Michael Albert ist aus der musikalischen Welt im Landkreis Main-Spessart nicht wegzudenken: Er ist Kreis-Jugendchorleiter, Musik- und Gesangslehrer, leitet musikalische Proben bei den Scherenburgfestspielen und verschiedene Chöre. Nach Pfingsten arbeitet der 57-Jährige jedoch mit Profis bei den Bayreuther Wagner-Festspielen – eine ganz andere Aufgabe, als mit Laien zu proben. Im Gespräch verrät er, ob es manchmal frustriert, als ausgebildeter Sänger nicht nur auf den großen Bühnen aufzutreten – und warum ihm das familiäre Flair in Bayreuth fehlt.
Michael Albert: Ich schaue mir die Noten schon an, ich muss mich wirklich noch mal reindenken. Man singt ja dann ohne Hilfsmittel. Nur in der Corona-Situation konnten wir mit Noten singen, als jeder mit Mikrofon und Kopfhörer im "Celophankäfig" saß. Wir saßen völlig abgeschirmt, jeder alleine. Die halbe Besetzung auf der Bühne, die mussten schweigen, die durften nicht singen. Wir waren so genial übertragen, dass wir schon Sorge hatten, dass das künftig so bleiben könnte.
Albert: Genau. Wir saßen im Chorsaal, in einem ganz anderen Haus. Also 200, 300 Meter entfernt. Und das wurde mit Glasfaser so übertragen, dass das funktioniert hat. Ich habe letztendlich genossen, dass ich singen durfte. 2022 war es dann wieder ziemlich normal.
Albert: Klang, Vokalfarben, Absprachen, Linien, Gestaltung und dann noch was der Orchesterdirigent zu sagen hat. Das zu berücksichtigen braucht schon Zeit. Und natürlich auch die Bewegung auf der Bühne, die szenischen Proben. Aus der ganzen Welt kommen ja Leute mit verschiedensten Ideen und Ansätzen zusammen. Und das muss der künstlerische Leiter auf einen Punkt bringen. Was mich anfangs überrascht hat, war das leise Singen. Dass Wagner so leise ist, letztendlich. Das verbindet man damit eigentlich nicht. Das ist die Klangkultur, die so ein großer Chor kann: dass mit 84 Herren ein dreifaches Pianissimo gesungen wird, was dann suggestiv unter die Haut geht.
Albert: Ja, wenn es gegenläufig ist. Wenn die eigentliche Haltung der Gruppe, in der man agiert, dem, was wir tun müssen, komplett entgegensteht. Dann wird es schwierig. Als Gruppe war ich zum Beispiel im letzten Akt von der Götterdämmerung im sogenannten Jagdgefolge eingeteilt. 16 Herren singen da. Da hat uns der Regisseur erst mal unter den Decken liegen lassen. "Ja, deckt euch mal zu, da im Eck irgendwo da hinten." Und da haben wir gedacht, nee, das ist schwierig. Es wurde dann sinnvoll gewandelt.
Albert: Recht wenig. Du darfst dich mit Vorschlägen an deine Vorgesetzten wenden. Das ist ja ein richtiger Apparat. Ich kann meinen Mund nicht immer halten, dafür bin ich auch bekannt im Festspielchor. Die, die ganzjährig im Opernchor singen, sind es gewohnt, künstlerische Anweisungen zu befolgen. Ich bin das ganze Jahr über künstlerisch leitend tätig und gewohnt, künstlerische Anweisungen zu geben. Der Chordirektor kennt mich mittlerweile ganz gut.
Albert: Ungefähr in der Zeit des Übergangs der Intendanz von Wolfgang Wagner auf seine Nachfolgerin und Tochter Katharina Wagner nahm ich eine Veränderung der Strukturen wahr, hin zu mehr öffentlich-rechtlicher Einflussnahme. Jetzt gibt es geregeltere Arbeitszeiten und Mitsprache der Gewerkschaften. Als Sicherheitsmaßnahme ist ein Zaun um den Hinterbühnenbereich errichtet worden. Dadurch können die Zuschauer nicht mehr überall hinflanieren, wie sie es früher gewohnt waren. Damals war die Festspiel-Saison quasi der Urlaub für viele Mitwirkende. Auf dem Festspielgelände, in der Kantine, fast überall waren die Familien. Früher war es selbstverständlich, dass wir unsere Kinder mitbringen konnten. Einmal kam ich zurück von der Bühne und meine drei Söhne waren intensiv ins Gespräch vertieft mit Christoph Schlingensief. Sie hatten in seinem Beisein, ohne ihn zu kennen, seine Inszenierung als "Mist" bezeichnet, was er natürlich äußerst interessant fand. Das gibt es gar nicht mehr.
Albert: Ich habe Freude daran, mit dem, was ich kann, zu helfen und weiterzuentwickeln. Und wenn dann das Gegenüber das auch möchte, dann kann ich auch gut zum Beispiel mit einer Intonation, die nicht so sicher ist, umgehen. Ich bin aber streng, beharrlich. Was denen, die mit mir zusammenarbeiten, auch gefällt. Aber es ist gar nicht vergleichbar damit, wenn ich selber im Ensemble singe, und mich dann daran reibe, die Perfektion zu suchen. Es ist einfach eine andere Aufgabe. Es gibt aber sehr viele, sehr, sehr gut singende Menschen, die kein ausführliches Gesangsstudium absolviert haben. Das möchte ich gar nicht abreden.
Albert: Ich glaube, das ist eine Charakterfrage. Wie sehr man, ein strapazierter Ausdruck, wie sehr man in seiner Mitte ruht. Natürlich hadere ich ab und zu. Und dann ist es schon eine Aufgabe, zu sagen, was sind alles die Pluspunkte für das, wo ich mich befinde. Ich habe zum Beispiel einmal in der Schulklasse ein Youtube-Video von Diana Damrau gezeigt mit der Königin der Nacht. Das war eine Studienkollegin von mir. Und dann kommt natürlich die Frage, ja, und die singt jetzt an der Met und Scala, und Sie, warum sind Sie jetzt hier bei uns? Weil ich gerne da bin. Ich habe eine glückliche Familie, bin glücklich verheiratet. Ich habe ganz, ganz viel erlebt, bin auf der Welt rumgereist, habe an wunderbaren Orten gesungen. Und Karriere ist auch nicht nur ein Zuckerschlecken. Die Frage ist eher, was gebe ich auch dafür auf? Ich kenne Kollegen, die ausschließlich Gastsänger in Opernchören und Rundfunkchören sind, die dann das ganze Jahr im Wohnmobil unterwegs sind. Das wäre jetzt nicht so meins.