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Gemünden/Würzburg
Nach Urteil gegen 92-Jährigen: Wie sehr belastet die heimische Pflege?
Der Fall des Mannes aus Gemünden, der seine kranke Ehefrau erstickte, rückt die Situation pflegender Angehöriger ins Blickfeld. Politiker sehen den Prozess als "Weckruf".
Der Prozess in Würzburg rückt die Situation pflegender Angehöriger ins Blickfeld. Rund vier Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland, drei Viertel werden zuhause gepflegt.
Foto: Mascha Brichta | Der Prozess in Würzburg rückt die Situation pflegender Angehöriger ins Blickfeld. Rund vier Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland, drei Viertel werden zuhause gepflegt.
Jonas Keck
 und  Michael Czygan
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:24 Uhr

Am Donnerstagnachmittag hat das Landgericht Würzburg einen 92-jährigen Mann, der in Gemünden (Lkr. Main-Spessart) seine schwer kranke Frau getötet hat, zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wegen Totschlags in einem minderschweren Fall wird zur Bewährung ausgesetzt. Dem Vorsitzenden Richter Hans Brückner zufolge handelt es sich um "einen sicherlich außergewöhnlichen Fall".

Rechtlich sei das Verhalten des Angeklagten als Totschlag zu werten, gleichwohl sei dem Gericht das Urteil nicht leicht gefallen. Brückner begründete die Bewährungsstrafe unter anderem mit dem hohen Alter des Angeklagten, seinem Geständnis und dem außergewöhnlichen Motiv.  Zudem ist der Mann nicht vorbestraft. Das Urteil sollte aber nicht als "Freibrief für Nachahmungstäter" verstanden werden, so der Richter.

Der 92-Jährige hatte zu Prozessbeginn gestanden, im November 2019 seine demente und körperlich kranke Frau im Bett mit einer Hasenfell-Decke erstickt zu haben. Nach eigenen Worten war er mit der nahezu alleinigen Pflege der 91-Jährigen überfordert und handelte aus Liebe. Nach der Tat versuchte der Rentner vergebens, sich umzubringen.

Zu einer Bewährungsstrafe verurteilte das Landgericht Würzburg den 92-Jährigen, der seine schwer kranke Frau getötet hatte. Rechts im Bild sein Anwalt Norman Jacob.
Foto: Nicolas Armer, dpa | Zu einer Bewährungsstrafe verurteilte das Landgericht Würzburg den 92-Jährigen, der seine schwer kranke Frau getötet hatte. Rechts im Bild sein Anwalt Norman Jacob.

Pflege bedarf bis zu zehn Stunden täglich

Der Prozess in Würzburg wirft ein Schlaglicht auf die Situation pflegender Angehöriger. Rund vier Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland, drei Viertel werden zuhause gepflegt – meist von nahen Angehörigen, in der Mehrzahl Frauen. Laut einer Umfrage im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ist ein Viertel mehr als sieben Stunden täglich mit der Pflege beschäftigt, im Falle von dementen Menschen sind es häufig sogar zehn Stunden.

Laut der Umfrage empfinden 26 Prozent der Pflegepersonen die Betreuung als "hohe Belastung", 43 Prozent sehen sich mittelschwer belastet. Jeder Vierte sagt, er könne die Pflegesituation "nur noch unter Schwierigkeiten" oder "eigentlich gar nicht mehr" bewältigen. Die Bedürfnisse sind laut der Untersuchung sehr heterogen. Nicht zuletzt dank der Pflegeversicherung mangele es nur selten an finanzieller Unterstützung, gefragt seien vor allem praktische Hilfen und emotionale Begleitung. Abhilfe will die AOK unter anderem mit dem "Familiencoach Pflege" schaffen, ein niederschwelliges Angebot im Internet, das Tipps und Übungen beinhaltet, um mit den seelischen Herausforderungen in der Pflege besser zurechtzukommen.

