
Optiker, Bekleidungsgeschäfte, Schuhläden, Banken, Gaststätten, Juweliere, Döner-Restaurants – all das gibt es in der Lohrer Altstadt mehrfach. Doch jetzt kommt etwas Neues: die "Klangwerkstatt" von Klavierbauer Jan Essert aus Rieneck. Der 24-Jährige hat seine Werkstatt mit Verkauf von Rieneck nach Lohr verlagert. Hier hat Essert in der oberen Hauptstraße über das städtische Förderprogramm "Lohrer Starthilfe" ein Ladengeschäft angemietet. Es soll ein Sprung im doppelten Sinne werden. Denn nicht nur räumlich verändert sich der Klavierbauer. Er hofft durch die stärkere Frequenz in der Lohrer Innenstadt auch auf Neugierige und einen Schub für sein Geschäft.
Das Geschäft als selbstständiger Klavierbauer betreibt Essert seit Ende 2021. Der Ursprung liegt weiter zurück: Esserts Opa Georg hatte sich einst mit einer Werkstatt in Partenstein auf das Reparieren und Stimmen von Klavieren spezialisiert. Der Enkel, der seit seinem sechsten Lebensjahr selbst Klavier spielt, schaute dem Opa in dessen Werkstatt oft über die Schulter.
Ausbildung in Kitzingen und Arbeit in der Schweiz
Als sich die Schulzeit am M-Zweig der Gemündener Mittelschule dem Ende entgegen neigte, habe er eigentlich Mediengestalter werden wollen, erzählt Essert. Doch der Opa habe gesagt: "Das ist nichts für dich. Wie sieht es mit Klavierbauer aus?" Und so absolvierte Essert zunächst ein Praktikum beim Opa und von 2016 bis 2020 eine Ausbildung beim Klavierhersteller Seiler in Kitzingen.
So richtig gepackt habe ihn die Leidenschaft für das Handwerk jedoch erst danach, gesteht Essert. Im Anschluss an die Ausbildung wechselte er in einen Betrieb in Winterthur in der Schweiz, war dort viel mit Reparaturen und dem Stimmen von Klavieren befasst. "Jedes Instrument hat seine Eigenheiten", schildert Essert die Vielfalt seiner Arbeit.
Teils selbstständig, teils angestellt
Während er in der Schweiz berufliche Erfahrung sammeln konnte, vermisste der Rienecker mitten in der kontaktarmen Corona-Zeit doch die Nähe zu Freundin und Familie in der Heimat. Also zog er zurück. In einem kleinen Ladengeschäft an der Rienecker Ortsdurchfahrt richtete er sich eine Werkstatt ein und investierte viel in Werkzeuge. Hier und im Außendienst erledigt Essert an drei Tagen die Woche nun als Angestellter eines Klavierbauers aus Prichsenstadt (Kreis Kitzingen) Arbeiten. Drei Tage in der Woche widmet sich Essert dem eigenen Betrieb. "Ich wollte beides, Sicherheit und Selbstständigkeit", sagt der Klavierbauer über seinen aktuellen Arbeitsalltag.
Den größten Anteil an seinem eigenen Geschäft habe das Stimmen von Klavieren und Flügeln, schildert der 24-Jährige. Aus diesem Grund sei er die meiste Zeit unterwegs. Essert besucht Kunden etwa in einem Umkreis von rund 100 Kilometern. Ebenso wie die Vielfalt der Instrumente, mit denen er dabei zu tun habe, reize ihn auch die Vielfalt der Klavier- beziehungsweise Flügelbesitzer. Sie reiche von Eltern, die das Klavier für das übende Kind in Schuss halten wollen, über die musizierende Großmutter bis hin zu Berufsmusikern. Auch Musikschulen wie die der Stadt Lohr zählten zu seinem Kundenstamm.
