Main-Spessart schrumpft. Die Entwicklungen sind beim Blick auf die Grafik augenfällig. Das Bayerische Landesamt für Statistik hat jetzt die aktuellen Einwohnerzahlen für den Landkreis und seine vierzig Gemeinden (Stand 30. Juni 2020) veröffentlicht. Richtig aufschlussreich werden die amtlichen Zahlen, wenn man sie zu früheren ins Verhältnis setzt. Nehmen wir den 30. Juni 2000. Der Vergleich der aktuellen Zahlen mit denen vor zwanzig Jahren schließt zufällige Schwankungen aus und zeigt deutliche Entwicklungen. Gründe dafür gibt es sicher viele, aber einige sind wahrscheinlicher und gewichtiger als andere. Sie sollen zumindest angedeutet werden.
Die Einwohnerzahl des Landkreises Main-Spessart hat in den zwanzig Jahren um über 6000 oder rund 4,5 Prozent abgenommen. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Birkenfeld, Karbach, Roden und Urspringen zusammen.
Allerdings ist die Entwicklung innerhalb des Landkreises, alles andere als einheitlich negativ. Von den 40 Gemeinden haben vier Fünftel eine negative Bilanz, nur ein Fünftel hat eine positive Bilanz. Die Gemeinden mit positiver Entwicklung sind Birkenfeld, Erlenbach, Esselbach, Karbach, Kreuzwertheim, Marktheidenfeld, Triefenstein und Urspringen. Das Einwohner-Plus ist bei Karbach relativ am größten mit 8,7 Prozent, gefolgt von Urspringen (8,6 Prozent) und Marktheidenfeld (4,2 Prozent).
Nimmt man die vier "großen" Städte im Landkreis in den Blick, dann hat nur Marktheidenfeld bei der Einwohnerzahl im Vergleich 2020 zu 2000 zugelegt. Karlstadt hat rund zwei Prozent seiner Einwohner verloren, Lohr sieben Prozent und Gemünden sogar zwölf Prozent. Die Verluste wurden auch nicht in den unmittelbaren Nachbargemeinden "aufgefangen".
Enorme Abwanderung aus dem Sinngrund
Der Raum Gemünden ist der mit den stärksten Einwohnerverlusten im Landkreis. Massiv betroffen sind Mittelsinn (minus 18,5 Prozent) und Obersinn (minus 16,6 Prozent). Für die starken Verluste ist weniger verantwortlich der Umstand, dass mehr Menschen sterben als geboren werden. Hier fällt aber der Wanderungssaldo besonders negativ aus. Das heißt: es ziehen viel mehr Menschen weg als zu. Vor allem junge Menschen überlegen sich, wo sie welche berufliche Chancen haben. Bei der Beantwortung dieser Frage fällt eine Entscheidung dann oft gegen den "zentrumsfernen" und eher infrastrukturschwachen Raum Gemünden. Die Tendenz ist eben, dorthin zu ziehen, wo man arbeitet, zumindest in die Nähe des Arbeitsplatzes.
Wie sieht es in der "Wachstumsregion" Marktheidenfeld aus? Nach den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit gab es zu Beginn dieses Jahres allein in Markheidenfeld rund 11 800 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Von der Kernstadt Marktheidenfeld mit ihren Gewerbegebieten zum Autobahnanschluss im Stadtteil Altfeld sind es nur runde fünf Kilometer, gleich am Autobahnanschluss erstreckt sich ein großes Gewerbegebiet, ein weiteres entsteht. Nach Frankfurt, in das Rhein-Main-Gebiet sind es neunzig, hundert Kilometer.
Marktheidenfeld hat einen "Wohngürtel"
In Marktheidenfeld sind Bauplätze für Wohnhäuser knapp und ist der Erwerb von Wohneigentum verhältnismäßig teuer. Deswegen wird manche junge Familie sich dafür entscheiden, im Umland zu bauen, wenn ein der Arbeitsplatz in Marktheidenfeld ist. Das könnte ein Grund für den Einwohnerzuwachs in Karbach sein. Bei Urspringen kommt hinzu, dass es etwa auf halber Strecke zwischen Marktheidenfeld und Karlstadt liegt. Möglicherweise arbeitet ein Partner in Marktheidenfeld, der andere in Karlstadt. Mit Marktheidenfeld fast zusammengebaut sind Erlenbach und Triefenstein, jeweils mit eigenen Gewerbegebieten.
Schnell kommt man von Triefenstein nach Wertheim (zum Beispiel zum Gewerbegebiet in Bettingen) oder von Homburg nach Würzburg. Gleich hinter Bettingen ist der Autobahnanschluss Wertheim/Lengfurt. Kreuzwertheim trennt von Wertheim lediglich der Main, wobei Kreuzwertheim in Wiebelbach ein großflächiges Gewerbegebiet unterhält. Von dort ist es zur Autobahnanschlussstelle in Altfeld wieder nur der sprichwörtliche Katzensprung. Vom neuen Esselbacher Gewerbegebiet ist es über Michelrieth ebenfalls nicht weit dorthin.
Noch spielen Straßen für Autos und Lastwagen, für den Personenverkehr und den Güterverkehr, eben eine wichtige Rolle. Vielleicht werden die Asphalt-Autobahnen auch in der Fläche einmal in ihrer Bedeutung von den Daten-Autobahnen abgelöst – nicht zuletzt, um Gebiete mit stark negativem Bevölkerungssaldo zu stabilisieren. Anders ausgedrückt: Vielleicht kommt dann die Arbeit zum Menschen und muss nicht der Mensch zur Arbeit kommen.