Eine demenzsensible Gesellschaft – das wünscht und forderte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek zum Auftakt der dritten Bayerischen Demenzwoche, die bis zum 25. September auch im Landkreis Main-Spessart stattfindet. Etwa 240.000 Menschen mit Demenz leben in Bayern. Für das Jahr 2030 werden 300.000 prognostiziert.
Obwohl so viele Menschen erkrankt sind, sind sie kaum sichtbar in der Gesellschaft. Denn es herrschen viele Ängste vor, sowohl bei Betroffenen und ihren Angehörigen, als auch in der Bevölkerung.
Seit 2013 gibt es deshalb die Bayerische Demenzstrategie. Das Ziel: Die Gesellschaft für das Thema Demenz zu sensibilisieren, der Tabuisierung der Krankheit entgegenzuwirken und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verbessern. Was hat sich seit dem getan? Wie sensibel ist die Gesellschaft und kommt das bei den Menschen an, die es betrifft?
Die Betroffenen
Ein guter Ort, um das zu erfragen ist die Dienstagsgruppe "Sport und Bewegung trotz(t) Demenz" in Marktheidenfeld. Das Angebot wird von der Beratungs- und Kontaktstelle RuDiMachts! organisiert. Das, was die Menschen hier her führt, ist das Zusammensein mit anderen, der Austausch, die Bewegung, sporteln, lachen, sich fordern und entspannt wieder nach Hause gehen.
"Ich habe gemerkt, dass andere Menschen auch krank sind, ähnliches haben wie ich", beschreibt eine Frau, die seit einem halben Jahr dabei ist. Das allein schon habe ihr geholfen. Ihre Sitznachbarin kommt, seitdem ihr Mann gestorben ist. Ihre Tochter habe von dem Angebot gehört und sie angemeldet. "Es geht einem einfach besser, wenn man heim kommt", beschreibt die Kursteilnehmerin, die bereits seit Beginn des Angebots 2019 dabei ist.
"Wir haben Teilnehmer mit beginnender Demenz, Menschen mit Gedächtnisbeeinträchtigung und Leute, die einfach gerne kommen, um sich zu bewegen und sich zu sehen", erläutert Kursleiterin Beate Höflich. Viel über die Krankheit geredet wird in der Stunde nicht. "Manche benennen es, manche nicht", sagt sie. Dass sie aber allesamt froh und dankbar über so ein spezielles Angebot sind, merkt man ihnen an.
Das Gemeinschaftserlebnis in der Gruppe stärke das Gefühl von "Ich-kann-noch-etwas" und "Ich-gehöre-zur-Gesellschaft". "Wichtig ist, dass Angehörige solche Aktivitäten mit fördern", erläutert Höflich. Denn viele Begegnungsangebote sind für Menschen mit Demenz oft nicht geeignet. Und so führt die Krankheit nicht selten in die soziale Isolation.
Die Angehörigen
Wie sich das anfühlen kann, beschreibt eine Angehörige, die ihren an Demenz erkrankten Partner jede Woche zum Kurs begleitet. "Ich bin sehr froh darüber, das Angebot hier entdeckt zu haben, denn Bewegung ist gut, wird aber immer schwieriger", beschreibt sie. Im Sportverein könnten sie nicht mehr mitmachen und auch Fahrradfahren wird allmählich gefährlich, da das Reaktionsvermögen nachlasse.
"Es gibt einfach wenig Angebote", so die Begleiterin. Und bei dem, was möglich wäre, scheitere es auch manchmal an der Toleranz der anderen. So wurde ihnen im Wassergymnastik-Kurs regelrecht nahegelegt aufzuhören. Dass ihr Partner die Bewegungen nicht mehr eins zu eins nachmachen konnte, zudem Hilfe in der Umkleide von ihr brauchte, war zu viel.
Doch sie erlebt auch das Gegenteil: "Wir gehen Kegeln, in die Sauna, viel unter die Leute", erzählt die Angehörige. Im Kreis der Freunde und Bekannten werde ihr Partner und die Hilfe, die er braucht akzeptiert. Aber sie merkt auch die Scham und die Scheu der Menschen: Bei Restaurant-Besuchen, bei denen sie länger brauchen als alle anderen. Bei den Blicken, die sie auffängt, die ihr manchmal signalisieren: Guckt uns bloß nicht an. Bleibt in euren vier Wänden.
Direkt angesprochen werde ihr Partner kaum noch. "Die Leute wissen einfach nicht, wie sie mit ihm reden sollen." Was sie sich als pflegende Angehörige von einer demenzsensiblen Gesellschaft wünscht? "Dass diese mehr auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingeht."
Die Beraterin
Friederike Döring leitet seit 2013 die Beratungs- und Kontaktstelle RuDiMachts!. Ihrer Erfahrung nach ist die Öffentlichkeit empfänglicher für das Thema Demenz geworden. Was auch an der guten Arbeit der deutschen Alzheimergesellschaft, dem Aufbau lokaler Allianzen für Menschen mit Demenz in der Kommune und immer mehr Fachstellen für Demenz und Pflegebedürftigkeit liege, sagt sie. Auch das Outing prominenter Personen zu ihrer Diagnose, wie zum Beispiel von Margaret Thatcher oder Rudi Assauer helfe einer Gesellschaft weiter. Dennoch täten sich Betroffene und Angehörige oft schwer, die Krankheit wahrhaben zu wollen.
Was sich in der Beratung zeigt: Angehörige informieren sich mehr als früher. "Meist sind es die Kinder, in einigen Fällen sogar die Enkel, die kommen und mehr über das Krankheitsbild wissen wollen", so Döring. Die ältere Generation zeige sich da zurückhaltender.
Was sich aus ihrer Sicht ändern muss? "Ich wünsche mir, dass wir bei Menschen mit Demenz und anderen Beeinträchtigungen die Person sehen und nicht das Krankheitsbild", so Döring. "Und dass wir selbstverständlicher mit dem Thema Demenz umgehen und die Diagnose ihren Schrecken verliert." Auch mit Demenz sei das Leben lebenswert und könne für Betroffene und Angehörige eine Chance sein, sich auf einer gefühlvolleren Seite zu begegnen und gemeinsam auch viel Schönes zu erleben.
Als gesellschaftliche Aufgabe sieht sie, möglichst viele Institutionen, Unternehmen, Träger, den Handel sowie die Bürgerinnen und Bürger bis in die kleinsten Gemeinden zu erreichen, um für einen selbstverständlichen Umgang zu sorgen.
Ob es Betroffenen heute besser geht, als noch vor zehn Jahren? "Ob es ihnen mit der Diagnose besser geht, wage ich zu bezweifeln", so Döring. Der Umgang mit einer Erkrankung sei immer eine sehr persönliche Angelegenheit und jeder reagiere unterschiedlich. Was besser sei: Es gibt immer mehr Hilfsangebote und Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige. "Die Gesellschaft ist auf einem guten Weg und widmet sich der Thematik."