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Gräfendorf
Geschichte des Fischguts Seewiese: Zucht-Forellen aus dem Saaletal
Aus der Geschichte Main-Spessarts (99): Das Fischgut Seewiese in Schonderfeld gilt als älteste Fischzuchtanlage Deutschlands. Fast genauso alt ist das Jagdschloss daneben, das schillernde Zeiten erlebt hat.
Das Fischgut Seewiese mit dem Jagdschloss, abgebildet in der Zeitschrift 'Gartenlaube' 1892.
Foto: Hoffotograf Carl Hertel | Das Fischgut Seewiese mit dem Jagdschloss, abgebildet in der Zeitschrift "Gartenlaube" 1892.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:53 Uhr

Das Fischgut Seewiese gegenüber von Schonderfeld im Saaletal gilt als eine der ältesten, wenn nicht die älteste Fischzuchtanlage Deutschlands. Seit 1882 existiert es. Diente es in den ersten Jahrzehnten vor allem der Anzucht von Fischbrut, werden heute Fische auf Verzehrgröße herangezogen. Das Fischgut mit seiner idyllischen Lage und der nahe Wald haben vor allem in der Anfangszeit allerlei illustre Persönlichkeiten angelockt. So entstand kurz darauf auch das Jagdschloss, das über die Jahre auf die allerverschiedensten Weisen genutzt wurde.

Aufgebaut hat das Fischgut der in Bamberg aufgewachsene und in Würzburg wohnhafte Militärjustizbeamte (Auditeur) Friedrich Zenk, der sich nebenher begeistert mit der Fischzucht beschäftigte. 1878 hatte er schon einen kurzen Leitfaden für künstliche Forellenzucht herausgebracht und dort geschrieben, dass es durch diese möglich sei, die "großenteils gut geeigenschafteten, leider zumeist verarmten Bäche Unterfrankens, namentlich des Spessarts und der Rhön" wieder mit Edelfischen zu bevölkern.

Ein Würzburger Jurist begründete das Fischgut

Die Geschichte des Fischguts hat kürzlich der ehemalige Gräfendorfer Bürgermeister Johannes Sitter im Buch "Fischgut Seewiese und seine Pioniere" aufgearbeitet. 1882 kaufte demnach Zenk, damals Vorstand des unterfränkischen Kreisfischerei-Vereins, für 40 Mark die Fischrechte am Fischbach, dem Grenzbach der Steuergemeinden Gräfendorf und Schonderfeld. Die hatte zuvor die Juliusspitalsstiftung inne. Zudem erwarb Zenk Grundstücke des Gräfendorfer Brauereibesitzers Gustav Schleicher an der Seewiese.

Das Fischgut Seewiese. Abbildung aus 'Katechismus der künstlichen Fischzucht und der Teichwirtschaft. Wirtschaftslehre der zahmen Fischerei' (1889).
Foto: Eduard August Schroeder | Das Fischgut Seewiese. Abbildung aus "Katechismus der künstlichen Fischzucht und der Teichwirtschaft. Wirtschaftslehre der zahmen Fischerei" (1889).

Früher einmal, so steht es in einem Circular des Deutschen Fischerei-Vereins aus demselben Jahr, hatte der am Ausgang eines schönen, schattigen Waldtales endende Fischbach reichlich Forellen. Doch sei er "ausgeraubt" worden. Fischdiebstahl in Rhön und Spessart war damals ein wiederkehrendes Thema bei Versammlungen des unterfränkischen Fischereivereins. Jedoch sei er vor zwei Jahren mit künstlich erzeugter Brut besetzt worden und wimmele jetzt wieder von Forellen. 1882 war auf dem sieben Hektar großen Areal ein ausgeklügeltes System von bereits 16 Teichen angelegt, von denen die meisten mit Quell- oder Bachwasser oder beiden zugleich gewässert werden konnten.

Hauptzweck war die Zucht von Edelfischbrut

In der Mitte der Anlage stand das 33 Meter lange Bruthaus, das auch die Wohnung des Fischmeisters beherbergte, und in dem sich "Bruttische" aus angekohltem Tannenholz befanden, über die ständig frisches Wasser floss und wo aus den Eiern Fischlein schlüpften. Der Hauptzweck von Seewiese war die Heranzucht der Edelfischbrut, die dann verkauft und in Bächen, Seen und Teichen ausgesetzt wurde. 1892 wurden von Seewiese aus, das einen eigenen Bahnhalt hatte, jährlich zwei Millionen in Watte oder Moos gepackte, eisgekühlte Fischeier und eine Million Jungfische nach ganz Europa und sogar nach Übersee verschickt, es wurden aber auch 30 Zentner Forellen und andere reife Fische verkauft.

