
Es rattert dumpf wie bei einem Maschinengewehr. Ein leichtes Beben ist unter den Füßen zu spüren und ein wenig später dringt eine Staubwolke aus dem Tunneleingang. Joachim Lorenz muss jetzt noch zwei Stunden warten, bis der Staub abgesaugt ist und die abgesprengten Steinbrocken abgeräumt sind. Dann kann er begutachten, was die Sprengung freigelegt hat.
So war das fast jedes Wochenende zwischen 2014 und 2018. Manchmal war Joachim Lorenz sogar zweimal in der Woche auf der Baustelle zu den Tunnelarbeiten zwischen Hain und Heigenbrücken der Deutschen Bahn. "Für mich als Geologe war dies ein Glücksfall", sagte er. Die Deutsche Bahn hat dort acht neue Tunnelröhren als Ersatz für den 160 Jahre alten Schwarzkopftunnel durch den Fels gesprengt. Lorenz nutzte dies für eine Reise durch die Erdschichten des Spessarts, die nach einigen Hundert Millionen Jahren erstmals zu sehen sind.
Von der Deutschen Bahn hatte Lorenz die Erlaubnis bekommen, die Arbeiten im Fels zu dokumentieren. Dazu musste er jedes Mal warten, bis die Ortsbrust nach der Sprengung frei geräumt ist. Unter Ortsbrust versteht der Bergmann die Stelle, an der der bergmännische Vortrieb stattfindet. Jede Sprengung hat den Tunnel um etwa eineinhalb Meter verlängert. Vier Sprengungen gab es an einem Tag. Mit Gummistiefeln, Warnweste und Schutzhelm durfte Lorenz in den Tunnel und der Blick wurde für ihn frei auf eine neue Schicht im Berginneren, die Geschichten erzählt, wenn man diese lesen kann.
Geschichten von vor zig Millionen Jahren
Für Lorenz sind es Geschichten von vor zig 100 Millionen Jahren, als die Region hier noch auf Höhe der heutigen Sahara lag, als sich Urmeere bildeten und diese wieder verschwanden. „Ich habe die frühpubertäre Steinesammel-Phase nie abgelegt“, erklärt Lorenz schmunzelnd seine Leidenschaft. Er ist mittlerweile zu einem anerkannten Fachmann für Geologie geworden und hat das über 900 Seiten starke Buch „Spessartsteine“ herausgegeben. Auch die Bauarbeiten zur Umfahrung des Schwarzkopftunnels zwischen Laufach, Hain und Heigenbrücken im Spessart hat er in einem 450-seitigen Tunnelbuch mit vielen Bildern dokumentiert.
"Die Baustelle erwies sich als mineralogisch-geologisch höchst interessant und voller Überraschungen", zieht Lorenz ein Fazit. Weil das kristalline Grundgebirge, welches sozusagen die Basis ist, nach Osten hin abfällt und zugleich die Tunnel nach Osten hin leicht ansteigend gebaut wurden, geben Sie einen Einblick durch sämtliche Erdschichten, die sich im Laufe von zig Millionen Jahren hier in der Region gebildet haben.
Zum großen Teil ging der Vortrieb durch das kristalline Grundgebirge, das vor etwa 330 Millionen Jahren entstanden ist. Es besteht aus dem Diorit, Gneisen, Quarziten und Glimmerschiefer. Auf dem Grundgebirge lagern Zechstein-Kalke, die Tonsteine des Bröckelschiefers und darauf wiederum der überall im Spessart so charakteristische Buntsandstein mit einer Mächtigkeit von bis zu 500 Metern auf. Diese Ablagerungen fanden vor etwa 245 Millionen Jahren ihren Abschluss. Der Muschelkalk kam später. Er ist aber im Spessart kaum zu finden. Muschelkalk findet sich über dem Main, so etwa bei Homburg am Kallmuth. Erdgeschichtlich folgen ihm der Keuper und der Jura.
Auch Vulkanausbrüche haben die Region geformt
Dies ist der grobe Aufbau der Geologie im Spessart. In Wirklichkeit ist natürlich alles komplizierter. Sämtliche Schichten sind in verschiedener Mächtigkeit von jurassischem Schwerspat durchzogen. Meere kamen und verschwanden. Die Austrocknung hat an verschiedenen Stellen zu Salz- und Kalkablagerungen geführt. Auch Vulkanausbrüche haben die hiesige Region geformt, während sie aufgrund der Drift der Erdplatten immer weiter nach Norden wanderte.

