
Barbara Grimm ist ganz aus dem Häuschen: Tagelang hat die Leiterin des Spessartmuseums mit einer Handvoll Helfern gebuddelt, gesiebt und gesammelt. Dabei haben die Historiker nicht weniger als 2000 Streufunde aus der Erde geholt, die nun gesäubert, gesichtet und ungefähr datiert wurden. Das Glanzstück: ein verbogener Reitersporn aus Bronze, vermutlich aus dem 14. oder 15. Jahrhundert, also der Anfangszeit des Rienecker Schlosses in Lohr.
Zu verdanken sind dieser und die weiteren Funde einem Leck in einem Abwasserrohr, verlegt etwa zwei Meter unter der Grasnarbe auf der rückwärtigen Westseite des Lohrer Schlosses. Bei starken Regenfällen drang das Wasser durch das Mauerwerk in den Keller ein und setzte die Nagelschmiede unter Wasser. Da war rasches Handeln angesagt.
Eine wahre Schatzgrube
Nun trat bei den Aushubarbeiten im Juni nicht nur ein bis dahin unbekanntes Gewölbe zu Tage, über dessen Zweck nach wie vor nur spekuliert werden kann. Auch die Baugrube selbst – gegraben wurde letztlich auf eine Länge von etwa 35 Metern – entpuppte sich als wahre Schatzgrube. Die Schichtung des Bodens gab allerdings nichts her. „Das Material war relativ locker, nicht verdichtet, nur gesetzt“, so Kunsthistoriker Leonhard Tomczyk. Das Erdreich auf dem schmalen Streifen zwischen Schloss und der Stückmauer zum Klinikum hin war mit Sicherheit aufgefüllt worden.
„Streufunde“ waren es demnach, nach denen die Experten im Aushub suchten, mit Kelle und Eimerchen, Forschungseifer und geschultem Blick. Jede Scherbe, jedes Stück Metall lasen sie heraus. Den Befund präsentierten Museumsleiterin Barbara Grimm und Kunsthistoriker Tomczyk nun auf einer Zeitschiene, die gut 500 Jahre zurück in die Vergangenheit reicht.
Jede Menge Knochen
„Viel Glas, viel Keramik, einiges aus Metall, aber in extrem schlechtem Zustand“, so Grimm über einen Großteil der Funde. Dazu: „Jede Menge Knochen“ – von Rind und Ziege, Schwein, Schaf und Hirsch. Auch den Kiefer einer Bisamratte haben die Fachleute identifiziert. Keine Frage: Der Zwinger war ein Abfallgraben – schon in der Anfangszeit des Schlosses. Mit dessen Bau soll Graf Gerhard V. von Rieneck um 1340 herum begonnen haben, also im 14. Jahrhundert.
Diesem Zeitraum zugeordnet werden auch Rittersporen jener Art, wie nun einer geborgen wurde – „mein absolutes Lieblingsstück“, wie der ansonsten eher nüchterne Tomczyk zugibt. An den stark verbogenen Bronzebügeln war einst ein Rädchen angebracht. „Das Material ist interessant“, so der Kunsthistoriker. „Diesen Typ gab es seit dem 14. Jahrhundert.“ Sie sei jedoch nicht im Alltag getragen worden, sondern gehöre wohl zu einer Turnierausstattung – eine Vermutung, die Experten des Deutschen Museums in Berlin inzwischen bestätigt haben.
Im 15. Jahrhundert habe es viele Turniere gegeben, so Tomczyk weiter, ja sogar Turniergesellschaften – über weite Räume hinweg. In der hiesigen Gegend verbürgt ist eine so genannte „Bornefahrt“ aus dem Jahr 1451, „kostenträchtig und ehrbringend“, wie es in einem Brief heißt. Bei dieser Erholungsfahrt – wörtlich: Fahrt an eine Quelle – nach Rothenbuch war unter anderem der Erzbischof Dietrich Schenk von Erbach zu Gast, begleitet von vielen Grafen und Fürsten. „Dabei ging es um Geselligkeit, Tanz und auch Turniere“, verdeutlicht Tomczyk.
Die Rienecker zählten zu dieser Gesellschaft: Gräfin Agnes von Rieneck heiratete den Bayernherzog Otto von Wittelsbach (1117-1183) und wurde somit die Stammmutter des Geschlechts der Wittelsbacher, aus dem später das bayerische Königshaus hervorging. Graf Gerhard III. hatte sich am dritten Kreuzzug unter Kaiser Friedrich Barbarossa beteiligt (1189 bis 1192). Graf Philipp soll in den 1480er Jahren das Hauptbanner bei einem Ritterturnier in Stuttgart getragen und einen Ritterdank gewonnen haben. Beim dem großen Turnier 1479 in Würzburg gab sich gar Kaiser Friedrich III. (1415-1493) die Ehre, mit Gräfin Amalie von Rieneck zu tanzen.