Eine ausführliche Beschreibung des Fischguts Seewiese befand sich 1883 in der Zeitschrift des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern. Schon im Mai 1882 wurden in den obersten der Teiche mehrere Hundert aus der Schondra gefangene, ein halbes bis ein Pfund schwere Bachforellen eingesetzt und mit lebenden Weißfischen und Pferdefleisch bis zur Abfischung gefüttert. Infolge der Waldnähe wimmelte es an den Teichen auch von Stechmücken und Fliegen, deren Larven den Salmoniden – auf Seewiese damals die Bachforelle, der Saibling, der Rheinlachs, die Seeforelle, die Regenbogenforelle, die schottische Loch Leven trout und die Äsche (übrigens angeblich wirklicher Lieblingsfisch von Bismarck, wie in der Zeitschrift "Gartenlaube" angemerkt wurde) – ein natürliches Futter boten.

Siglinde Heinlein vom Fischgut Seewiese.
Foto: Michael Fillies | Siglinde Heinlein vom Fischgut Seewiese.

Schon im Frühjahr 1889 verkaufte Friedrich Zenk das Fischgut an den preußischen Oberstleutnant a.D. Wilhelm von Derschau aus dem hessischen Auerbach und den Weingutsbesitzer und Oberstleutnant a.D. Gustav Schellhorn-Wallbillich aus Forst (Rheinland-Pfalz). Zur Wahl des Platzes für das Fischgut habe auch das "waldeinsame, waldschöne Schondrathal" beigetragen, wo der "Sportsmann" auch Jagd auf Hirsch, Reh, Auerhahn, Birkhahn und Haselhuhn machen könne, wie es hieß. Für Schellhorn war das wohl auch das Wichtigste, denn der reiche Junggeselle pachtete während seiner Zeit in Gräfendorf verschiedene Jagdbögen und baute 1888/89 direkt neben dem Fischgut für 120 000 Mark das Jagdschloss samt Wohnhaus für Dienerschaft sowie Stallungen.

Für Fischeier bis nach Norwegen gereist

Miteigentümer Wilhelm von Derschau (1837–1902) hingegen war als Vorstand des Deutschen Fischereivereins tatsächlich an der Fischzucht interessiert. So soll er einmal, wie Sitter schreibt, wegen Fischeiern bis nach Norwegen gereist sein. Der in Mailand wohnende junge Kaufmann Hans Hieke, geboren 1882, ließ sich 1901 von ihm ein halbes Jahr lang gründlich in der Fischzucht unterrichten und pachtete anschließend von Derschau das Fischgut ab Oktober 1901 für "vorläufig fünf Jahre". Als Derschau 1902 starb, erwarb Hiekes Vater Emil dessen Hälfte des Fischguts und verpachtete sie an seinen Sohn. Hans Hieke war zu diesem Zeitpunkt Pächter des gesamten Guts.

Wolfgang Thurn bei Fischen in einem der Teiche.
Foto: Archivbild Wolfgang Schelbert | Wolfgang Thurn bei Fischen in einem der Teiche.

Miteigentümer Schellhorn-Wallbillich war schon 1899 gestorben, das Erbe hatte sein Bruder Wilhelm, ein Reichstagsabgeordneter, angetreten, der zehn Jahre später starb. Dessen Neffe Franz Buhl, ein Unternehmer und 1917 Mitbegründer der rechtsradikalen Deutschen Vaterlandspartei (DVLP), verkaufte 1911 den ererbten Anteil an Seewiese an Hans Hieke, wodurch das Fischgut ganz in die Hände der Familie Hieke überging. Das Jagdschloss verkaufte Buhl 1914 an einen Dr. Hartwig aus Antwerpen. 1928 übernahm die Kreisfürsorge Gemünden das Schloss als Erholungsstätte für Kinder und Kriegsopfer.

Alois Heinlein.
Foto: Heinlein | Alois Heinlein.

Der körperliche eingeschränkte und gesundheitlich angeschlagene Hans Hieke heiratete 1911 seine sechs Jahre ältere Frau Paula, geborene von Nessen. Die beiden hatten zwei Kinder (Hans und Gertrud), die ebenfalls körperbehindert waren. Hans, 1916 früh gestorben, hatte seine Frau Paula zur Alleinerbin des Fischguts und die Kinder als ihre Nacherben bestimmt, was seine Mutter und Geschwister 20 Jahre lang versuchten juristisch anzufechten. Erst 1936 wurde Paula rechtskräftig alleinige Eigentümerin. Als sie 1955 im Alter von 79 Jahren starb, hinterließ sie das Fischgut ohne Schulden.

