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Main-Spessart
Main-Spessarts Nahversorgungs-Problem - und wie es gelöst werden kann
Etwa 50 000 Main-Spessarter haben fußläufig keinen Supermarkt am Wohnort. Das zeigt eine Studie der IHK. Dabei ist kaum etwas so wichtig für einen Ort wie die Nahversorgung.
Eine Frau beim Einkauf in einem Supermarkt. 
Foto: Sven Hoppe | Eine Frau beim Einkauf in einem Supermarkt. 
Martin Hogger
Martin Hogger
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:46 Uhr

Man kann Stefan Schäbler jetzt nicht als geborenen Trendsetter bezeichnen. Erst seit ein paar Wochen hat er Netflix. Filme und Serien auf Abruf zu schauen, klang gut. "Aber da läuft nur Müll. Die Auswahl bei Amazon Prime ist besser", sagt er und lacht. Auf anderen Gebieten dagegen war Schäbler oft früh vorne dran. Ein Jahr vor der Wende stellte er seine Landwirtschaft auf Bio-Betrieb um. Heute würde das höchstens Schulterzucken provozieren. Damals nannten ihn die Leute "Spinner". Der Einzelhandel sollte erst ein Vierteljahrhundert später sein Herz für Nachhaltigkeit entdecken. Wie also sollte Schäbler sein Obst und Gemüse unter die Leute bringen?

Knapp 650 Menschen leben in Tiefenthal bei Marktheidenfeld. Schäblers Hof liegt in der Ortsmitte. Ursprünglich hatte er überlegt, einen Hofladen zu eröffnen. Doch Tiefenthal ist zu klein, es hätte sich nicht gerechnet. "Im Jahr 2000 habe ich dann beschlossen, meine Ware einfach zu den Leuten zu fahren." Zwanzig Jahre und eine Pandemie später ist daraus ein Supermarkt auf Rädern mit dem Namen "Grashüpfer" geworden. Der Hof ist jetzt ein Lager, in dem sich die Kisten bis unter die Decke stapeln. 

Geschäft platzt aus allen Nähten

Die Kunden bestellen online, ein paar noch per Telefon. Es gibt Essens-Pakete im Abonnement. In manchen Kisten landet sogar ein Magazin. Bezahlt wird per Lastschrift, jederzeit änder- und kündbar. Klingt alles ein bisschen wie Amazon Prime. Ein Lieferfahrer, der gerade alte Kisten auslädt, beschwert sich über Platzmangel, während zwei Mitarbeiter Lebensmittel in neue Kisten packen. "Wir platzen gerade aus allen Nähten", sagt Schäbler.

Mit seinem mobilen Supermarkt war Schäbler schon wieder früh dran. Denn immer mehr Menschen sind auf einen Service wie den seinen angewiesen. Fast 40 Prozent der Main-Spessarter – das wären um die 50 000 Menschen – haben laut einer Studie der IHK Würzburg-Schweinfurt keine Möglichkeit, im Umkreis von zehn Gehminuten Lebensmittel einzukaufen. Ein vom Landkreis Main-Spessart beauftragtes Gutachten der Beratungsfirma CIMA kommt zum selben Ergebnis.

Während es für Menschen mit Auto in Main-Spessart gut aussieht – 96 Prozent würden in zehn Autominuten zumindest einen kleinen Supermarkt erreichen – schätzen die Autoren beider Gutachten die Lage für Menschen, die nicht oder nicht mehr Auto fahren können, als "problematisch" ein. Dabei wäre auch für die jüngeren eine gute, nahe Versorgung wichtig. 

Die Nahversorgung hat großen Einfluss auf die Wohnqualität

Stefan Schäbler baut in seinem Gewächshaus selbst das Gemüse an, das er verkauft.
Foto: Stefan Schäbler | Stefan Schäbler baut in seinem Gewächshaus selbst das Gemüse an, das er verkauft.

An der sogenannten "Nahversorgung" hängt viel mehr, als man meinen mag. "Deren Qualität definiert die Wohn- und Arbeitsattraktivität." Das sagt Christian Seynstahl, Referent für Regionalentwicklung bei der IHK Würzburg-Schweinfurt. Denn im Grunde ist es so: Lebensmittelgeschäfte binden Menschen. Politiker sprechen da oft von "Ankerfunktion" oder "Magnetfunktion".