Hier an der Baustelle der Deutschen Bahn ist der Buntsandstein fast verschwunden. Stattdessen hat sich eine Tonschicht auf das Grundgebirge gelegt. Man weiß, so erklärt Lorenz, dass aufgrund der Schrägstellung des Grundgebirges der Buntsandstein im westlichen Spessart im Laufe von Millionen Jahren durch Erosion fast vollständig abgetragen worden ist. „Hätte der Sand an der holländischen Küste Namen, würde Hain und Heigenbrücken darauf stehen“, scherzt er. Je weiter man aber vom Spessart nach Osten kommt, desto mächtiger sind die Buntsandsteinschichten.
Über 80 Prozent des Spessarts sind davon bedeckt, wobei der Sandstein nahezu fossilienfrei ist. Daraus schließt der Fachmann, dass der eingebrachte Sand über Millionen von Jahren von Flüssen eingeschwemmt worden ist. Vermutlich aus dem Gebiet des heutigen Münchens, sagt Lorenz. Der gewaltige Druck, der auf dem Sand lastete, festigte den Buntsandstein in unterschiedlicher Härte.

Zebrakalkstein im Tunnel Falkenberg
Zu den spannendsten Etappen auf der Reise durch die Erdschichten gehörte für Lorenz ein Abschnitt im Tunnel Falkenberg, der durch ein Vorkommen von dolomitischen Kalkstein mit einer eigentümlichen Hell-Dunkel-Streifung führte. "Sie wird deshalb als Zebra-Struktur oder Zebrakalkstein bezeichnet", sagt Lorenz. Diese seien im Zechstein durch Gebirgsdruck, Lösung durch warmes Wasser und Wiederabscheidung des Dolomits entstanden, erklärt er. "Solche Vorkommen gebe es nur zehn Mal auf der Welt." Mit einem Wissenschaftler aus Glasgow stehe er im Kontakt, der darüber seine Dissertation geschrieben hat. Als ein weiteres "Highlight", das die Bauarbeiten zutage brachten, bezeichnet Lorenz den Fund von violettem Kalksilikatfels im Trog des Tunnels Hain.

Mineralien in Form von frei gewachsenen Kristallen hat Lorenz während der Bauarbeiten nicht gefunden, was er ein bisschen bedauert. Damit Kristalle wachsen können, hätte es Hohlräume im Gestein bedurft. Ansonsten werden diese von der Umgebung zerdrückt. Hohlräume habe es aber nicht gegeben. Die sich bildenden Klüfte wurden lückenlos gefüllt.
Es gibt noch viel zu forschen. Joachim Lorenz tut dies nach Kräften, obwohl er im Hauptberuf in einer großen Firma für die Sicherheit zuständig ist. Er ist Geologe aus Leidenschaft und teilt diese mit seiner Frau Helga. „Sonst wäre es nicht gegangen“, sagt er. Derzeit ist er dabei, das Alter der gefundenen Proben zu datieren. Zudem hält er viele Vorträge und seine Forschungen zu den speziell im Spessart vorkommenden Steinen und Mineralien Spessartit und Spessartin genießen große Anerkennung in Fachkreisen.
Vulkane in Indonesien seien besser erforscht als die Geologie der hiesigen Region, meint Lorenz. Die Mineralogie und Geologie sei hierzulande an den Universitäten nur noch der Geografie angehängt. Es gebe keine eigenen Institute mehr, was er bedauert. Um so wichtiger ist es für ihn, dass ein solcher Durchbruch durch den Berg wie bei Hain auch dokumentiert wird. Viel Zeit dafür war nicht. Nur ein paar Minuten hatte er, dann wurden die Geheimnisse des Berges wieder mit Spritzbeton verschlossen.
Literatur: LORENZ, J. [Hrsg.] (2018): Die Tunnel zwischen Laufach und Heigenbrücken. Die Jahrhundertbaustelle der Umfahrung des Schwarzkopftunnels: Geologie, Mineralogie, Geschichte, Bau und Technik der neuen Eisenbahntunnel durch den Spessarts.- 458 S., ISBN-Nr. 978-3-00-059975-0
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.