Pflegestützpunkte sollen helfen

Als "Weckruf", um bei der häuslichen Pflege "endlich" genauer hinzuschauen, sieht die bayerische SPD den Prozess in Würzburg. Die Politik dürfe Menschen, die sich um ihre Angehörigen kümmern, nicht im Stich lassen. Marietta Eder, die stellvertretende Landesvorsitzende aus Schweinfurt, räumt ein, dass es eine ganze Reihe von Angeboten gibt, die theoretisch helfen könnten, Pflegende zu entlasten. Allerdings wüssten die Betroffenen davon häufig nichts.

Für Abhilfe könnten Pflegestützpunkte in allen Kreisen und kreisfreien Städten Bayern sorgen. Ihnen komme eine "Lotsenfunktion" zu, um bedarfsgerechte Hilfsangebote zu finden oder die Pflegenden durch den "Formular- und Bürokratie-Dschungel" zu begleiten. Zudem fordert die SPD-Politikerin einen Ausbau von Kurzzeit- und Tagespflegeplätzen, wenn pflegende Angehörige eine Verschnaufpause benötigen.  

Derweil nahm der 92-jährige Angeklagte aus Gemünden das Urteil an. Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.

Hinweis der RedaktionIn der Regel berichten wir nicht über Selbsttötungen, außer die Umstände erlangen besondere Bedeutung in der Öffentlichkeit. Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

 
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  • Peppo
    Wissen sie wie es ist mit einem Dementen zu leben, wir können uns kein Urteil bilden. Für ihn gab es keinen anderen Ausweg aus seiner hoffnungslosen und hilflosen Situation.
    Wie gerecht finden sie es eigentlich dass ein Polizeischüler der seinen Kollegen aus Versehen erschießt, eine Bewährungsstrafe bekommt, obwohl jeder normale Mensch weiß, dass man keine Waffe auf jemanden richtet.
    Unsere Rechtssystem geht mir noch auf den Geist
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  • juergenmagic@t-online.de
    Das Urteil ist vollkommen in Ordnung und die Richter haben Weitsicht und Menschlichkeit bewiesen. Aber der Fall beweist wieder mal, wie es um die Pflege in Deutschland bestellt ist. Zu wenig Personal, zu teuer und zu wenig Plätze.
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  • e.max.s@t-online.de
    Wo haben sie denn was von 10000 EUR Geldstrafe gelesen?
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  • carmen.reitz-borst@gmx.de
    10000 Euro Geldstrafe das ist heftig für gemeinnützige Organisationen von denen er seid Jahren keine Unterstützung bekam.
    Die zwei Jahre auf Bewährung das ist ja noch ok für ihn.
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  • Blum66
    Es ist beschämend für Deutschland das es soweit überhaupt gekommen ist. Wieder ein Beispiel dafür daß man im Alter nichts vom Staat erwarten kann. Traurig ,einfach nur traurig.
    Die Alten sind halt nichts Wert.
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  • p.kriebel@gmx.net
    In der Schweiz wäre das für die alte Dame wesentlich einfacher und würdevoller möglich gewesen.
    Der Ehemann wäre dann auch nicht vor Gericht gelandet.
    Trotzdem ein menschliches Urteil.
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  • info@softrie.de
    Keine Vorstrafen, Geständnis, etc

    Klar, dass da Bewährung kommt
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  • capricorn22
    Na Gott sei Dank muss er nicht ins Gefängnis! Ich hoffe er hat noch irgendwelche Angehörige oder Freunde, die sich jetzt um ihn kümmern!
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  • Albatros
    Da wurde endlich mal ein Urteil "Im Namen des Volkes" gesprochen.
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  • al-holler@t-online.de
    na, das klingt aber jetz scho gaaanz anders, als zuletzt....
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  • stefan.behringer@web.de
    Ein weises Urteil!
    Die Mühlen der Justiz können auch menschlich sein..
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