
Peter Hartmann aus Gemünden ist Fan und Kenner der Werke von Karl May. Im Wohnzimmer der Hartmanns stehen über dem Sofa in einem Regal über Eck mehrstöckig zig Ausgaben der grünen Bände. Dazwischen platziert finden sich kleine Spielfiguren von Winnetou und Old Shatterhand. Das im Wohnzimmer seien nur die edelsten, zum Teil eigenhändig restaurierten Ausgaben, oben im Haus gehe es weiter, sagt er. Hinzu kommen Quartette und Puzzles und Brettspiele rund um Karl May. Der 62-Jährige, der als Rettungssanitäter arbeitet, hat in dieser Hinsicht einen ausgeprägten Sammlertrieb. 2013 organisierte er eine Ausstellung zum Thema Karl May im Dachgeschoss des Gemündener Huttenschlosses. Die Geschichten um den Indianerhäuptling Winnetou hat Hartmann natürlich einige Male gelesen.
Was sagt er zur hitzigen Debatte um angeblichen Rassismus und sogenannte kulturelle Aneignung, die sich kürzlich an einer Winnetou-Adaption für Kinder entsponnen hat? Wie werden Indianerinnen und Indianer bei Karl May dargestellt? Als Karl-May-Fan sei er natürlich befangen, räumt er ein, aber er fand die Kritik Einzelner, die den Ravensburger-Verlag zum Rückzug der Bücher bewogen hat, als "eine Art von Bevormundung". Die ganze Diskussion findet er eine "Scheindebatte". Dass "kulturelle Aneignung", also dass Menschen einer Kultur sich von Menschen einer anderen etwas zu eigen machen, etwas Negatives sein soll, findet er "Schmarrn".
Die Debatte habe er aufmerksam verfolgt und seine Äußerungen darüber zeigen einen sehr differenzierten Blick darauf. So finde er es nicht gut, wenn die AfD oder Hubert Aiwanger sich hinstellen und den Volkszorn schüren, indem sie so täten, als wolle man den Leuten ihren Helden Winnetou wegnehmen. Natürlich sei Kritik berechtigt, wenn etwa die Darstellung anderer Menschengruppen beleidigend oder erniedrigend sei. Aber er sagt: "Ich würde mal gern wissen, wen von den echten Ureinwohnern in Amerika es wirklich stört, wenn jemand Indianer spielt." Das sei doch auch eine Form von Wertschätzung. Zur Frage, ob man noch "Indianer" sagen dürfe, sagt Hartmann, dass die meisten Ureinwohner sich auch selbst als "Indianer" bezeichnen würden.
Beim "Märchenonkel" Karl May seien die Indianer "ehrlich, rechtschaffen, edel", so Hartmann, keinesfalls primitive Wilde. "Der hat die glorifiziert." Er verweist auf das 1892 von May verfasste Vorwort zu "Winnetou I", das eigentlich alles sage. Dort heißt es unter anderem: "Ganz unstreitig gehörte ihnen das Land, das sie bewohnten. Es wurde ihnen genommen." Die Weißen hätten viele Grausamkeiten an ihnen verübt, weshalb die Indianer nun vor der Ausrottung stünden. "Wollte der Rote nun sein gutes Recht geltend machen, so antwortetet man ihm mit Pulver und Blei", schrieb May. "Darüber erbittert, rächte er sich an dem einzelnen Bleichgesicht, das ihm begegnete, und die Folgen davon waren dann stets grausame Metzeleien, die unter den Roten angerichtet wurden."
"Egal von was die Romane handeln", sagt Hartmann über Mays Werke, "er war immer auf der Seite der Schwachen und immer für Gleichberechtigung unter den Völkern." Die Romane zeichne ein friedfertiger Grundton aus. May sei seiner Zeit voraus gewesen. Die Winnetou-Geschichten seien in einer Zeit entstanden, als auch in deutschen Zeitungen von Indianerüberfällen auf Farmen zu lesen war und Indianerinnen und Indianer als grausame Wilde galten, in einer Zeit, als auf andere als weiße Menschen herabgeblickt wurde. Gerade die Apachinnen und Apachen, als deren Häuptling Winnetou ausgegeben wird, hätten damals einen sehr schlechten Ruf gehabt.

Durch die Karl-May-Verfilmungen hat es in den 1960ern und danach einen wahren Winnetou-Boom gegeben. Mit den Filmen habe es auch bei ihm angefangen, sagt Hartmann. Er erinnert sich, dass bei ihm als kleiner Junge Tränen geflossen seien, weil sein älterer Bruder einen Winnetou-Film im Kino sehen durfte, er aber nicht. Mit acht Jahren durfte er dann endlich seinen ersten sehen. Damals, so der Gemündener, seien alle Mädchen in Pierre Brice verliebt gewesen und die Jungs in dessen Schwester Nscho-tschi. Ein paar Jahre später lieh er sich von einem Kumpel einen ersten Karl-May-Band und kaufte sich später von seinem Taschengeld die ersten grünen Bände selber. An Fasching wollten damals selbstverständlich alle Indianer oder Cowboy sein, Kunststofffiguren der Roman-Helden waren seine liebsten Spielzeuge als Kind.
Hartmann kam über Karl May zu einem allgemeinen Interesse an indianischer Geschichte
Vor allem auf Flohmärkten und dann auch übers Internet ging Hartmann später auf die Jagd nach Karl-May-Bänden und anderen Dingen drumherum. Mit seiner Frau geht er auf Ausstellungen zum Thema und sie waren natürlich auch schon auf den Festspielen in Bad Segeberg. Aber es blieb nicht bei Winnetou & Co. Hartmann besorgte sich auch Fachliteratur zu Indianerinnen und Indianern. Und das sei doch schön, wenn Bücher zu einem vertieften Interesse führten. Vor allem über Karl May habe er zudem Spaß am Lesen entwickelt. Er würde sich in der ganzen Debatte über Winnetou einen weniger verkrampften Blick wünschen.
Neulich war Peter Hartmann mit seinem Enkel in "Der junge Häuptling Winnetou". Der Enkel sei begeistert gewesen. Zum Film sagt der Fachmann: "Das hat mit der Realität nichts zu tun und auch nichts mit den Karl-May-Büchern." Indianer seien aber – im Geiste Karl Mays – sehr wohlwollend dargestellt. Sein Fazit: "Das war ein sehr schön gemachter Kinderfilm."
Ich befürchte, in der aktuellen Debatte schreien wieder die am lautesten, die Winnetou noch nie gelesen haben...
Bei mir selbst ist es auch schon 40 Jahre her - wer will da noch stichhaltig argumentieren?