
Der vierjährige Leon aus Esselbach hat im vergangenen Jahr eine bedeutende Entdeckung gemacht: „Opa, du hast dieselben Schuhe an wie der Nikolaus!“ Fast hätte er damit den Mann, der nach einem kurzen Besuch bei Marianne Hofmann und ihrer Familie das Haus wieder verlassen hat, entlarvt. Denn der Opa, der frühere Esselbacher Bürgermeister Klaus Hofmann, mimt seit langem den Heiligen Nikolaus für seine Familie, die Jahr für Jahr am Abend des 6. Dezembers bei den Großeltern zusammenkommt.
„Da muss ich besser aufpassen“, schmunzelt der 74-Jährige. Er habe sich vorgenommen, auch die Brille abzusetzen, um nicht doch von den Kleinen erkannt zu werden. Sieben Enkelkinder hat er, das jüngste ist drei Jahre alt. Die größeren, Milena (19), Matteo (15) und Mathilda (10) wissen schon länger, wer sich unter Rauschebart und Bischofsgewand versteckt. Damit das Geheimnis ihres Opas für die Jüngeren jedoch möglichst lange geheim bleibt, spielen sie mit.
Der Nikolaus besucht immer Marianne Hofmann und ihre Familie
Die Stiefel werden bei der Familie traditionell schon am Vorabend des Nikolaustags, am 5. Dezember, vor die Tür gestellt. Hofmann erinnert sich daran, dass es für ihn als Kind Mandarinen, Nüsse und einen Schoko-Nikolaus gab. Heute bekommen die Enkelinnen und Enkel zusätzlich auch kleine Geschenke, etwa ein Buch, Socken oder Lego, sagen sie. „Die Helfer des Nikolaus befüllen die Stiefel“, erzählt Hofmann. Denn der Heilige selbst könne nicht alle Familien besuchen. „Die Engel wählen dann die Familien aus, zu denen er am 6. Dezember persönlich kommt.“

Warum seine Familie jedes Jahr dran ist? „Weil wir immer brav sind“, ist sich Mathilda sicher. Opa Klaus bestätigt: „Wenn ich aus dem Goldenen Buch vorlese, dann nur Gutes.“ Er lobt etwa, dass sich die Geschwister nicht gegenseitig ärgern oder dass sich die Kinder in der Schule anstrengen würden. In diesem Jahr wird es eine besondere Anerkennung für die fünf- und achtjährigen Cousins geben, die gelernt haben Schafkopf zu spielen, verrät er.
Früher war Nikolaus in Begleitung von Knecht Ruprecht
Hofmann sagt, es sei wichtig, den Kindern keine Angst einzujagen. Als er selbst ein Kind war, sei das anders gewesen: „In die Schule kam auch der Nikolaus. Wenn wir uns nicht gut benommen haben, hat er Knecht Ruprecht mitgebracht.“ Vor allem die jüngeren Schülerinnen und Schüler haben sich dann ängstlich hinter der Lehrerin versteckt. Außerdem ist Knecht Ruprecht durch das Dorf gelaufen, hinter sich einen Sack, „aus dem Beine herausgeschaut haben“. Das diente wohl zur Abschreckung: "Das macht er auch mit uns, wenn wir nicht brav sind."
Auch zu Hause hat der Nikolaus ihn und seine Geschwister besucht. Die Kinder haben sich vor dem Mann gefürchtet. „Wir mussten in die Kette beißen, die er umhängen hatte. Und er hat uns über seine Rute springen lassen“, erinnert sich Hofmann. Mit das Beste waren die belegten Brote, geschnitten zu Häppchen, die es bei ihm zu Hause am 6. Dezember gab. „Auch wenn wir wenig Geld hatten: Die gab es immer.“
Am Nikolausabend gibt es Schnittchen für die Familie
Und genauso macht er es heute auch: Hofmann serviert seiner Familie Schnittchen, nachdem alle Gedichte aufgesagt und Lieder gesungen sind. „Wir spielen auch immer gemeinsam Flöte – auch die Kleinen, die nur schiefe Töne herausbringen“, erzählt Milena. Doch Hofmann stößt immer erst zur Familie, wenn der Besucher gegangen ist.
Mathilda sagt, sie fand es als kleines Kind schade, dass Opa Klaus die Nikolausfeier der Familie Jahr für Jahr verpasst. „Uns wurde gesagt, dass er arbeiten müsse“, schmunzelt sie. Immer kurz nachdem der Nikolaus das Haus wieder verlassen hatte, kam der Opa nach Hause. Das ist auch heute noch so, aber die Zehnjährige weiß jetzt, warum.
Mathilda: "Mein Opa ist der echte Nikolaus"
Als sie erfahren hatte, dass ihr Opa sich als Bischof Nikolaus verkleidet, hat sie die Erkenntnis umgemünzt und war überzeugt: „Mein Opa ist der echte Nikolaus.“ Dann hat sie viele Fragen gestellt: Wann kehrt er zurück in den Himmel? Wie schafft er es, all die Kinder zu besuchen? Matteo kann sich erinnern, dass er als Achtjähriger von seiner großen Schwester erfahren hat, wer unter dem Nikolaus-Kostüm steckt: „Milena hat mich angestiftet, zuzusehen, wie sich Opa umgezogen hat", sagt er.
Hofmann mimt seit 45 Jahren auch den Nikolaus im Esselbacher Kindergarten. Seine älteste Enkelin Milena erinnert sich: „Ich habe bemerkt, dass mir die Stimme des Nikolaus‘ bekannt vorkommt.“ Sie sei aber nicht darauf gekommen, dass es ihr eigener Opa sei. So erging es auch ihren Geschwistern. Ein Freund von Matteo habe gesagt: „Das ist doch dein Opa“, erinnert er sich. „Ich konnte mir das gar nicht vorstellen und habe ihm nicht geglaubt.“
„Es wird mir nie langweilig, der Nikolaus zu sein“, sagt der 74-Jährige. Man müsse aber aufpassen, dass es nicht zur Routine verkommt. „Ich möchte immer mit dem Herzen dabei sein.“