Letztenendes ist es egal, wie mans nennt, aber ohne diese Bindung können sich erstens ergänzende Geschäfte häufig nicht ansiedeln oder gehen verloren, sagt Seynstahl. Und zweitens bedeuten weniger Jobs wiederum weniger Gründe, für Niederlassungswillige in einen Ort zu ziehen. Die Leute leben gern da, wo sie arbeiten.  Die Einkommens- und Gewerbesteuer fehlt der Gemeindekasse dann, wenn es für Ortsverschönerungen oder Kultur gebraucht würde. Seynstahl nennt das "einen Teufelskreis".  In den vergangenen Jahren schrumpften 31 von 40 Gemeinden im Landkreis Main-Spessart. Die Leute, die bleiben, werden immer älter und mobil zu bleiben, wird schwieriger. 

Ohne Auto geht im Landkreis wirklich nichts

Dass man in Main-Spessart ein Auto braucht, ist nicht neu. Es war schon immer ein Flächenlandkreis. Früher aber überlebten die kleinen Einzelhändler im Ort, weil sich einerseits weniger Menschen ein Auto leisten konnten. Andererseits lebten und arbeiteten mehr Menschen im Ort. In Ruppertshütten, das theoretisch zu Lohr gehört aber praktisch "ab vom Schuss" liegt, gab es mal drei Lebensmittelgeschäfte bei 800 Einwohnern. Vor zehn Jahren schloss das letzte. "Da dachten wir: Um Gottes Willen, was machen wir denn jetzt?", erzählt Uli Heck, der dort schon lange wohnt. 

Heute würde sich nicht mal mehr ein kleiner Supermarkt im Ort rechnen, sagt er. Die Zahl der Supermärkte in Main-Spessart nehme "beständig" ab, heißt es auch im CIMA-Gutachten. Die Leute arbeiteten in der Stadt, dort kaufen sie auch ein – bei den Großen. Die entstanden, weil eben auch Lebensmittelmärkte in einem Markt konkurrieren. Auch hier gilt: fressen und gefressen werden.

Ein Mitarbeiter Schäblers packt Lebensmittel wie bestellt in die Tüten. 
Foto: Martin Hogger | Ein Mitarbeiter Schäblers packt Lebensmittel wie bestellt in die Tüten. 

Als sich immer mehr Leute ein Auto leisten konnten, entstanden die Discounter auf der grünen Wiese. Die Baukosten konnten sie von der Steuer abschreiben, sie waren damit auch unabhängiger von Vermietern. Außerdem wuchs das Angebot mit der Größe. Mit den Vorteilen der Großen konnten die Kleinen, die noch in den Ortskernen bleiben wollten, irgendwann nicht mehr mithalten. 

ÖPNV ist oft keine Alternative zum Auto

Unterhält man sich mit Politikern aus allen Ecken des Landkreises, können sie einem ganz genau diese Dynamik erklären. Viel dagegen tun, könne man heute nicht mehr. IHK-Experte Seynstahl sagt: "Überall Vollsortimenter hinzustellen, macht ja auch keinen Sinn." Und den Öffentlichen Nahverkehr einfach ausbauen, damit die alten Menschen nicht selber fahren müssen? Da gäbe es ja Nachholbedarf, heißt es im CIMA-Gutachten, das Roden und Urspringen im mittleren Süden, Eußenheim, Gössenheim und Karsbach im mittleren Osten sowie die Sinngrundorte Aura im Sinngrund und Fellen im Norden nennt. "Dies sind deutlich unzureichend nahversorgte Gemeinden", heißt es weiter.

Nicht gut weg kommen auch Bischbrunn, Esselbach, Hasloch, Kreuzwertheim, Retzstadt und Schollbrunn sowie zahlreiche Ortsteile von Arnstein, Gemünden, Gräfendorf, Karlstadt, Marktheidenfeld und Triefenstein. Die CIMA-Autoren geben die Schuld der geringen Taktung. Die Politiker vor Ort erzählen wiederum von den vielen Leerfahrten der Busse und von fast 90-jährigen Bekannten, die mit dem Auto direkt vor die Tür fahren müssen, weil die Knie den Weg nicht mehr mitmachen. Es läuft auf das Henne-Ei-Problem hinaus: Nutzen die Menschen den ÖPNV nicht, weil er so selten kommt oder kommt der Bus so selten, weil ihn die Menschen nicht nutzen?  

Main-Spessarts Nahversorgungs-Problem - und wie es gelöst werden kann

Neue Geschäftsmodelle ergänzen Discounter

Doch es gibt Lösungen. Die genossenschaftlichen Dorfläden zum Beispiel. Zwar muss man auch da erst einmal hinkommen und nicht in jedem Ort funktionieren sie. Wenn es klappt, gibt es diese "Magnetfunktion" wieder. Die Preise sind zwar höher als im Discounter, aber der Gewinn muss es nicht sein. Das Dorf bekommt wieder einen Treffpunkt. 