Würzburg war das erste und mit 780 Turnier-Teilnehmern und weit über 1500 Aktiven das größte der Vier-Lande-Turniere, an denen sich Adelige aus Bayern, Schwaben, Franken und den Rheinlanden beteiligten. Der Tross zählte 4073 Pferde. Zwischen 1479 und 1487 sind neun solcher großen Turniere überliefert. „Dabei wandte sich der Turnier- oder Geburtsadel vornehmlich gegen den ,neuen Adel' der Emporkömmlinge, die im Dienst des Territorialherrn aufgestiegen waren, sowie gegen jene Adelsfamilien, die sich aus irgendwelchen Gründen in bürgerliche Rechtsverhältnisse begeben hatten“, führt der Historiker Georg-Wilhelm Hanna in seiner Dissertation von 2006 aus.
Was die „Bornefahrt“ von Rothenbuch angeht, schlussfolgert Tomczyk deshalb: „Es wäre sehr unwahrscheinlich, wenn die Rienecker nicht dabei gewesen wären.“
Armbrustbolzen wie in Partenstein
Aus der Zeit der Rienecker stammt auch noch eine mittlerweile sehr brüchige Eisennadel. Der Bolzen einer Armbrust hat die gleiche Größe wie jene, die erst in jüngerer Zeit an der Burg Bartenstein ausgegraben wurden. Auch eine Nuss aus Horn oder Hirschgeweih – das ist jener Teil am Abzug einer Armbrust, der die Bogensehne festhält – wurde aus dem Aushub geborgen. Auch das sei „ein Analogstück“ zu den Stücken aus Partenstein, verdeutlicht Tomczyk.
Eine Ofenkachel war unter den Streufunden, grün-gelb-ocker im Farbton, mit drachenartigen Wesen drauf. „Tannenberg-Typ, spätes 14., frühes 15. Jahrhundert, produziert in Dieburg“, urteilt der Kunsthistoriker. „Die waren weit verbreitet, das ist nichts Individuelles, Künstlerisches.“ Vergleichsstücke seien im Museum Miltenberg zu sehen.
Aus dem Alltag des Hochadels
Etwas jüngere Funde: Bruchstücke von Netzbechern aus Glas und sehr viele Scherben von irdener Ware, von Tonbechern, nicht glasiert, aber engobiert, also mit Metalloxiden leicht eingefärbt. „Das war Massenware im 14. bis 16. Jahrhundert“, so Tomczyk. „Solche Trichterbecher werden häufig gefunden: Im Alltag des Hochadels wurde nicht aus silbernen Bechern getrunken.“ Da taten es auch Glas von der „Raupertshütten“ (Ruppertshütten) und Teller aus Holz.
Dass die Rienecker im 16. Jahrhundert durch Butzenscheiben nach draußen blickten, belegt eine Bleirute, die den kleinen Scheiben Halt gab. Bruchstücke von Weinflaschen, wie sie mindestens 200 Jahre hergestellt wurden, Reste von bemaltem Steingut aus der Rhein-Main-Gegend und Fragmente von schwarzen Ofenkacheln datiert Tomczyk ins 17. und 18. Jahrhundert.
Rund 150 Jahre alt dürften Reste eines mit Blümchen bemalten Mini-Römers sein, ebenso die eines nur innen glasierten Topfes, dessen Produktionsstätte der Kunsthistoriker einzukreisen weiß: Solche Töpfe wurden hergestellt in Marjoß und Schlüchtern, in Lohr und Hafenlohr.
Das Fragment einer Steckdose ordnet er in die Zeit des Ersten Weltkriegs ein, aus der des Zweiten wurde eine Patrone ausgebuddelt. Mit einer Schnupfdose aus Weißblech und einem Pflümli-Fläschchen schließlich reichen die Funde bis in die Gegenwart.
Tomczyk: „Schönes Forschungsprojekt“
Das freilich dürfte erst künftige Historiker interessieren. Die aktuellen hoffen vielmehr auf Unterstützung bei der genaueren Bestimmung der Funde aus dem ausgehenden Mittelalter. „Das ist ein Forschungsfeld für Mittelalterarchäologen“, sagt Grimm. Dafür gelte es vor allem auch Vergleichsstücke ausfindig zu machen. Auch Tomczyk ist überzeugt: „Das wäre ein schönes Forschungsprojekt.“


