Als Wilfried Heßler im Juli mit Bauchschmerzen ins Lohrer Klinikum kam, bekam er gleich zwei Diagnosen. Die Ursache seiner Schmerzen, das war eine Bauspeicheldrüsenentzündung, in wenigen Tagen behandelt. Dass die Ärzte eine zweite, schwerwiegendere Diagnose stellen konnten, war ein glücklicher Zufall: Bei Voruntersuchungen fanden sie in seinem Magen etwas, das zunächst aussah wie ein abgeheiltes Magengeschwür – sich nach einer Biopsie aber als Magenkrebs entpuppte.
Heute können Heßler und die behandelnden Chefärzte Dr. André Ragheb und Dr. Walter Kestel gelöst über diesen Moment reden. Denn dass der Tumor zufällig bei der Untersuchung auffiel, war Heßlers großes Glück. "So wie der Tumor lag, hätte Herr Heßler wahrscheinlich noch lange keine spezifischen Symptome oder Beschwerden gehabt", sagt Ragheb. Wäre der Krebs unbemerkt weitergewachsen, hätte er Metastasen gebildet und wäre im schlimmsten Fall nicht mehr zu heilen gewesen. Ein halbes Jahr später hätte dem Burgsinner Heßler wohl ein großer Teil seines Magens operativ entfernt werden müssen, ein Eingriff, der für den Körper nicht leicht zu verkraften und auch keine Garantie auf vollständige Heilung ist. Zudem hätte dann eine begleitende Chemotherapie notwendig sein können.
Chefarzt bringt Erfahrung aus Düsseldorfer Klinik nach Lohr
So aber war der Tumor noch in einem frühen Stadium und nicht in die tieferen Schichten der Magenwand eingewachsen. Und so kam für Heßler eine Behandlungsmethode in Frage, die es am Klinikum Main-Spessart noch nicht lange gibt.
Heßlers zweites großes Glück war Ragheb: Der Chefarzt der Inneren Medizin I kam 2020 nach Lohr, zuvor war er an einer Düsseldorfer Klinik, an der modernste endoskopische Eingriffe sehr häufig durchgeführt werden. Fällt ein Tumor in einem so frühen Stadium auf, wie es bei Heßler der Fall war, dann kann ein Spezialist wie Ragheb ihn endoskopisch entfernen: Bei einem sanften Eingriff, der einer Magenspiegelung gleicht, hat er das tumorbefallene Gewebe einfach "herausgeschält".
Tumor-Entfernung wie eine Magenspiegelung
"Als ich das gehört habe, da habe ich erstmal an einen Gurkenhobel gedacht", erzählt Wilfried Heßler. "Ich bin da nicht ohne Angst herangegangen." Mit dem Gurkenhobel haben die Präzisionsgeräte von Ragheb selbstverständlich nichts gemein. Über einen Spiegelungsschlauch führt er ein Elektromesser in den Magen. Damit schneidet Ragheb zunächst um den Tumor herum und spritzt dann eine Flüssigkeit unter das Gewebe. Dann kann er Millimeter für Millimeter unter Sicht mit dem Messer den Tumor in einem Stück vom Untergrund ablösen.
Für Heßler hat sich der Prozess nicht anders angefühlt, als eine übliche Magenspiegelung. Er bekam ein Schlafmittel injiziert und merkte so nichts von dem Prozess.
Einige große Kliniken führen solche Eingriffe durch, für ein kleineres Haus wie das Klinikum Main-Spessart ist das jedoch ungewöhnlich. An diesen gibt es oft weniger Fälle wie den von Wilfried Heßler und weniger Möglichkeiten für die Ärzte, die Technik zu üben. Mehr als 90 solcher Eingriffe hat er schon gemacht, überschlägt Ragheb, diese Erfahrung hat er aus Düsseldorf mitgebracht. Auch in der Speiseröhre und dem Enddarm lässt sich diese Methode anwenden.
Ob der Krebs entfernt ist, kann erst der Pathologe sagen
Bei Wilfried Heßler dauerte die Behandlung etwa eine Stunde. Ob der Eingriff erfolgreich war, konnte Ragheb ihm danach nicht direkt sagen – dies ist jedoch normal an dieser Behandlungsmethode. Der abgelöste Tumor muss erst von einem Pathologen untersucht werden und nur wenn um den abgetragenen Tumor und an seiner Unterseite gesundes Gewebe sichtbar sind, können Arzt und Patient sicher sein, dass er vollständig entfernt wurde. Ist das nicht der Fall, dann ist der nächste Schritt eine OP, in der der betroffene Teil des Magens entfernt werden muss.
Körperlich ging es Heßler bald wieder verhältnismäßig gut. Seelisch belastend war die Ungewissheit, bis nach einigen Tagen die gute Nachricht kam: Der Krebs war komplett in dem entfernten Gewebe. Die Chance, dass es Metastasen gibt, tendiert nach Raghebs Einschätzung gegen null.
Ein "wahnsinniges Glück" nennt Wilfried Heßler die Geschichte im Rückblick, besser hätte es nicht laufen können. Sein Arzt André Ragheb sagt, für ihn war es einer der schönsten Fälle in seiner bisherigen Zeit in Lohr.