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Gemünden
"Katastrophe": Wie der globale Lieferengpass eine Elektronikfirma in Main-Spessart trifft
Weil einzelne Teile für wenige Cent oder Euro nicht verfügbar sind, kann die Ziegler GmbH Aufträge nicht fertigstellen. Unterstützung kommt jetzt von den Kunden selbst.
Roland Ziegler, Chef der Ziegler GmbH Industrieelektronik in Gemünden, zeigt eine Platine, für deren Fertigstellung ein winziges Bauteil fehlt.
Foto: Björn Kohlhepp | Roland Ziegler, Chef der Ziegler GmbH Industrieelektronik in Gemünden, zeigt eine Platine, für deren Fertigstellung ein winziges Bauteil fehlt.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:51 Uhr

Wie die Situation gerade ist? "Katastrophe", sagt Roland Ziegler, Chef der Ziegler GmbH Industrieelektronik in Gemünden. Manche Bauteile, die normalerweise nur Centbeträge kosten, seien nicht zu bekommen. "Wir stopfen momentan nur Löcher und gucken, wie wir es irgendwie am Laufen halten können." Ziegler klingt resigniert. Er zeigt eine Platine mit vielen Mini-Bauteilen, auf der ein etwa fingernagelgroßer Controller für 7,50 Euro fehlt. 1200 Stück bräuchte Ziegler davon, dann könnte er den Auftrag fertigstellen. Bestellt sind die Controller seit März 2021, das Fantasie-Lieferdatum ist 2027. "Wenn ich 490 Euro auf den Tisch lege für einen, habe ich sie morgen da."

Die Platine ist für die Displaysteuerung eines Kühlaggregate-Herstellers gedacht. Laut Ziegler hängen oft Riesenmaschinen seiner Kundinnen und Kunden an den Platinen. "Weil ein Bauteil für 7,50 Euro fehlt, können die eine Maschine für 250.000 Euro nicht ausliefern", sagt der Ingenieur.

Doch einfach zu anderen Lieferanten wechseln, könnten die Kunden nicht. Denn die speziellen Bauteile aus Asien bekomme auch sonst niemand – außer zu horrenden Preisen. "Das ist modernes Raubrittertum", findet Ziegler. Das Problem ist, dass im Controller ein Halbleiter verbaut ist – und die sind gerade weltweit knapp. Alle anderen Teile könne man bestellen, auch wenn die Lieferzeit "ewig" sei, aber bei den meisten Halbleitern sei es schwierig.

Nicht verfügbare Bauteile im Cent-Bereich blockieren Aufträge

Ziegler zeigt eine weitere Platine, auf der ein Spannungsregler-Baustein fehlt. In normalen Zeiten koste dieser 51 Cent. 1200 Stück braucht er davon. Weil er das Teil zu keinem erschwinglichen Preis bekam, wurde der Kunde, der schon über ein Jahr auf die Fertigstellung wartet, jetzt selbst tätig: 300 Stück der Teile habe er für je zwölf Euro kaufen können. Die baut Ziegler jetzt in die Platine ein. 

Als Gründe für die Knappheit sieht der Unternehmer die Konzentration der Hersteller solcher Bauteile in Asien und die Auswirkungen der Corona-Pandemie, durch die Werke geschlossen und Lieferketten unterbrochen wurden. Ziegler vermutet, dass chinesische Lieferanten zunächst einmal ihre Kundinnen und Kunden im eigenen Land bedienen. Gut zwei Jahre schon, seit Beginn der Pandemie, bestünden die Probleme. Ziegler hat deshalb schon Aufträge verschieben müssen. Noch habe er aber genug zu tun. "Die Auftragsbücher sind bis zum Brechen voll."

Weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch automatisierte Prozesse

Die jetzige Situation sei sehr nervenzehrend. "Wir machen momentan nichts anderes als zu schauen: Wo bekomme ich was her, damit wir die Fertigung halbwegs am Laufen halten." Richtig planen lasse sich eine Produktion so natürlich nicht. Was jedoch problemlos funktioniere, sei der Mechanik-Bereich, weil Ziegler mit einer Laserbeschriftungsmaschine auch Gehäuse beschriften kann.

16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat die Ziegler GmbH. Früher waren es deutlich mehr, aber durch mehr Automatisierung – die Firma hat sieben Automaten, die vollautomatisch Platinen mit winzigen Elektronikbauteilen bestücken – mussten freiwerdende Stellen nicht nachbesetzt werden. Deutlich mehr Mitarbeiter hätten dem Unternehmen womöglich das Genick gebrochen, glaubt Ziegler. Seine Kundinnen und Kunden kommen aus Deutschland und dem europäischen Ausland.

Kunden suchen händeringend nach Lösungen

In der Krise ist Kreativität gefragt: Der Kunde, der die Platine mit dem 7,50-Euro-Controller braucht, hat jetzt mühsam das Layout der Platine geändert. Nun könne er ein anderes und vor allem vorrätiges Teil verwenden, so Ziegler. Ein weiterer Kunde stelle alle Bauteile selbst zur Verfügung, Ziegler muss sie nur zusammenbauen. Und ein Kunde, der ein von Ziegler produziertes Feinstschweißgerät für eine Goldschmiede bekommt, behilft sich, indem er die ganze Software umstellt. Die Platine kann nun mit einem anderen Controller bestückt werden. Der koste normalerweise 80 Cent – nur gebe es ihn für 300 Euro pro Stück.

Wenn ein Kunde fehlende Bauteile zu Wucherpreisen selbst besorge und ihm zur Verfügung stelle, baue er sie ein, sagt Roland Ziegler. Dass er sie zu solchen Preisen aber selbst kauft, komme für ihn nicht in Frage – denn dann müsste er sie eigenhändig vorfinanzieren.

 
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Kommentare
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  • R. D.
    Das geht allen Elektronikherstellern so aktuell. Bei Anlagen, die 250.000€ kosten, kann man auch mal die überteuerten 500€ bezahlen. Viele andere können das bei günstigeren Produkten nicht.
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  • K. H.
    Super Idee! Es stellt nur niemand das Kapital zur Verfügung, das man für den Aufbau einer solchen Fertigung braucht, weil just in dem Moment, wo alles steht, der Chinese wieder für 80 Cent liefert...
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  • R. B.
    Da sieht man wieder wie bescheuert die Deutschen im allgemeinen sind, wenn man sich so abhängig von Asien macht. Aber Geiz ist ja geil. Ich bin gespannt ob jetzt langsam ein Umdenken kommt und wir wieder diese Cent Artikel wieder selbst produzieren. Dann kostet der oben genannte Artikel keine 300,00 € sondern vielleicht 10,00 oder 12,00 €
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