mussten auf das bekannte Geläut der Karschter Kirchglocken nicht verzichten. Der Bayerische Rundfunk hatte eine Tonbandaufnahme, die Energieversorgung stellte vier große Tonsäulen mit 24 Lautsprechern zur Verfügung. Bis zum Weißen Sonntag blieb die Anlage auf dem Baugerüst und ersetzte den Klang der Glocken.
Im Juli 1955 trafen die überholten fünf alten Glocken wieder ein. In ihrer Begleitung befand sich die neue, die sechste und nunmehr größte Glocke. 43 Zentner schwer und mit einem Durchmesser von 1,68 Metern ist sie den heiligen Herzen Jesu und Maria geweiht. In einer Abendandacht am Sonntag, 29. Juli, segnete der frühere Stadtpfarrer und Ehrenbürger der Stadt, Josef Stangl, die Glocken.
Richtfest im August 1955
Im August wurden die Glocken in das oberste Turmgeschoss gehoben und darauf der Richtbaum auf dem Turmhelm angebracht. Als letzter Akt des Wiederaufbaues wurde die vergoldete Turmkugel mit dem Turmkreuz aufgesetzt. In die Turmkugel wurden eine Kapsel mit der von Pfarrer Steinert verfassten Urkunde sowie aktuelle Zeitungen und gültige Münzen eingelegt. Die Urkunden der alten Turmkugel waren restlos zerstört. Im Pfarrarchiv fanden sich Urkundenabschriften aus den Jahren 1583, 1659, 1705 und 1850, die Pfarrer Michael Schmidt bei der Reparatur des Turms 1850 erstellt hatte, Stadtpfarrer Steinert konnte Abschriften auch davon anfertigen.
Bei einer Haussammlung des Pfarrers und von zehn Mitgliedern des Stadtrates gingen beim Verkauf von „Turmbausteinen“ 6000 Mark ein, die zur Anschaffung einer neuen Turmuhr bestimmt waren. Bei seinem Firmbesuch im September segnete der Würzburger Bischof Dr. Julius Döpfner den wiederaufgebauten Kirchturm. Mit dem Aufsetzen der Turmkugel und dem Kreuz auf der Turmstange am 12. September 1955 war der Wiederaufbau beendet.
Nachdem auch der Baukran, das Baugerüst und der Bauzaun entfernt waren, strahlte der Turm im neuen Glanz. Die Gesamtkosten für Abbruch und Wiederaufbau beliefen sich auf rund 230.000 Mark. In nächster Nähe zum Kirchplatz führte in der Schulgasse 9 Fotomeister Paul Meder ein Fotofachgeschäft. Er begleitete die Abbruch- und Aufbauarbeiten des Kirchturmes fotografisch und mit der Schmalfilmkamera.
Zum Autor: Seit 1995 ist Georg Büttner Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Karlstadt, seit 1998 Archivpfleger von St. Andreas. Mit Gleichgesinnten gründete Büttner 1972 den Historischen Verein Karlstadt.
Quellen: Pfarrarchiv St. Andreas: Kirchturm Abbruch und Wiederaufbau 1954/55; Stadtarchiv Karlstadt: Abbruch und Wiederaufbau des Kirchturms Az. 324/16 I.II.III; Archiv Kreisheimatpfleger – Zeitungsausschnitte: Karlstadter Zeitung, Main-Post, Fränkisches Volksblatt.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/