Bunte Bausteine, kleine Hindernisse und ein Frosch mit Rollen: Der eineinhalb Jahre alte Tobias spielt und klettert fröhlich in den renovierten Internatsräumen der Kreuzschwestern in Gemünden. Dabei muss ihn nicht kümmern, dass es bei der Frühförderung vor allem darum gehen soll, seine Bewegungsfähigkeit zu trainieren. "Die Kinder denken, dass sie herkommen, um zu spielen. Die merken gar nicht unbedingt, dass sie eine Förderstunde kriegen", sagt Pädagogin und Einrichtungsleiterin, Kathrin Fischer.
Krabbeln, sich hochziehen oder sitzen: Das alles konnte Tobias im Alter von zwölf Monaten noch nicht. Das liege daran, dass er eine "motorische Entwicklungsverzögerung" habe, erklärt Fischer. "Wenn man da rechtzeitig eingreift, kann das einen sehr guten Weg gehen." Bei Tobias hat die Förderung bisher gefruchtet. "Es ist echt super gelaufen", sagt seine Mutter, die lieber anonym bleiben möchte. Nach mehr als einem halben Jahr in dem Zentrum für ganzheitliche Entwicklung der Kreuzschwestern zeigen sich schon große Verbesserungen bei ihrem Sohn, berichtet die 30-Jährige.
Einrichtung hat erst vor einem Jahr eröffnet
Sehr viel länger gibt es die Stelle in Gemünden auch noch gar nicht. Im Oktober 2020 hat die Einrichtung erst eröffnet. Im Mittelpunkt steht dort das Frühförderangebot für Kinder im Alter von null bis sechs Jahren, die eine Entwicklungsverzögerung, eine Verhaltensauffälligkeit oder eine Behinderung haben. Für eine Stunde in der Woche kommen die Kinder vorbei – oder sie werden zu Hause besucht. "Manche Kinder sind in der gewohnten Umgebung besser zu fördern", so Fischer.
Als Ergänzung zur Frühförderung bietet das Zentrum auch Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie an. Dabei wird mit Therapeuten aus niedergelassenen Praxen zusammengearbeitet, die in die Einrichtung der Kreuzschwestern kommen. Für die Eltern ist praktisch, dass sie ihre Kinder nicht zu mehreren unterschiedlichen Terminen fahren müssen und auch nicht ständig neue Rezepte vom Kinderarzt holen müssen, sondern einen Behandlungsplan haben, der über ein ganzes Jahr läuft. Das bedeute auch weniger Stress für die Familien, erklärt Fischer. Die Kosten übernimmt je nach Art der Förderung der Bezirk Unterfranken oder die Krankenkasse.
Die Mutter von Tobias ist über eine Empfehlung auf des Zentrum für ganzheitliche Entwicklung aufmerksam geworden. Ihr Sohn konnte durch Blockaden am Halswirbel und Lendenwirbel anfangs nicht einmal nach rechts und links gucken oder seine Beine hochheben. "Ich habe gemerkt, es stimmt irgendwas nicht am Bewegungsapparat", erzählt die Gemündener Mama. Eine Physiotherapeutin konnte die Blockaden ihres Sohnes zwar lösen, trotzdem brauchte er noch weitere Hilfe. Da kam Kathrin Fischer ins Spiel. "Er wusste gar nicht, wie er in den Vierfüßlerstand kommt, um loszukrabbeln", so die Pädagogin.
Druck durch andere Eltern
Um das zu ändern, hat sie Tobias ermuntert, über "Bewegungsbaustellen" wie Matten und Polster zu klettern. Zu Beginn waren es eher niedrige Hürden, die das Kleinkind überwinden sollte, erst nach und nach wurden diese höher. Ein häufiges Problem, wenn Kinder nicht klettern, sei auch eine mangelnde Körperwahrnehmung, wenn sie also zum Beispiel nicht spüren, wo ihr Bein anfängt und wo es wieder aufhört. "Wir haben deshalb Hausaufgaben gegeben", so Fischer. So sollten Tobias Eltern ihn bürsten oder mit einem harten Handtuch abtrocken, um ihn für seinen eigenen Körper zu sensibilisieren.
Die Mutter von Tobias ist froh, dass es Fördermöglichkeiten wie diese in Gemünden gibt. Als belastend empfindet sie jedoch Vergleiche, die Eltern untereinander anstellen ("Wie dein Kind kann noch nicht laufen?"). Wenn es diesen gesellschaftlichen Druck nicht gäbe, wäre vieles leichter, sagt sie. Auch Kathrin Fischer bestätigt, dass Entwicklungsverzögerungen oft noch tabuisiert würden. Selbst innerhalb von Familien gebe es teilweise leider Streitigkeiten, ob das Kind wirklich eine Förderung braucht oder ob das nicht "totaler Quatsch" ist.
Dabei besteht durchaus Bedarf. Seit dem Start im vergangenen Jahr sei die Zahl der Kinder, die das Zentrum für ganzheitliche Entwicklung besuchen "explosionsartig" von anfangs sieben auf mittlerweile 40 Kinder angestiegen, berichtet die Einrichtungsleiterin. Corona hat die Situation verschärft – egal ob es um sprachlichen, motorischen oder emotionalen Förderbedarf geht. Fischer: "Die Kinder haben viel daheim rumgesessen, es gab keine Angebote wie Kinderturnen und sie konnten sich in ihrem Sozialverhalten auch nicht weiterentwickeln. Das hat viele Kinder ausgebremst. Das merken wir hier gerade auch."
Reittherapie und Sprachförderung
Insgesamt zeigt sich Kathrin Fischer sehr zufrieden, wie das erste Jahr gelaufen ist. Vor allem durch Mundpropaganda seien Eltern auf die neue Einrichtung gestoßen. "Eine Herausforderung ist wirklich, dass Kinderärzte noch wenig mit uns zusammenarbeiten, weil sie uns noch nicht kennen." Durch die Pandemie habe man keine Gelegenheit gehabt, diese zu einer offiziellen Eröffnung einzuladen.
Neben der Frühförderung selbst hat das Zentrum eine ganze Palette an Angeboten. Dazu gehören unter anderem eine Frühchenberatung, eine Schrei- und Schlafberatung für Eltern, deren Kinder sehr schlecht schlafen, und das Coaching von pädagogischen Fachkräften. Beispielsweise findet sich auch therapeutisches Reiten oder Sprachförderung im Kursprogramm.
Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.kreuzschwestern.de oder telefonisch unter 09351 805260.