Und bevor wir am Ende des Textes wieder bei Lebensmittel-Lieferant Schäbler sind, lohnt sich ein Blick nach Ruppertshütten und Uli Heck. Der sagt nämlich heute, zehn Jahre nachdem das letzte Lebensmittelgeschäft schloss: "Die Situation finde ich momentan gut." Ohne Dorfladen, betont er. Die Bewohner hätten sich darauf eingestellt und es seien neue Geschäftsmodelle entstanden. Der Metzger biete jetzt zum Beispiel auch Nudeln und Eier an. Alles weitere bringt dann gern mal die Verwandschaft aus Gemünden oder Lohr mit, sollte man selbst nicht mehr hin können. Dazu gab es ein unerwartetes Comeback von etwas, das die Älteren noch kennen sollten: die Bäcker-Autos sind wieder da. 

Oft werde vergessen, dass es lange nicht üblich war, Essen zu bestellen, sagt Stefan Schäbler. Bei ihm haben vor 20 Jahren hauptsächlich Leute eingekauft, die Bio-Lebensmittel wollten. Inzwischen ist die Käuferschicht durchmischt. "In den vergangenen Jahren sind dann ältere Menschen dazu gekommen, die offener für belieferte Versorgung sind", sagt er.  Es kämen auch Bestellungen aus Hamburg oder Berlin, Kinder ordern für die Eltern. Klar, "Grashüpfer" sei teurer als ein Discounter. Doch auf die blicke er gar nicht. "Wir haben deren Reserven und deren Macht nicht. Wir kalkulieren, damit wir über die Runden kommen", sagt Schäbler. Und damit fährt er gut. 

 
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    Das Auto war mal ein Freiheitsversprechen. Die Kehrseite zeigt sich nach Jahrzehnten Autoförderung und autogerechter Siedlungsentwicklung: Wir sind abhängig vom Auto geworden, an vielen Orten kann man ohne kaum noch leben und gerade im Alter wird das ein Riesenproblem. "Freiheit" sieht anders aus. Es ist jetzt an der Zeit, diese Entwicklung umzukehren. Die Verkehrswende ist das neue Freiheitsversprechen. Diesmal aber nachhaltig. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, auch ohne eigenes Auto mobil zu sein und sich versorgen zu können. Es ist Aufgabe der gewählten Politiker, dafür zu sorgen und nicht schulterzuckend zu sagen "Tja, ÖPNV gibts auf dem Land halt nicht". Wir brauchen guten und günstigen ÖPNV, gute und sichere (und nicht zugeparkte) Rad- und Fußwege und die Förderung von regionalen Wirtschaftskreislaufen und Dorfläden.
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  • A. H.
    Krokodilstränen - es waren doch die jetzt Alten, die ab den 70er Jahren vom freistehenden Haus im Grünen träumten und diesen Traum auch "verwirklichten". Und den Opa und die Oma rissen sie auch gleich aus ihrem gewohnten Dorfkern (in dem es noch zumindest Bäcker und Metzger gab) heraus und verpflanzten sie ins oft ins mehrere km entfernt gebaute gesichtslose "Lego-Haus" - man brauchte ja schließlich deren Rente für die Finanzierung.......
    Und ich wiederhole mich: Jetzt sitzen sie da draußen, haben kein Auto (mehr) und schreien nach (fremder) Hilfe.
    Es fällt mir schwer einzusehen, weshalb ich, der ich damals einen anderen Weg gegangen und in die Peripherie mit vorhandener entsp. Infrastruktur gezogen bin, jetzt deren öPNV subventionieren soll.
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  • A. H.
    "was wir brauchen...." - wenn ich das schon höre!
    Gehen Sie doch statt abgedroschenen grünen Schlagworten mit guten Beispiel voran und eröffnen sie einen Dorfladen in einem 500-Seelen-Dörfchen.....
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  • A. H.
    Ja warum mussten denn die kleinen ortsnahen Läden schließen? Weil die Leute auch als diese noch geöffnet hatten lieber mit dem Auto doch zum ach so günstigen Supermarkt gefahren sind und nur noch das dort Vergessene im Ort geholt haben. Das sie im Supermarkt meist mehr kauften ("es war ja doch sooo günstig"), als sie brauchten und vieles wegschmissen sei nur am Rande erwähnt.
    Jetz sind sie alt und können nimmer Auto fahren - und jetz geht des Gejammere los und man will einen Stundentakt nach Hinterdingsbach und dort vor die Haustür.......
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