Ein Tag im September 2013 veränderte Georg Recks Leben. Der Zellinger erhielt einen Brief von einem Scheidungsanwalt. Seine Frau Brigitte hatte die Trennung bekannt gegeben. Für Reck war das ein Weckruf. "Sie wusste, dass ich mich sonst nie auf eine Therapie einlasse. Sie meinte schon früher, ich brauche professionelle Hilfe, aber da hätte sie auch mit einer Wand reden können", erinnert sich Reck an sein damals 54-jähriges Ich.
Recks Alkoholkonsum sei seit Jahrzehnten problematisch gewesen, sagt er über sich. Er sei lange alkoholkrank gewesen. Nach und nach wurde die Sucht schlimmer, er brauchte immer mehr. "Ich hatte es irgendwann nicht mehr im Griff, konnte nichts mehr steuern und war dann auch körperlich und psychisch kaputt", erzählt Reck. "Am Ende trank ich fast nur noch Schnaps. Bier hat mich gar nicht mehr interessiert." Er betont, nie andere Drogen genommen zu haben.
Flaschen versteckt und Konsum vor Bekannten verschleiert
Bevor seine Frau zum Trennungsanwalt ging, rutschte sie in die für Partner von Alkoholkranken typische Co-Abhängigkeit. Brigitte Reck sagt: "Ich hab ihn gedeckt, die Flaschen versteckt und seinen Konsum vor Bekannten und der Verwandtschaft möglichst verschleiert". Sie erzählt, dass eine der beiden gemeinsamen Töchter früher immer mit dem Telefon im Flur stand, wenn ihr Mann gepöbelt und geschrien hat. "Mutter, wenn er dir was antut, ruf ich an", habe sie gesagt. Im Gegensatz zu anderen Alkoholkranken sei Reck aber nicht ein einziges Mal handgreiflich geworden.
"Meine Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern. Wenn ich heute in den Main springen würde, ist das alles immer noch passiert. Aber die Zukunft kann ich neu gestalten", sagt Reck. Er stellte sich damals zunächst in der Würzburger Fachambulanz vor, um seine Situation zu schildern. "Für mich war das der Gang nach Canossa. Ich habe meine Hosen runtergelassen und denen gesagt, dass ich nichts mehr auf die Reihe kriege", sagt er.
Fachklinik in Weibersrunn als Rettungsanker
Unter Aufsicht eines Neurologen und Psychiaters nahm Reck einen kalten Entzug in Angriff. Obwohl dieser rückblickend gut funktionierte, würde er diesen absetzenden Konsum niemandem empfehlen. Oft käme es zu Krampfanfällen. Im Herbst 2013 begann Reck eine Therapie für alkoholabhängige Menschen in der Fachklinik Weibersbrunn, einer Reha-Klinik für Abhängigkeitskranke (Landkreis Aschaffenburg). "Ich wurde dort sehr menschlich behandelt, das war wie ein Rettungsanker für mich", sagt der 65-Jährige.
Betreut wurde er dort unter anderem von Therapeuten, die ehemals Alkoholiker waren und ihre Ausbildung "auf dem zweiten Bildungsweg gemacht" haben. Dass Reck es ihnen gleichtun würde, wusste er damals noch nicht. "Es kamen regelmäßig Leute aus Selbsthilfegruppen vorbei, oft auch aus Würzburg. Einmal hat einer gesagt, ich solle doch mal mitkommen und mir die Gruppe Phoenix angucken", erinnert sich Reck.
Rückfallquote bis zu 80 Prozent reduziert
Phoenix ist eine Selbsthilfegruppe für alkohol- und suchtkranke Menschen. Sie besteht aus Frauen und Männern jeglichen Alters und Glaubens, die sich einmal pro Woche zum Austausch treffen. Auch Gedanken an vergangene Suchtverläufe werden geteilt. "So wird man immer wieder an das Thema und die Gefahren der Sucht erinnert. Jeder von uns weiß, wie die anderen ticken. Menschen, die nie süchtig waren, können uns nämlich nicht verstehen", sagt Reck. Ihm zufolge reduziere sich die Rückfallquote durch die Teilnahme an derartigen Treffen um bis zu 80 Prozent.
"Ich habe Phoenix als sehr offene Gruppe erlebt, bei der jeder und jede zu Wort kommen kann." Mit anderen Patienten zusammen besuchte er immer wieder Gruppenabende in Würzburg. Heute ist er der festen Überzeugung, dass er es ohne den dortigen Austausch nicht geschafft hätte, trocken zu bleiben.
Nachdem Reck im April 2014 die Fachklinik verlassen hatte, ging er weiterhin zu den Gruppentreffen. Heute ist er stellvertretender Leiter von Phoenix, leitet eine Gruppe in Würzburg und seit Oktober 2023 auch eine neue Runde in Karlstadt. Außerdem informiert er Suchtkranke im Klinikum in Lohr und der Fachklinik Weibersbrunn über das Angebot.
Von der Sucht nach Alkohol können alle Gesellschaftsschichten betroffen sein
Reck, der im öffentlichen Dienst tätig war, freut sich über die Offenheit vieler Gruppenmitglieder: "Es ist phänomenal, wie viel die Leute von Anfang an erzählen – fast so, als hätten sie drauf gewartet, das rauszubringen, was sie bedrückt." Ein respektvolles Miteinander sei das Wichtigste, Politik und Religion haben in der Gruppe nichts zu suchen.
Die Zusammensetzung der Selbsthilferunden durchbricht das Bild vom typischen Alkoholiker. "Das ist für einige immer noch der Penner vom Bahnhof, der Obdachlose, der nur rumliegt", weiß Reck und ergänzt: "Diese Sucht durchläuft aber alle Gesellschaftsschichten. Ich habe auch bei mir in den Gruppen schon alle möglichen Berufsgruppen gehabt, auch Ärzte und Rechtsanwälte."
Echte Freunde sind geblieben
Trocken zu sein, bedeute, keinen Tropfen Alkohol mehr zu trinken. Das wäre auch gar nicht möglich, so Reck. "Kontrolliertes Trinken nach einer Sucht kann nicht funktionieren. Das Suchtgedächtnis springt beim ersten Schluck sofort wieder an", warnt er. Ein halbes Jahr lang nichts zu trinken, sei daher keine Abstinenz, sondern eine Trinkpause. Seine Frau erzählt, dass es nach der Therapie öfter vorkam, dass sie Freunde besuchten, die extra für ihn alkoholfreies Bier gekauft hatten. "Das ist ein No-Go. Wie gesagt: Nicht-Süchtige können das nicht verstehen", sagt sie.
Bleiben nach den langen Jahren des übermäßigen Konsums Freunde übrig? Georg Reck hat darauf eine klare Antwort: "Richtige Freunde hat man behalten. Ein guter Freund will ja eigentlich, dass es einem gut geht und kehrt dir in so einer Situation nicht den Rücken." Auch seine Frau Brigitte war sich dessen bewusst, als sie eineinhalb Jahre nach dem bedeutungsvollen Scheidungsbrief wieder bei ihrem Mann einzog.
Die Selbsthilfegruppe Phoenix
Würzburg Alkoholgruppe: montags, 19 – 20.30 Uhr (online); dienstags, 19 – 20.30 Uhr (Kapuzinerstraße 19); mittwochs, 19 – 20.30 Uhr (Kapuzinerstraße 19); donnerstags, 18 – 19.30 Uhr (Kapuzinerstraße 19); Drogengruppe: donnerstags, 18 – 19.30 Uhr.
Ochsenfurt: donnerstags, 19 – 20.30 Uhr.