Verkauf stark eingebrochen
Rund eineinhalb Stunden braucht Essert für das Stimmen, Reinigen und Einstellen eines Klaviers oder Flügels mit seinen 88 Tasten und ungleich mehr Saiten. Nur für den ersten Ton, das A1, verwendet der Klavierbauer ein Stimmgerät. "Von da aus geht es nach Gehör." Mit einem Stimmhammer aus Holz und Carbon dreht Essert an den 250 bis 270 Wirbeln, um die Spannung der stählernen Saiten in feinen Nuancen zu verändern. Es gehe um die Tonlage, aber auch um die Schärfe, sagt der Klavierbauer. Neben dem Stimmen zählt auch das Überarbeiten der Mechanik von Klavieren und Flügeln zu Esserts Repertoire. "Ein Hammerkopfwechsel beim Klavier ist wie ein Reifenwechsel beim Auto", sagt er.
Neben der Reparatur würde Essert gerne auch Klaviere oder gar Flügel verkaufen. Doch das sei derzeit schwierig, sagt er. Die Corona-Pandemie habe dem Klavierverkauf zwar einen "Riesenaufschwung" beschert, da die Leute nach Beschäftigung in den eigenen vier Wänden gesucht hätten. Doch nun merke man, dass das Geld nicht mehr so locker sitze: "Der Neuverkauf ist derzeit gleich null. Ein Klavier ist ein Luxusprodukt", beschreibt der 24-Jährige die Rahmenbedingungen, die ihm den Start in die Selbstständigkeit nicht gerade leicht machten.
Alten Flügel vor dem Verschrotten gerettet
Essert strahlt im Gespräch dennoch Zuversicht aus. Jedenfalls will er in Lohr auch ein kleines Sortiment zum Verkauf anbieten, beispielsweise gebrauchte Klaviere. Auch einen rund 150 Jahre alten Flügel, den er vor dem Verschrotten gerettet hat, richtet der Klavierbauer gerade her. Neben einem weiteren eigenen Flügel bekommt Essert von einem Kollegen noch dessen Meisterstück für seine Ausstellung.
Dem Klavierbauer schwebt eine Art offene Werkstatt vor, die Neugierige und Interessierte anlockt. Womöglich werde er auch Schulklassen und Kindergärten zu einem Werkstattbesuch einladen, um das Interesse am Erlernen eines Instruments zu wecken.
Wahrscheinlich wird die Mutter in Lohr einspringen
Da er viel im Außendienst unterwegs sei, müsse er allerdings noch nach einer Lösung suchen, damit das Geschäft an möglichst vielen Tagen in der Woche offen sein kann. Seine Mutter werde wohl zeitweise einspringen, sagt Essert. Als Ideallösung schwebt ihm ein Musikstudent als angestellter Mini-Jobler vor.
Bis Werkstatt und Verkaufsraum beschickt sein werden, ist allerdings noch einige Arbeit zu tun. Vor allem müssen die reichlich sperrigen Instrumente von Rieneck nach Lohr geschafft werden. Bei einem Gewicht von rund 280 Kilo bei einem Klavier und um die 400 Kilo bei einem Flügel gehe das nur mit der Hilfe von Freunden und Bekannten, sagt Essert.
Größerer Laden sogar billiger
Er plane nun zunächst für die nächsten eineinhalb Jahre. So lange laufe der Mietzuschuss der Stadt Lohr, der dafür sorge, dass er für das rund 60 Quadratmeter große Ladengeschäft in der oberen Hauptstraße sogar weniger zahle als für die derzeit noch von ihm genutzten und deutlich kleineren Räume in Rieneck. Wenn es gut laufe, sei danach eine Vergrößerung denkbar, sagt Essert. Eine weitere Option sei der Meistertitel. "Mal schauen, wie es sich entwickelt", lässt Jan Essert die Dinge auf sich zukommen.
Infos zu Jan Esserts Klangwerkstatt im Internet unter der Adresse www.jansklangwerkstatt.de.