Gegen eine Rentenzahlung von monatlich 250 DM, ein Wohnrecht und den Neubau eines Wohnhauses überließen die beiden Hieke-Kinder (beide gestorben 1962) das Fischgut ihrer Cousine Marianne Berndes, geborene von Nessen, die in Ingelheim ein Weingut besaß. Bis 1970 blieb Berndes Eigentümerin, während Eduard und Katharina Erbes das Fischgut verwalteten. 1970 übernahmen sie das Forsthaus Aurora. Im selben Jahr erwarb das Frankfurter Spediteurs-Ehepaar Alois (1930–1998) und Siglinde Heinlein (geb. 1942) das Fischgut und bezog das Haus der Geschwister Hieke am Fischgut. Alois war leidenschaftlicher Angler und hatte von einem Angelfreund gehört, dass die Seewiese zum Verkauf steht. Sie wollten es eigentlich nur als Wochenendsitz nutzen.

Petra Thurn mit geräucherten Forellen in der Räucherschale. Wolfgang Schelbert
Foto: Wolfgang Schelbert | Petra Thurn mit geräucherten Forellen in der Räucherschale. Wolfgang Schelbert

Eine Zeit lang war das Fischgut nicht mehr in Betrieb, aber Alois Heinlein machte eine Ausbildung zum Fischwirt und irgendwann waren die Teiche voll und der Betrieb lief wieder. Zuerst zogen Siglinde und die beiden Kinder zur Seewiese. 1975 verkaufte Alois Heinlein seine Spedition und kam nach. Er widmete sich voll der neuen Heimat, war Gemeinderat und 25 Jahre lang Vorsitzender des SV Gräfendorf. 1976 gab die Bundeswehr das Jagdschloss auf, in dem seit 1968 Einzelkämpfer ausgebildet wurden, und die Heinleins schlugen zu. Aus der ersten Idee eines Cafés wurde ein ganzes Ferienhotel mit Restaurant. Angegliedert wurde noch ein Neubau mit Hallenbad. Unter Führung des Ehepaars Heinlein wurde das Hotel schnell zu einem beliebten Urlaubs- und Ausflugsziel im Spessart.

Ins Jagdschloss soll wieder Leben einkehren

1993 verkauften die Heinleins das Jagdschloss an den gelernten Krankenpfleger Karl Selig aus Sachsenheim. Selig beließ den Restaurant- und Beherbergungsbetrieb im Schloss und richtete im Neubau ein Altenheim ein. 1995 pachtete ein Wirtsehepaar für nur rund fünf Monate das Anwesen. Von Anfang 1996 bis 2005 blieb das Hotel mit Restaurant geschlossen. 2005 wurde aus dem Jagdschloss das "Lustschloss", ein Swingerclub, der bis Juni 2016 bestand.

Das Jagdschloss Seewiese bei Schonderfeld.
Foto: Archivbild Björn Kohlhepp | Das Jagdschloss Seewiese bei Schonderfeld.

Ein Würzburger Immobilienmakler erwarb das Schloss, grundsanierte es und riss vor ein paar Jahren den Anbau mit Hallenbad ab. Gedacht war, dass er samt Familie ins Schloss einzieht. Der Plan zerschlug sich offenbar, inzwischen ist das Schloss erneut verkauft. Käufer ist ein Mann aus dem Taunus, der in Frankfurt tätig war und ebenfalls selbst einziehen möchte. Das werde aber wohl noch bis 2024 dauern, weil der Innenausbau und die Außenanlagen noch anstünden, sagt er im Gespräch mit der Redaktion.

Das Fischgut betreiben Siglinde und Alois Heinleins Tochter Petra und ihr Mann Wolfgang Thurn heute im Nebenerwerb. Während Siglinde Heinlein weiter im Hieke-Haus wohnt, haben sich Petra und Wolfgang Thurn das Hauptgebäude als Wohnhaus eingerichtet.

Die Trockenheit macht dem Fischgut zu schaffen

Das Fischgut hat 28 Naturteiche, wobei nicht mehr alle besetzt sind. "Naturteich" bedeutet, dass die Fische nicht täglich gefüttert werden, sondern sich auch selbst Nahrung suchen müssen. Mittlerweile wird nur noch ein kleiner Teil der Fische selbst erzeugt. Einmal im Monat verkauft das Gut seine Forellen, geräuchert, ofenfertig oder frisch, auch auf dem Bauernmarkt in Gemünden.

Aber die Trockenheit der vergangenen Jahre hat sich durch eine geringere Quellschüttung bemerkbar gemacht. "Eine Fischzucht ohne Wasser ist schwer zu betreiben", sagt Petra Thurn. Sohn Thorsten ist gelernter Fischwirt, die nächste Generation steht also parat. Im Hauptberuf arbeitet er zukunftssicher als Elektriker. Petra Thurn hofft auf genügend Regen in der Zukunft.

Literatur: Sitter, Johannes:  "Fischgut Seewiese und seine Pioniere".

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart

 
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