Die Deutsche Bahn will ihre Kunden auf Facebook und Twitter zukünftig duzen. Irgendwann könnte es auch beim Zugpersonal so weit sein. Natürlich wird es zugleich qualvoll und amüsant sein, dem Social-Media-Redakteur der Bahn dabei zuzusehen, wie er täglich dem verärgerten Mob per du kumpelhaft gegenübertreten muss. Das wäre in etwa so, als würde man vom Schul-Mobber verprügelt werden und sich dann noch dafür entschuldigen, dass man seiner Faust im Weg stand.
Die Deutsche Bahn ist ja nicht der einzige Konzern, der seine Kunden zu Duz-Kumpel machen möchte. Ikea tut das seit Jahren. Nach und nach entwickelte sich von Schweden aus das "Du" im Austausch mit Kunden für Unternehmen zum guten Ton, die krampfhaft jung wirken wollen. H&M, Oatly Hafermilch oder, kein Scheiß, Lidl.
Das "Du" hat nichts im Geschäft verloren
Lassen Sie mich mal aus Angestelltensicht argumentieren, warum das "Du" zwischen Konzernen und Kunden nichts verloren hat. Ich glaube nämlich, dass wir Kunden das "Du" eines Verkäufers gar nicht verdient haben. Das ganze "Der Kunde ist König"-Gerede hat uns so verhätschelt, dass wir inzwischen glauben, uns alles erlauben zu können. Mit einem "Sie" bewahrt sich der arme Verkäufer zumindest ein wenig emotionale Distanz zu einem schimpfenden Maskengegner, den er in Mitten eines stressigen Tages aus dem Geschäft eskortieren muss. Dasselbe gilt natürlich auch für Facebook oder Instagram, wo wir Kunden uns sogar noch mehr erlauben. Nicht wahr, Herr Kümmert?
Andersrum verzichte ich als Kunde gerne auf ein freundschaftliches "Du" von Ikea, einem schwedisch tuenden Sperrholzmöbelkonzern mit Steuersitz in Dänemark, der seine Gewinne durch Steueroasen schleust oder von Oatly, einer Öko-Hafermilch-Firma, die sich von chinesischen Staatskonzernen und seit dieser Woche auch Trump-Spendern finanzieren lässt.
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Warum Konzerne duzen wollen
Es liegt auf der Hand, warum Konzerne auf das "Du" umschwenken. Viele fragen sich einfach, warum sie wie bei Ikea einen Haufen Geld für unspektakuläre Regale und null Service ausgeben sollen. Mit dem "Konzern-Du"-Lasso wollen die Marketingabteilungen dieses Landes die flügge gewordenen Kunden deshalb wieder an sich binden.
Ich bin ein Mensch. Als Mensch bin ich schwach und freilich habe auch ich mich einfangen lassen. Ein (immerhin Second Hand) Ikea-Sofa steht im Wohnzimmer und eine (inzwischen gammlige) Oatly-Packung im Redaktionskühlschrank . Aber: Genau ein solches Kaufverhalten führt ja dazu, dass hier in Main-Spessart (Steuern zahlende) Mittelständler ihre Märkte schließen müssen und es vielen Bauern immer dreckiger geht, weil kumpelhafte (Duz)-Discounter wie Lidl die Preise drücken. Deshalb: Lasst uns zumindest versuchen, Schränke aus Spessart-Holz mit Nägeln aus Innenstadt-Läden von einem Schreiner aus dem Ort zusammenzimmern zu lassen. Das wird schwerer, aber ehrlicher. Und dann können wir uns meinetwegen auch duzen.
Für die Deutsche Bahn gibt es dagegen kaum Alternativen. Deswegen werde ich mich gerne weiterhin von ihr enttäuschen lassen. Aber es fühlt sich einfach schlimmer an, von einem Kumpel(-Konzern) am Bahnhof stehen gelassen zu werden, als von einem, bei dem man es sowieso erwartet hatte. Oder wieso hat Caesar vor 2000 Jahren ausgerechnet "Auch du, Brutus?" geröchelt, während er von 22 weiteren Verschwörern niedergemetzelt wurde.