Die Arbeit, die Dirk Schmidt und sein Team machen, kann keine Maschine übernehmen. Schmidt ist von Beruf Läpper, das heißt, er ebnet die Oberflächen von großen Granitblöcken, sodass sie bis auf wenige Tausendstel-Millimeter glatt und gerade sind. Schmidts exakte Handarbeit ist das Kapital der Wenzel Group aus Wiesthal: Die Präzisionsmessgeräte des Unternehmens sind nur so genau wie die Granit-Unterlage, auf der die Messtechnik aufgebaut ist.
Die Läpper wissen genau, wie viel Druck es braucht, wie oft sie mit dem Werkzeug über die Fläche fahren müssen, um nicht zu viel und nicht zu wenig abzutragen – dieses Gefühl für den Stein hat keine Maschine. Der Bereichsleiter Produktion Dirk Richard erzählt: "Da sind schon einige Firmen zu uns gekommen und haben gesagt: Unser Roboter kann das genauso gut. Aber keiner hat es gekonnt."
Durch keine Maschine zu ersetzen
Läpper ist kein Ausbildungsberuf, neue Mitarbeiter müssen eine handwerkliche Grundausbildung mitbringen und werden dann bei Wenzel eingelernt. Das dauert. "Etwa ein Jahr, planen wir", sagt Betriebsleiter Richard. "Mancher lernt es nie", sagt Teamleiter Schmidt. Was ist das für ein Gefühl, zu wissen, dass man durch keine Maschine ersetzt werden kann? "Ein gutes", sagt Schmidt, sichtlich stolz. "Ein sehr gutes Gefühl."
Für einen so spezialisierten Beruf Mitarbeiter zu finden ist keine leichte Aufgabe. Besonders dann nicht, wenn man wie das Familienunternehmen Wenzel seinen Firmensitz traditionell in einem kleinen Ort wie Wiesthal hat, ein gutes Stück entfernt von jeder größeren Stadt und ohne direkte Autobahnanbindung, mitten im Spessart. "Niemand vergisst seine erste Autofahrt nach Wiesthal", sagt Daniel Eisler, Leiter des Personalmanaments. Schnell geht es nur mit der Regionalbahn vom Aschaffenburger Hauptbahnhof. Da sind es nur 13 Minuten bis zum Wiesthaler Bahnhof unweit des Werksgeländes.
Bei Wenzel arbeiten vor allem Menschen aus den umliegenden Gemeinden. Auszubildende sind häufig Kinder von Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen. Doch auch bei Wenzel gehen in den kommenden Jahren die Mitarbeiter der geburtenstarken Jahrgänge in Rente. "Wir müssen jetzt verstärkt extern nach Fachkräften suchen", beschreibt Eisler die aktuelle Situation.
Unebenheiten sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen
Seine Messgeräte verkauft Wenzel an alle Branchen, in denen die Abmessungen eines Bauteils sehr genau überprüft werden müssen: In der Autoindustrie, der Luftfahrt oder der Medizintechnik beispielsweise werden sie zur Qualitätskontrolle eingesetzt. Der exakt geschliffene Granit-Tisch ist die Basis. Eine Brücke, an der der Mess-Sensor befestigt ist, fährt auf dem Tisch vor und zurück und misst so die Bauteile aus. Auch der Sensor ist an einer Granit-Stele befestigt – denn seine Position muss zu 100 Prozent stimmen, auf keinen Fall darf sich die Aufhängung verziehen.
Damit später nichts ruckelt, keine Delle im Granit-Tisch die Messung verzerrt, wird der Stein zuerst von einer Maschine vorgeschliffen und kommt dann zu Schmidt zur Feinbearbeitung. Für das bloße Auge ist die Oberfläche des Steins dann schon eben und gerade. Nur ein Laser erkennt die Unebenheiten und erstellt eine 3D-Grafik – wie eine topografische Landkarte. Dann beginnt die eigentliche Arbeit der Läpper: Schleifen, mit dem Laser nachmessen, und wieder schleifen, dann mit einem feineren Werkzeug, einer sogenannten Läpp-Platte.
Jeder Lehrling darf sich als Läpper probieren
Die Läpp-Platten haben verschiedene Größen und Strukturen wie Schmirgelpapier. Für die gröbsten Arbeiten werden große Platten von rund 30 Kilo verwendet, zwei Angestellte arbeiten zusammen, um sie zu bewegen: Sie stehen rechts und links des Granitblocks und ziehen die Platte wie beim Tauziehen zwischen sich hin und her. Die kleinsten Platten für den absoluten Feinschliff haben dagegen etwa das Format einer größeren Tafel Schokolade. Ein feines Schleif-Pulver wird zwischen der Platte und dem Werkstück gerieben und verstärkt den Prozess. Scheinbar mühelos lassen die Läpper die kleinen Platten über den Stein gleiten.
Jeder Lehrling macht Station bei den Läppern, dann schauen Dirk Schmidt und Dirk Richard, ob der oder die Auszubildende "das Händchen" hat. Eine "Affinität zum Stein" müsse man schon mitbringen, schildert Richard. Ein Mitarbeiter ist vergangenes Jahr in Rente gegangen, nach 40 Jahren in der Läpperei – seine Stelle ist bisher nicht nachbesetzt. Ein Azubi könnte bald die Lücke schließen, hoffen die Verantwortlichen.
19 Stellen quer über alle Unternehmensbereiche hat Wenzel im Moment ausgeschrieben. Das Unternehmen versucht, seinen Mitarbeitern in vielen Bereichen entgegenzukommen: Arbeitszeiten sind dort recht flexibel und können zum Beispiel an den Fahrplan der Regionalbahn angepasst werden. Wer nach Wiesthal oder in die Umgebung umziehen möchte, bekommt Hilfestellung aus der Personalabteilung. Um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, muss Wenzel mehr Aufwand betreiben und Trends auf dem Arbeitsmarkt schneller umsetzen als die Konkurrenz, sagt Personalleiter Daniel Eisler. "Das kennen wir nicht anders."